Polizei und GerichteSo nutzt die Kölner Justiz Künstliche Intelligenz

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Das Logo der zentralen Anlaufstelle für Cybercrime (ZAC) hängt an einer Glastür.

Das Logo der zentralen Anlaufstelle für Cybercrime (ZAC) hängt an einer Glastür.

Der Einsatz Künstlicher Intelligenz ist umstritten. Erst recht bei Polizei und Justiz. Wo ist neue Software eine Hilfe? Eine Bestandsaufnahme.

Die Beweismittel passen in einen Umzugskarton. Speicherkarten, Laptop, Festplatte. Es geht um den Verdacht der Verbreitung und vielleicht auch Herstellung kinderpornografischen Materials. Alles, was die Ermittlerinnen und Ermittler finden können, befindet sich auf diesen Medien. In dem Schuhkarton liegt eine Datenmenge von 25 Terrabyte, mit der Sichtung des Materials wäre ein Mensch Monate beschäftigt. Und bei den Ermittlungsbehörden gibt es viele Kartons mit vielen Speichermedien.

„Bei uns laufen die Asservatenkammern über“, hatte Michael Esser, Leiter der Kölner Kriminalpolizei, jüngst im Rundschau-Interview beanstandet. Bei vielen Delikten werden Mobiltelefone oder andere Datenträger konfisziert - deren Auswertung dauert oft Monate. „Es ist nachvollziehbar, dass wir bei solchen Datenmengen mit menschlichen Ressourcen irgendwann am Ende sind“, gibt Staatsanwalt Dr. Christoph Hebbecker zu bedenken, er ist Sprecher der Zentral- und Ansprechstelle Cybercrime NRW (ZAC NRW) in Köln.

Kontroverse Diskussionen über KI

Computerprogramme, die auf künstlicher Intelligenz basieren, werden derzeit in vielen Branchen getestet, etwa in der Medizin. Kaum ein Einsatzfeld wird so kontrovers diskutiert wie die Strafverfolgung. „Mit der Anwendung von Systemen Künstlicher Intelligenz gehen neben allen Chancen auch Risiken einher, die teilweise sehr schwer wiegen können“, gibt die Kölner Jura-Professorin Frauke Rostalski zu bedenken, die sich als Mitglied des Deutschen Ethikrats auch mit der Frage der moralischen Komponente befasst. Nicht alles, was technisch einmal möglich zu sein scheint, sei auch wünschenswert, so Rostalski.

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Auf der Wunschliste der Polizei steht der Einsatz von AIRA weit oben. So heißt das von der ZAC NRW gemeinsam mit Partnern wie Microsoft und der österreichischen Firma T3K-Forensics GmbH entwickelte Forensik-Tool zur Bekämpfung der Kinderpornografie - es ist lernfähig, denn es basiert auf Künstlicher Intelligenz.

AIRA hat das Herausfiltern kinderpornografischer Fotos und Videos trainiert, gefüttert wurde das Programm mit bereits beschlagnahmten Bildern. „Es ist mit einer Trefferquote von deutlich mehr als 90 Prozent in der Lage, vollautomatisch enorme Datenmengen nach strafbaren Missbrauchsdarstellungen zu durchsuchen “, erklärt Hebbecker die Vorzüge des Programms. Derzeit wird geprüft, wie AIRA flächendeckend etwa bei Hausdurchsuchungen direkt eingesetzt werden kann, um in kurzer Zeit Verdachtsfälle zu prüfen.

Elektronisches Gerichtslabor

In einem Universitätsgebäude im Stadtteil Zollstock hat NRW-Justizminister Peter Biesenbach (CDU) vor knapp zwei Jahren ein elektronisches Gerichtslabor eingeweiht. Ein Ort der Zukunft. Mittels eines Aufnahmesystems der Firma Fujitsu wird die komplette Verhandlung in Bild und Ton aufgezeichnet, Künstliche Intelligenz sorgt für die Umwandlung von Ton- in Textdateien.

Als „sehr erfreulich“ bezeichnet Frauke Rostalski die Ergebnis der ersten Testläufe. Fehler sind durchaus möglich, bei einer Testverhandlung verwandelte das System das Wort Kasse in die Stadt Kassel. Es entstehe jedoch ein Transkript, „dass des Verfahrensbeteiligten enorm dabei helfen kann, das Hauptverhandlungsgeschehen insgesamt nachzuvollziehen und sich gewisse Vorgänge und Aussagen wieder in Erinnerung zu rufen“, sagt Rostalski.

Am Kölner Landgericht sind die Ansichten zum Einsatz Künstlicher Intelligenz in der Justiz äußerst divergent. „Wenn rechtsstaatliche Grundsätze eingehalten werden, gibt es keine Bedenken“, sagt Gerichtssprecher Professor Jan Orth. Der elektronische Gerichtssaal biete „faszinierende Möglichkeiten“, etwa dreidimensionale Tatort-Modelle, die in den Gerichtssaal projiziert werden können. Jüngst hat der Bundestag debattiert, wie ein Rechtsrahmen für den Einsatz Künstlicher Intelligenz in der Justiz aussehen kann.

Kameras mit KI

Die Entwicklung der technischen Möglichkeiten vollzieht sich rasant. Und deren Missbrauch ebenfalls. Als die Zentralstelle Cybercrime im Jahr 2016 eingerichtet wurde und fünf Staatsanwältinnen und Staatsanwälte erhielt, um vornehmlich gegen Darknet-Plattformen und Angriffe auf Firmennetzwerke vorzugehen, reichten für die Abteilung ein paar Büros im Gebäude der Staatsanwaltschaft.

Inzwischen arbeiten fast 50 Personen bei der ZAC NRW, kürzlich folgte der Umzug in ein einstiges Verlagshaus in Klettenberg, auch die CumEx-Abteilung der Staatsanwaltschaft hat dort ihre Büros bezogen. Die Generalstaatsanwaltschaft ist hier ebenfalls vertreten und verfolgt verschiedene Forschungsprojekte zum Einsatz Künstlicher Intelligenz in der Justiz.

Bewegungsprofile mit Kameras erstellen

Technisch machbar ist bereits heute eine automatisierte Gesichtserkennung in Echtzeit. Doch ist der Einsatz solcher Mittel auch wünschenswert? „Sobald Kameras großflächig installiert und die Bildaufnahmen zu Zwecken der Identifikation verwertet werden dürfen, wird eine Gesellschaft potenziell im Sinne der Orwell'schen Dystophie überwacht“, warnt Rostalski. Mit Hilfe der Kameras sei es möglich, Bewegungsprofile von Menschen zu erstellen.

Für unbedenklich hält die Rechtsexpertin die Entwicklung von Strafzumessungsdatenbanken. Weil die Urteile an Gerichten zu vergleichbaren Vergehen zum Teil sehr unterschiedlich ausfallen, sei dies als Hilfestellung für Richterinnen und Richter denkbar. Hierdurch ließe sich letztlich die Akzeptanz von Urteilen erhöhen, hofft Rostalski.

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