Interview

Bürgergemeinschafts-Vorsitzender
„In Köln glaubt man, alles in die enge Altstadt packen zu können“

Lesezeit 7 Minuten
Dr. Joachim A. Groth,
Vorsitzender der Bürgergemeinschaft Altstadt
Verein zur Förderung einer lebenswerten Altstadt e.V.

Dr. Joachim A. Groth vor dem Kölner Dom.

Joachim A. Groth ist Vorsitzender der Bürgergemeinschaft Kölner Altstadt. Mit Bernd Imgrund spricht er über den EM-Sommer, das spannende Chaos der Stadt und seinen Hang zur Lyrik.

Die Bürgergemeinschaft Altstadt residiert in einem schlichten Büro an der Bürgerstraße. Aber auch in diesem Haus stecken 2000 Jahre Geschichte: Der Keller grenzt an die antik-römische Stadtmauer.

Wofür steht das A. zwischen Joachim und Groth?

Mein Vater hieß Alfons, mein Patenonkel August. Als beide gestorben waren, fand ich es hilfreich für mich, mit dem A. an sie zu erinnern.

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Sie kommen aus Recklinghausen, also aus dem Ruhrgebiet.

Meine beiden Großväter waren Bergleute, die alte Bergmannsehre halte ich bis heute hoch. „Wir nehmen nichts vom Staat, eher essen wir trocken Brot“, hat meine Oma oft gesagt − und das mit sechs Kindern in der Zwischenkriegszeit! Mein Vater war dann das einzige Kind, welches studieren durfte, er wurde Richter.

Sie haben in Marburg studiert. Wie erinnern Sie sich an die dortige Altstadt?

In den 1970ern drohte im Rahmen einer geplanten Sanierung die Zerstörung dieser historischen Substanz mit vielen Gebäuden aus dem 15., 16. Jahrhundert. Mich hat fasziniert, dass man noch erahnen konnte, welche Geistesgrößen dort gewirkt haben. Denken wir nur an Paul Natorp, Martin Heidegger, Hannah Arendt oder Hans-Georg Gadamer. Im beliebten Café Vetter trugen die Tische deren Namen.

Warum wirkt die Marburger Altstadt vergleichsweise sauber und behütet?

Marburg ist allein durch die Hügellage vor Massenveranstaltungen gefeit. In München oder Berlin hat man dafür große Plätze. In Köln glaubt man, alles in diese enge Altstadt packen zu können. Aber das ist eine Überforderung.

Nicht zuletzt alljährlich in der Karnevalszeit.

Früher gab es den 11.11., Weiberfastnacht und den Rosenmontagszug. Heute nimmt dieses Fest immer mehr Zeit und Raum in Anspruch. Und hinzu kommen der CSD, die Weihnachtsmärkte, Demonstrationen und und und.

Warum haben Sie, gebürtiger Recklinghäuser, das pittoreske Marburg verlassen und sich 1992 in der Kölner Altstadt angesiedelt?

Ich wollte noch einmal in die Welt hinaus. Und weil meine Frau in Köln Arbeit fand, sind wir hier gelandet. Köln war Anfang der 1990er eine ausgesprochen virulente Stadt − allein die Kunstszene! Wir wohnten damals vis á vis von Hanns-Dieter Hüsch und konnten uns vom Balkon aus grüßen.

Wie begegnen Sie dem Vorurteil, die Altstadt sei nur für Touristen interessant?

Die Kölner Altstadt ist ein 2000-jähriger Kulturgrund und von daher natürlich touristisch interessant. Aber sie ist auch bis heute ein charmantes Wohnviertel mit Wohnanlagen wie etwa dem Brügelmannhaus, An Farina oder An Groß St. Martin.

Stichwort „charmant“: Riecht es in den Gassen am Sonntagmorgen eher nach Urin oder Erbrochenem?

Es ist leider zuweilen eine Mischung aus beidem. Junggesellenabschiede und Großveranstaltungen überlagern die Klasse, die Köln immer noch hat. Für uns als Bürgergemeinschaft ist unverständlich, dass das städtischerseits einfach hingenommen wird.

Man könnte auch über eine bestimmte Art Touristen reden.

Selbstverständlich. Öffentliche Räume werden nicht mehr als gemeinschaftliches Eigentum betrachtet, das es zu bewahren gilt, sondern nur noch konsumiert. Da werden die Zigarettenkippen einfach weggeschnipst und die Bierflasche fallengelassen, als wäre das ein Sport. Es wäre eine der vornehmsten Aufgaben der Politik, die Menschen wieder zu sensibilisieren für solche allgemeinen Besitztümer.

Was ist noch wirklich alt in der Altstadt?

Natürlich ist im Krieg sehr viel zerstört worden. Aber unterirdisch verfügen wir hier über ein ganz wunderbares Flächendenkmal. Eine Welt für sich, die durch das MiQua erschlossen werden wird. Und dann gibt es ja oberirdisch auch noch die Romanischen Kirchen, den Dom oder auch das Wallraf-Richartz-Museum mit seinen historischen Kunstschätzen.

Wie vergleichen Sie Köln mit Ihrer Arbeitsstadt Bochum, wo Sie an der Ruhr-Universität Jura lehren?

Köln ist leichtfüßiger, vielleicht auch leichtsinniger als das bodenständige Bochum. In Köln fehlt häufig die Ernsthaftigkeit, alles wird einfach weggeschunkelt. Das mag sympathisch wirken, aber am Ende des Tages muss man eben auch abrechnen.

Aus den Türen der Altstadtkneipen dringt in der Regel Ballermannmusik. Welche Musik verbinden Sie mit Ihrem Veedel?

In manchen Lokalen wird seit einigen Jahren wieder das alte Kölner Liedgut gepflegt − kölsche Krätzchen zum Beispiel. Auch die Lieder von Willi Ostermann − sein Brunnen steht ja mitten in der Altstadt − sind ein wertvoller Schatz.

Stimmt es, dass die Altstadt-Gastronomie von zwei Clans aus Sri Lanka und dem Libanon dominiert wird?

Die Altstadt-Gastronomie wird durch eine Vielzahl unterschiedlicher Eigentümer geprägt. Im Rheingarten am Rheinufer haben allerdings in der Tat zwei Großfamilien in den letzten Jahren diverse Betriebe aufgekauft.

Welche Auswirkungen hat das?

Insbesondere im Rheingarten haben wir das Problem, dass eine Vielzahl von Werbetafeln nicht mit der dort geltenden Werbesatzung übereinstimmt. Zudem werden auch immer wieder Flächen der Außengastronomie zu Lasten der dortigen Grünflächen und Baumbestände eigenmächtig vergrößert, etwa durch Kappung der Kronen und Äste.


Zur Person

Joachim A. Groth wurde 1962 in Recklinghausen geboren. Nach Abitur und Bundeswehr ging er 1982 zum Jurastudium nach Marburg. Nach dem 2. Staatsexamen zog er in die Kölner Altstadt und arbeitet seitdem als Dozent an der Ruhr-Universität in Bochum. 1994 war er Mitgründer der damaligen Bürgerinitiative Alter Markt, dem Vorgänger der Bürgergemeinschaft Altstadt, deren Vorsitzender er seit 2016 und bis heute ist. Seit 2012 ist er im Lions Club Köln aktiv, wo er ebenfalls mehrere Ämter innehatte. Das Vorstandsmitglied des Kölner Verkehrsvereins ist zudem Mitglied im Haus der Architektur und bei Transparency International. 2023 erhielt er vom Bundespräsidenten das Bundesverdienstkreuz am Bande für das Engagement in seinem Veedel. Joachim A. Groth wohnt, wie könnte es anders sein, in der Altstadt. www.buergergemeinschaft-altstadt.de


Wie läuft die Kommunikation der Bürgergemeinschaft mit diesen Großgastronomen?

Wenn ein Kontakt existiert, werden unsere Beschwerden zwar aufgenommen, bleiben jedoch zumeist erfolglos. Seit letztem Jahr versucht die Kölner Stadtverwaltung hier verstärkt, den Auswüchsen zu begegnen. Auch soll ein neuer Leitbildprozess für diese Visitenkarte der Stadt aufgesetzt werden.

Wieviel Wohnraum ist in den letzten Jahren an AirBnB & Co. verloren gegangen?

Bei Einzelobjekten, jenseits der großen Wohnanlagen, muss man die Entwicklung tatsächlich mit Sorge betrachten. Häuser werden aufgekauft, die Altmieter werden auf Eigenbedarf gekündigt und die Wohnungen dann für ein Vielfaches über AirBnb vermietet. Ich denke, bis zu dreißig Prozent der Einzelobjekte werden inzwischen so verwaltet.

Was tut die Stadt dagegen?

Das Wohnungsamt hat die betreffende Abteilung inzwischen von drei auf elf Mitarbeiter aufgestockt. Aber für eine Millionenmetropole ist das viel zu wenig.

Sie kämpfen einen anscheinend aussichtslosen Kampf. Was macht Ihnen Spaß an Ihrem Ehrenamt?

(lacht) Gerade ich als Imi bin fasziniert von diesem historischen Areal und der hiesigen Kultur. Das Kölner Chaos kann auch verdammt spannend sein, denken Sie an das MiQua, die Erweiterung des WRM, die Via Culturalis und weitere Projekte.

Neben der Altstadt gilt eine weitere Leidenschaft der Lyrik. Was fasziniert Sie an Gedichten?

Fontane hat einmal sinngemäß gesagt, dass ein Gedicht ein Roman in wenigen Worten ist. Ein gutes Gedicht kann ein Problem gleichzeitig auf einen Punkt bringen, aber auch unendliche Interpretationswelten eröffnen.

Für wen hält Bergmannssprössling Groth, wenn der FC gegen Schalke 04 spielt?

Ich gebe mich da neutral, aber vom Herzen her leide ich eher mit meiner alten Region. (lacht)

Demnächst kommt die Fußball-Europameisterschaft auf die Altstadt zu. Was passiert schlimmstenfalls?

Als 2008 klar war, dass auch in Köln EM-Spiele stattfinden, teilte uns der Rat mit, für ein Public Viewing auf Heu- und Alter Markt seien weder die rechtlichen Voraussetzungen noch die Kapazitäten gegeben. Außerdem könne die Sicherheit der Gäste nicht gewährleistet werden. Angesichts der heutigen Anschlagsgefahr hat sich gerade das letztere Problem noch einmal verschärft.

Was droht den Anwohnern?

Wir werden wahrscheinlich vier Wochen lang im Hochsommer die Fenster nicht aufmachen können, weil bis in die Nacht gefeiert werden wird. Und dann hat die Stadt tatsächlich auch noch den CSD auf die Woche nach der EM gelegt! Die Dauerbelastungen führen im schlimmsten Fall zu einer weiteren Zersetzung der Sozialstruktur und dem Wegzug von Familien oder aber auch kleineren Unternehmen und Händlern.

Wird Deutschland denn wenigstens Europameister?

Eine sehr unangenehme Frage. Den Titel holen wir nicht. Wir werden wohl nicht einmal unter den ersten Drei landen.

Haben Sie zum Schluss noch ein Gedicht für uns?

Hilde Domin: „Nicht müde werden/ sondern dem Wunder/ leise/ wie einem Vogel/ die Hand hinhalten.“ Das passt! (lacht).

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