Meine RegionMeine Artikel
AboAbonnieren

Serie

777 Jahre Kölner Dom
Wie ein  Zufallsfund die Fertigstellung der berühmten Kathedrale ermöglichte

6 min
Der Kölner Dom wird 777 Jahre alt.

Der Kölner Dom wird 777 Jahre alt.

Ohne den Fund eines Zimmermanns wäre die Fertigstellung wohl nur deutlich ungenauer möglich gewesen.

Weil der Kölner so gerne feiert, gibt es neben den üblichen Jubiläen auch noch die „kölschen Jubiläen“. Der Dom kann in diesem Jahr ein solches feiern: 777 Jahre ist die Grundsteinlegung her. Die Rundschau widmet dem Kölner Wahrzeichen dazu eine Serie. In der ersten Folge geht es um die Domgrabung und die Frage: Was war vor dem Kölner Dom da?

Es ist eine Weisheit, auf der jede Rosamunde-Pilcher-Verfilmung beruht: Der Weg zum großen Glück führt oft über ein kleines Unglück. Und was für Gefühlswirrungen an der Küste von Cornwall gilt, das gilt erstaunlicherweise auch für den Kölner Dom. Denn wäre es im Jahre 1814 an dem Darmstädter Gasthof „Zur Traube“ nicht zu einem Dachschaden gekommen, wer weiß, ob der Kölner Dom heute so dastünde, wie er dasteht. Der Zimmerpolier Johann Furler stieg damals der „Traube“ aufs Dach. Sein Auftrag lautete, den Schaden zu reparieren. Sein Schicksal war es, dass er dabei im Dachstuhl über eine verschollen geglaubte Zeichnung „stolperte“: eine Hälfte eines mittelalterlichen Fassadenrisses des Kölner Doms. Mit dieser und der wenig später gefundenen zweiten Hälfte war eine wichtige Grundlage für die Fertigstellung der heute weltberühmten Kathedrale ab dem Jahr 1842 geschaffen.

Der vom Polier gefundene Plan fand seinen Weg in die Hände des hessischen Oberbaudirektors Georg Moller – und der wandte sich umgehend an Sulpiz Boisserée in Köln, den Kunstsammler, Architekturhistoriker und vor allem unermüdlichen Werber für eine Fertigstellung des Doms. Moller schreibt Boisserée von dem Moment, als der Plan vor ihm ausgerollt wurde: „Denkt euch meine Freude, ja – mein Entsetzen, denn wahrlich ich glaubte zu träumen und glaube es noch jetzt – der Dom von Köln.“

Der Fassadenriss F fristet ein „Schattendasein“ in der Johanneskapelle. Der schwere grüne Vorhang ist in der Regel immer geschlossen.

Der Fassadenriss F fristet ein „Schattendasein“ in der Johanneskapelle. Der schwere grüne Vorhang ist in der Regel immer geschlossen.

Dass dieser Traum wahr werden würde, daran konnten wohl nur unverbesserliche Träumer wie Boisserée glauben. Denn die Zeichnung auf einem 406 Zentimeter hohen und 166 Zentimeter breiten Pergament nahm einen abenteuerlichen Weg, an dessen vorläufigen Ende er spurlos verschwunden schien. „Über die ersten fünf Jahrhunderte des Planes ist nur wenig bekannt. Offensichtlich war er seit dem Mittelalter so ausgestellt, das man ihn als Dombesucher sehen konnte“, schreibt der ehemalige Dombaumeister Arnold Wolff in einem Aufsatz für das Domblatt im Jahr 2007. Was auf dem Plan zu sehen ist: Die Front des Doms mit dem Süd und den Nordturm sowie dem Mittelteil der Fassade. „Zweifellos ist der Plan F die bedeutendste Architekturzeichnung, die aus dem Mittelalter überliefert ist. Zum ersten Mal wird hier eine große Kirchenfassade, ja die größte bis dahin geplante überhaupt, nicht nur in allen Einzelheiten so dargestellt, dass sie sich wirklich danach bauen ließe, sondern auch so, dass man sie sich, ohne Architekt zu sein, als fertiges Bauwerk vorstellen konnte“, schreibt Wolff. Die Begeisterung für Plan und Werk sprüht aus jedem Buchstaben.

Als Boisserée Anfang des 19. Jahrhunderts hartnäckig für den Weiterbau warb, hätte er den Plan F gut gebrauchen können. Doch er war weg. Was mit ihm wirklich geschah, liegt bis heute im Dunkel. Wolff geht in seinem Domblatt-Beitrag davon aus, dass er sich im Gepäck der Domherren befand, als diese 1794 vor den französischen Revolutionstruppen Reißaus nahmen. Mit 32 Wagenladungen hatten die sich nach Osten abgesetzt. Im Kloster Wedinghausen bei Arnsberg fanden sie Zuflucht. Was im Dom zurückblieb, wurde von den Franzosen in dreizehn Fuhren nach Paris verbracht. In der französischen Hauptstadt jedoch fand sich vom Plan F keine Spur. Da Boisserée Anfang des 19. Jahrhunderts aber auch in deutschen Landen die Spur des Plans nicht aufnehmen konnte, ging er wiederum davon aus, dass er sich doch in Frankreich befinden müsse. Ja wo denn nun, Frankreich oder Deutschland?

An den Nähten zerteilt

Die Theorie des ehemaligen Dombaumeisters Wolff: „In der Tat wurden vom 15. bis 18. August 1803 in dem Gasthof „Zur Traube“ die aus Arnsberg mitgenommenen kölnischen Kirchenschätze zwischen der Französischen Republik und dem Großherzogtum Hessen aufgeteilt (durch den Frieden von Lunéville im Februar 1801 wurden Teile Westfalens dem Großherzogtum Hessen zugeschlagen und damit auch Arnsberg, Anm.d.Red.). Bei dieser Gelegenheit wird man den Domplan, falls er bis dahin noch vollständig war, entlang einer Klebenaht zwischen den Pergamentblättern durchtrennt haben. Die südliche Hälfte dürfte den Franzosen, die nördliche den Hessen zugesprochen worden sein.“ Der nördliche Teil des Domplans hätte es demnach nicht mehr weit geschafft, gerade noch bis auf den Dachboden des Gasthofes.

Eine in Paris gefundene Kupferstichsammlung des Altertumsforschers Nicolas Willemin sollte dann auf die Spur des südlichen Teils des Domplans führen. Auf einem der Kupferstiche befand sich angeblich eine Darstellung des Westfensters aus dem Kölner Dom. Der hessische Oberbaudirektor Moller – angestachelt durch den Fund des nördlichen Domplans – erkannte: „Die Abbildung konnte tatsächlich nur von jemandem angefertigt worden sein, der den Fassadenriss des Doms vor sich hatte“, ist bei Wolff nachzulesen. Und tatsächlich stellte sich heraus, dass Willemin sich bei seinem Kupferstich an einen Plan gehalten hatte, den er bei einem Kunsthändler gesehen hatte. Und dort befand er sich immer noch, der südliche Domplan. Ahnte der Händler, welcher Schatz sich in seinem Besitz befand, oder bekam er eine Ahnung davon aufgrund des wilden Interesses daran? Er verlange 500 Francs für den Plan. Eine stattliche Summe im Jahr 1815. Wolff geht davon aus, dass Boisserée die Summe auf den Tisch legte. Nun war zusammengekommen, was zusammengehörte. Der sogenannte Riss F, der „Bauplan“ des Doms, der „Grundstein“ für die Fertigstellung der Kathedrale. Wobei es dafür noch einige politische und finanzielle Hürden zu nehmen galt – doch das ist eine andere Geschichte.

Wäre es auch ohne den Riss F gegangen?

Wäre ohne den Riss F alles anders gekommen? Stünde der Dom tatsächlich nicht so da, wie er heute dasteht? „Man hätte es auch ohne den Plan schaffen können“, ist sich Matthias Deml, Leiter des Dombauarchives, sicher. Immerhin sei damals schon der Südturm bis in eine Höhe von 58 Metern gebaut gewesen. Und es gebe auch einen Kupferstich aus dem 17. Jahrhundert, der den Fassadenriss etwas vereinfacht wiedergibt. Das hätte laut Deml als grobe Grundlage sicherlich auch gereicht. Doch mit dem Riss F war es dann doch „wesentlich genauer“. Und seine historische die Bedeutung kann gar nicht hoch genug eingeschätzt werden.

Ein Plan also für die Schatzkammer? Mitnichten. Tatsächlich führt er im Dom eher ein Schattendasein. In einem Rahmen aus dem 19. Jahrhundert gefasst, unter Glas hängt der über vier Meter hohe Plan an der Wand der Johanneskapelle im Dom. Vor dem Sonnenlicht geschützt durch einen schweren grünen Vorhang. Wer es nicht weiß, oder bei einer Führung darauf gestoßen wird, kann ihn wohl kaum finden. „Es gibt im Dom immerhin keine großen Temperatursprünge“ geht Deml das Thema von der positiven Seite an. Aber gerade mit Blick auf den Lichteinwurf muss er sagen: „Es könnte bessere Plätze geben“. Doch im Hauptsitz des Dombauarchives, im Kurienhaus am Roncalliplatz, geht es beengt zu. Kleine Büros, vollgestopfte Bücherregale allerorten. Dort läge er wohl kaum besser, wie einst seine „nördliche“ Hälfte auf dem Dachboden des Gasthofes Traube.