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KölnDarum fiel die Wahlbeteiligung in den Stadtteilen so unterschiedlich aus

Lesezeit 4 Minuten
Grafik Wahlbeteiligung

Die Wahlbeteiligung in den Kölner Stadtteilen

Köln – Nur etwas über ein Drittel aller Wahlberechtigten hat sich aufgerafft, über das neue Stadtoberhaupt mitzubestimmen. Die Zahlen aus anderen Städten sind vergleichbar. Das hat Henriette Reker „nachdenklich, um nicht zu sagen bedrückt“ gemacht. Sie habe auch an Belarus gedacht: „Da sterben Menschen dafür, frei wählen zu dürfen. Wir sind immer noch zu weit weg mit unseren Kontakten und Gesprächen zu Menschen, die sich nicht mitgenommen fühlen.“ Sie sei einmal im Jahr über ihr Format „Stadtgespräche“ in jedem Bezirk. „Da muss es aber noch andere Möglichkeiten geben.“

Ganz vorne landet Klettenberg mit 52,14 Prozent Wahlbeteiligung, gefolgt von Stadtteilen wie Lindenthal mit 48,32 Prozent, Lövenich mit 47,59 Prozent oder Sülz mit 47,14 Prozent. Auch Veedel wie Dellbrück, Rath-Heumar, Weiß oder auch Braunsfeld schneiden gut ab, die Innenstadt auch. Gut situiert, mit einigermaßen funktionierender Infrastruktur.

Klettenberg ganz vorne, Chorweiler abgeschlagen

Am anderen Ende der Fahnenstange Chorweiler mit 10,73 Prozent, Finkenberg mit 16,17 Prozent, Gremberghoven mit 16,76 Prozent. Meschenich mit seinem Kölnberg kommt wohl nur deshalb auf immerhin 20,15 Prozent, weil die Altgemeinde miteingerechnet wird. Die Liste lässt sich beliebig mit den altbekannten „sozialen Brennpunkten“ fortführen. Aber warum?

Wenn man sich dort umhört, fällt unvermeidlich irgendwann immer derselbe Satz: „Die da oben machen doch sowieso, was sie wollen.“ Reinhard Zöllner kennt die Problematik. Er ist seit 2014 Bezirksbürgermeister von Chorweiler. „Im Grunde können wir nur Vermutungen anstellen“, sagt er. Was ihm aber immer wieder auffällt, ist, dass vielen Menschen nicht nur in seinem Bezirk ein ganz grundlegendes Politikverständnis fehlt: „Bei meinen Sprechstunden heißt es immer wieder, warum hast du dies getan und jenes nicht verhindert. Dass ich letztlich aber viele Dinge gar nicht zu entscheiden habe, mag den einen oder anderen frustrieren.“

Neugestaltung der Plätze als Beispiel

Als Beispiel nennt er die Neugestaltung der Plätze in Chorweiler. Alles nur wegen der Wahl, hätten ihm Leute gesagt, und Bäume mussten auch noch weg. Dass davor jahrelange politische Entscheidungsprozesse liefen, dass die Planungen öffentlich diskutiert wurden, dass die Gelder überwiegend vom Land kamen, dass letztlich alles auf demokratischen Entscheidungsstrukturen beruht – das sei oft schwer zu vermitteln. Wenn überhaupt.

Ein anderer Gedanke begründet sich in den vielen unterschiedlichen Nationen, die in Stadtteilen wie Chorweiler oder Finkenberg zusammenleben. „Wenn ich oder meine Eltern in einem Land aufwachsen, in dem das Interesse an Wahlen ohnehin nicht groß ist – werde ich es dann hier entwickeln?“Traditionell hoch ist die Wahlbeteiligung im Bezirk Lindenthal. Bezirksbürgermeisterin Helga Blömer-Frerker weiß, dass das trotz anderer Klientel als etwa in Chorweiler kein Selbstläufer ist: „Wir gehen aktiv auf die Schulen zu, gerade dort ist politische Bildung immens wichtig.

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Und die Schulen kommen auch auf uns zu“, erklärt sie. Ein mangelndes Interesse hat sie dabei noch nicht erkennen können, eher im Gegenteil: Zu erklären, was eine Bezirksvertretung macht, was die Ausschüsse machen, der Rat – all das falle durchaus auf fruchtbaren Boden. Erst recht, wenn man politische Prozesse an praktischen Beispielen deutlich machen kann, etwa über Anregungen an den Verkehrsausschuss zu überfüllten Bussen – und die Situation entschärft sich daraufhin.

Auch Lindenthal ist ein internationaler Bezirk, eher bedingt durch die Uni, die Sporthochschule und internationale Institutionen als durch die existenzielle Suche nach einem gerade noch bezahlbaren Dach über dem Kopf. „Wenn ich bei Einbürgerungen Menschen aus anderen Ländern den Artikel 1 unseres Grundgesetzes und dessen Konsequenzen auseinandersetze, ist das Interesse riesengroß.“ Auch daraus entwickele sich oft ein Verständnis für Entscheidungsabläufe in der Politik.

Viele Faktoren spielen eine Rolle

Untersuchungen zum Zusammenhang Nicht-Wähler und soziales Umfeld gibt es nach jeder Wahl und immer wieder. Tatsächlich ist auffällig, dass weniger Menschen zur Wahl gehen, je schlechter die finanziellen oder bildungspolitischen Voraussetzungen sind. Und je weniger „wichtig“ die Wahlen wahrgenommen werden. Aber noch etwas wird genauso regelmäßig deutlich: Es gibt nicht den einen Grund dafür. Es sind viele Faktoren, die ineinander spielen.