Spielen sie zu laut, kommt der Ordnungsdienst: Die „Dezibel-Blitzer“ in Köln sind kurz vor dem Start.
„Dezibel-Blitzer“ in KölnMessgeräte am Kölner Dom sollen Straßenmusiker überwachen
Bamboleo aus vollen Rohren. Die Balkan-Jazz-Combo greift aus Leibeskräften in die Saiten von Gitarre und Bass. Mit dicken Wangen wird in Trompete und Saxophon geblasen. Der Schlagzeuger schont das Trommelfell nicht. Der Gassenhauer der Gipsy Kings mit eingebautem Urlaubsgefühl entfaltet so die gewünschte Wirkung. Er lockt Zuhörer noch aus großem Umkreis an – laut genug spielen die fünf Musiker ja dafür. Doch nicht mehr lange, und ihnen werden dafür wahrscheinlich die Flötentöne beigebracht. Denn die sogenannten Dezibel-Blitzer für Straßenmusiker stehen kurz davor, offiziell ihre Arbeit aufzunehmen. Nach Informationen der Rundschau soll der Rat noch vor der Sommerpause darüber entscheiden. Eine entsprechende Vorlage mit Auswertung eines Pilottestes liegt in der Verwaltung auf den Schreibtischen.
Elektrische Verstärker sind in Köln bereits seit 2018 verboten
Wie so viele Projekte in dieser Stadt, so haben auch die Dezibel-Blitzer einen langen Vorlauf. 2018 – nach einer langen Leidensphase – waren die Proteste der Anwohner rund um den Wallraf-Platz so massiv, dass die Stadtverwaltung reagierte. Ein erster Schritt: Den Straßenmusikern wurde der Stecker gezogen. Ihnen wurden elektrische Verstärker untersagt. Doch wie die Balkan-Jazzer beweisen, es braucht keinen Strom aus der Steckdose, wenn die Musiker ausreichend Energie mitbringen. Also holte der sogenannte Domkümmerer, Wilhelm Belke, zu einem Pilotprojekt aus. In anderen Städten wie beispielsweise München gab es schon erste Versuche, Straßenmusikern mit Lautstärkemessungen entgegenzutreten.
Ordnungsamtsmitarbeitende zogen mit Messgeräten durch die Stadt. Doch da könnten sich die städtischen Ordnungshüter rund um den Dom wohl die Füße plattlaufen, wollten sie sich immer auf Höhe der zahlreichen Musiker aus nah und fern bewegen. In München war der Versuch dann auch eher ein Lacherfolg, ein gefundenes Fressen für den Boulevard.
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Also kamen Belke und sein Team auf eine andere Idee: Nicht die Messgeräte gehen dort hin, wo die Musiker sind, sondern die Musiker müssen dort sein, wo die Messgeräte sind. Also sollten den mehr oder minder talentierten Instrumentalisten und Sängern aus aller Herren Länder feste Standorte rund um den Dom zugewiesen werden. Und an diesen Standorten sollten die Messgeräte fest installiert sein. Überschreitet dann die Sanges- und Spiellust den Pegel von 80 Dezibel, würde das Gerät einen Alarm auslösen beim Ordnungsamt. Die „Musikpolizei“ rückt aus und fordert zum runterpegeln auf oder verweist des Platzes. So weit, so gut. Die festen Spielstätten waren schon ausgewiesen. Allerdings brauchte es auch dafür längeren Anlauf. In einem ersten Versuch wurden Notensymbole an entsprechender Stelle aufgemalt. Weil es aber rund um den Dom viel historisches Pflaster gibt, wurde keine tiefgreifende Farbe verwendet. Ein bisschen Regen und die Noten schmolzen dahin wie weiland die weiblichen Fans bei „Love me tender“ von Elvis. Und dann kam Corona. Da brauchte es keine Markierungen mehr, da war nichts mehr zu pegeln. Das öffentliche Leben lag brach. Die Straßenmusikerbranche erlebte eine Krise.
Doch auch das ging vorbei und im vergangenen Jahr, pünktlich zu Beginn der Freiluftmusik, fiel dem aufmerksamen Beobachter auf: Über den festgelegten Standorten für die Straßenmusiker hängen kleine Kästchen mit einem kleinen Mikrofon an der Unterseite.
Verwaltung hat Bedenken wegen Datenschutz ausgeräumt
Klammheimlich hatte die Stadtverwaltung die „Dezibel-Blitzer“ angebracht. Die Rundschau fragte nach und erhielt als Antwort: Die Testphase des Pilotprojektes habe begonnen. Mehr könne dazu noch nicht gesagt werden. Die Ergebnisse würden für das letzte Quartal in 2023 erwartet. Der Rest war Schweigen und Sangeskunst.
Es dauerte dann wohl doch länger mit den Ergebnissen, aber nun liegen sie nach Informationen der Rundschau vor. Aus der Verwaltung ist zu hören, dass eine entsprechende Vorlage erstmals am 10. Juni im Digitalisierungsausschuss zur Diskussion gestellt wird und noch vor der Sommerpause den Stadtrat passieren soll. Die Empfehlung der Verwaltung an die Politik: „das Pilotprojekt verfestigen“. Aus der Testphase hat sich demnach ergeben, die Dezibel-Blitzer arbeiten zuverlässig. Und auch ein Grundsatzproblem scheint behoben, dass sich bei Ankündigung des Versuchs abzeichnete. Es gab nämlich Bedenken wegen des Datenschutzes. Widerspricht es nicht den Richtlinien, wenn die Dezibel-Blitzer permanent aufzeichnen? Ist auf diese Art etwas mitzubekommen, was nicht für öffentliche Ohren bestimmt ist? Die Lösung nach Informationen der Rundschau: Die Dezibel-Messgeräte senden wohl nur alle zehn Sekunden Schallpegel an einen Server. So sollen sie datenschutzverträglich sein.
Da muss sich die eine oder andere Combo wohl schon bald auf ein neues Repertoire einstellen. Denn Bamboleo ohne überschäumende Spielfreude lässt sich ja eigentlich gar nicht denken.
Auch in der Altstadt soll Straßenmusik stärker reglementiert werden
Die Stadt Köln will Straßenmusik auch in der Altstadt stärker reglementieren. Musikalische Darbietungen sollen wie die Rundschau gestern berichtete – in Zukunft insbesondere auf dem Alter Markt und Heumarkt nur noch an bestimmten dafür ausgewiesenen Stellen erlaubt sein. Wenn dieser Vorschlag im Stadtrat eine Mehrheit findet, könnten in der Altstadt ähnliche „Dezibel-Blitzer“ installiert werden, wie es sie bereits rund um den Dom gibt. Sie sind mit einem Notenschlüssel markiert und werden von Solarzellen gespeist.
Geht es nach dem Willen der Stadt, darf am Kurt-Rossa-Platz an der Hohenzollernbrücke künftig keine Straßenmusik mehr gespielt werden. Die Begründung: Die Engstelle dort dürfe nicht durch zusätzliche Menschenansammlungen zur „Gefahrenstelle“ für Rad- und Fußverkehr werden. Im Rheingarten soll Straßenmusik hingegen nicht eingeschränkt werden. Unklar ist, ob die Politik den Vorstoß absegnet. Hintergrund der Pläne sind Konflikte mit Anwohnern am Heumarkt und mögliche Klagen gegen die Stadt wegen Lärmbelästigung. Man wolle die wiederkehrenden Belastungen „in vertretbarem Maße“ reduzieren, so die Stadt. (fu)