Interview

Kölner Festivalmacher und DJ
„Köln schwankt immer hilflos zwischen Anspruch und Wirklichkeit“

Lesezeit 7 Minuten
Alles im grünen Bereich: Tobias Thomas liebt den Fußball und die Emotionen, die das Spiel entfachen kann.

Alles im grünen Bereich: Tobias Thomas liebt den Fußball und die Emotionen, die das Spiel entfachen kann.

Tobias Thomas hat das Festivalprogramm im Vorfeld der Fußball-EM in Köln entwickelt. Mit Bernd Imgrund sprach er über einen Libero der alten Schule und das Ordnungsamt.

Die große Fußball-Show „FU24BA7L“ zur Fußball-EM wird in einem kleinen Container im Nippeser Gleisdreieck organisiert. Tobias Thomas hat das Kind aufs Gleis gebracht, die 24 Events an 7 Orten laufen bereits an.

Vor der Bunten Liga haben Sie in richtigen Vereinen gespielt.

Ich komme aus einem kleinen badischen Dorf zwischen Offenburg und Kehl. Dort habe ich angefangen, um dann in die A-Jugend des Kehler FV zu wechseln. Der Verein hat übrigens mal einen Nationalspieler hervorgebracht: Dieter Eckstein. (7 A-Nationalspiele als Stürmer zwischen 1986 und '88, Anm. d. Red.)

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Wie gut waren Sie im Vergleich zu ihm?

Ich war nicht schlecht, aber viel zu schmächtig. In Kehl wurde ich vom Stürmer zum Libero umfunktioniert. Ich kann bis heute gut organisieren. (lacht)

„Ich bestehe halb aus Fußball und halb aus Kultur“, haben Sie mal gesagt.

Fußball war meine erste Liebe, Kultur die zweite. Beides wurde mir, vor allem väterlicherseits, in die Wiege gelegt.

Was fasziniert Sie bis heute am Fußball − jenseits von Siegen?

Die Einfachheit des Spiels. Es führt Fremde zusammen und macht sie unter Umständen zu Freunden. Und die Atmosphäre um das Spiel herum ist stets kulturell aufgeladen. Zwei Mannschaften, das bedeutet: zwei Trikotfarben, zwei Lager, zwei Identitäten. Da entsteht etwas − miteinander und aus Leidenschaft!

Wir sind hier im ominösen Gleisdreieck von Ehrenfeld. Was ist das für ein Ort?

Hier war Schwerindustrie. Wo das Clubheim steht, wurden früher Lokomotiven repariert, und die Kohlenseilbahnen vom Hansaring zogen hier drüber. Heute betritt man diesen Talkessel durch einen Tunnel und taucht ein in ein Soziotop mit ganz eigener Atmosphäre. Ganz wörtlich übrigens, hier herrschen manchmal andere Temperaturen als draußen.

1992 kamen Sie in das Soziotop Köln. Was fiel Ihnen auf?

Die Klischees stimmten: Köln wirkte auf mich sehr warmherzig und offen. Und natürlich gefiel mir das vitale popkulturelle Umfeld.

Sie haben maßgeblich die Entwicklung der c/o pop mitgeprägt, die aus der nach Berlin abgewanderten Popkomm hervorging.

Damals, Anfang der 2000er, war ich noch Redakteur der Spex, und als DJ habe ich die Total Confusion-Partys im Stadtgarten gemacht. Mit der c/o pop wollten wir Köln wieder nach vorn bringen, das hat viel Kraft und Geld gekostet. Während früher noch ein Fokus auf elektronischer Musik lag, ist das Festival heutzutage etabliert und bietet Pop in allen Varianten.

Sie gelten international als ein Kopf des sogenannten „Sound of Cologne“. Was war damit gemeint?

Das war eine in den 90ern entstandene Szene, hervorgegangen aus verschiedenen DJs, Labels und Clubs, die mit Techno, House, Drum'n' Bass und so weiter großgeworden sind. Der Sound of Cologne war also kein Klangbild, sondern eher ein soziales Phänomen.

Identifizierbar war immerhin Ihr Ansatz des „Minimal Techno“.

In den großen Hallen regierte überproduzierte Musik mit zu viel Synthesizer, zu vielen zusammengekleisterten Schichten. Beim Minimal Techno ging es uns darum, uns auf das Wesentliche zu konzentrieren: Kriegt man eine Hi-Hat so dünn, dass sie statt tsch tsch nur noch ts ts macht? Mich fasziniert bis heute Musik, die nur mit Rhythmus auskommt und trotzdem alles erzählt.

Warum sind Sie DJ geworden?

Weil mich Kommunikation interessiert.

Wobei der DJ oben immer der Kommunikationsleiter ist.

Ich sehe es so, dass der DJ Fragen stellt und das Publikum antwortet. Je besser die Antwort, desto besser findet der DJ zur nächsten Frage − ohne Hierarchie und Autorität. Man bekommt ja keinen Applaus, sondern hat nur die physische Präsenz des Publikums. Das Schlimmste für einen DJ ist, wenn die Tanzfläche schweigt.

Was war Ihr schönstes DJ-Erlebnis?

Bei einem meiner ersten Auftritte in Japan habe ich in einem Gemeindezentrum aufgelegt: Bühne, Teppich, so, jetzt spielt der deutsche DJ. Der Raum war leer, als ich anfing, wurde aber immer voller. Fremde Kultur, große Augen und plötzlich alle komplett begeistert. Aber das Schönste kam noch: Eine alte Frau bedankte sich sehr innig bei mir, und vom Übersetzer erfuhr ich, dass sie taub war. Alle Energie hatte sie durch die Schwingungen im Raum aufgenommen.

Was bedeutet die Legalisierung von Cannabis für die Clubszene?

In den 90ern hätten wir uns gefreut. Ich war immer sehr unruhig, wenn ich vorm Auflegen nicht ein bisschen was zu rauchen hatte − man wird dadurch emotionaler, feinfühliger, auch aufnahmefähiger. Heute fände ich es auch bezüglich anderer Substanzen richtig, stärker auf die Eigenverantwortung der Konsumenten zu setzen.

Wie meinen Sie das?

In diesen Diskussionen steckt sehr viel Heuchelei. Unsere Gesellschaft nimmt zwar die Sucht nach Alkohol, Zucker oder Nikotin hin, verteufelt jedoch alles andere. Ich will keine Droge verharmlosen, aber ich wünsche mir, dass sie alle gleich behandelt werden.

In Bezug auf unangemeldete Partys sagen Sie, Köln sei eine „schwierige Stadt“. Inwiefern?

Köln schwankt immer hilflos zwischen Anspruch und Wirklichkeit. Man will eine Kulturmetropole, Musik- und Medienstadt sein, bremst aber zugleich mit der Härte des Gesetzes vieles aus. Das Kölner Ordnungsamt hat sich zu einer Art Ersatzpolizei hochgejazzt, die sehr martialisch auftritt. Manchmal frage ich mich, warum ich das eigentlich als Bürger finanziere.

Hatten Sie selbst mal Ärger mit der Polizei?

In Cleveland wollten sie mich mal festnehmen. Wir legten auf einer Halloween-Party mit lauter Verkleideten auf, und irgendwann fand die Polizei heraus, dass Spiderman und Catwoman Drogen vertickten. Dann hieß es „Party is over“, und der Polizist drohte mir mit Handschellen, damit ich keine letzte Platte auflegte. Habe ich dann auch gelassen.

Zur anstehenden Fußball-EM organisieren Sie im Auftrag der „Stiftung Fußball & Kultur Euro 2024“ der Bundesregierung das Kulturprogramm „FU24BA7L“ mit 24 Events an 7 verschiedenen Orten in Köln. Ist Fußball ein Kulturträger?

Fußball-Kultur ist kein Subgenre von irgendwas, sondern eine eigene Kultursparte. Fußball ist ein Kommunikator und wirkt in die Gesellschaft hinein. Menschen, die sich um ein Spiel herum scharen: eine uralte, archaische Sache, ein Zirkus mit eigenem Fantum und eigenen Codes, die sich etwa in Kleidung und Gesängen äußern. Natürlich ist Fußball auch ein Gefäß, in das man viel Mist stopfen kann.

FU24BA7L will Diversität und Nachhaltigkeit vermitteln.

Der Auftrag kommt ja quasi von Claudia Roth und Philipp Lahm als Köpfe der „Stiftung Fußball & Kultur Euro 2024“. Wir zeigen mit unseren Veranstaltungen, dass der Fußball diese gesellschaftliche Kraft hat. Beispiel: Zum Thema Diversität gibt es keinen besseren Partner als den „Come-Together-Cup“, also machen wir mit denen was. Genauso steht die „Rheinflanke“ für Integration und Bildung durch Sport.

Aber am wichtigsten ist auf'm Platz?

Finde ich eben nicht! Zum Spiel an sich gehört die Kultur drumherum − was in den Köpfen, den Herzen, im sozialen Zusammenhang passiert. 24/7 eben.

Dennoch: Wer wird Europameister, und wie weit kommt Deutschland?

(überlegt sehr lange und ernsthaft) Deutschland kommt ins Halbfinale und die EM gewinnt − England.

Sie selbst sind nach vielen aktiven Jahren in der Bunten Liga inzwischen dort Schiedsrichter. Was gibt Ihnen diese Hobbyliga im Potpourri Ihrer verschiedenen Jobs?

Zum einen habe ich da als Schiri so etwas wie eine neue Bühne gefunden. Und zum anderen: Die Bunte Liga ist ein sozialer Raum, in dem das Spiel sich entfalten kann, ohne zu eskalieren. Man ist ehrgeizig, aber kämpft nicht gegen-, sondern miteinander. Ich lehne es ab, wenn im Fußball Nationalismen ausgetragen werden, wenn Gewalt und Diskriminierung herrschen und es nur ums Besiegen, Kleinmachen, Fertigmachen geht. Das sind, mit Klaus Theweleit gesprochen, trostlose Männerfantasien.

Bunte-Liga-Schiris bekommen 40 Euro für die Leitung eines Spiels. Was machen Sie denn mit all der Kohle?

(lacht) Die kommt in ein Sparschwein. Letztes Jahr habe ich mir davon ein Fahrrad gekauft. Aber unter uns: Ich würde auch umsonst pfeifen

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