Köln – Das autofreie Nachbarschaftsfest der Initiative Agora hat trotz Sommerhitze nach Schätzung der Veranstalter mehr als 100.000 Besucher auf den Eigelstein und ins Agnesviertel gezogen – noch mehr als bei den Vorläufern in Ehrenfeld, Sülz oder Deutz.
Weil selbst am Ebertplatz nur Linienbusse anfahren durften, trennten keine Autoschlangen oder roten Ampeln die beiden Viertel.
Julia Wäger genoss die Autofreiheit unter Alleebäumen in der Balthasarstraße auf Möbeln einer Wohnungsentrümpelung beim Tee. „Ich bin von drüben“, sagte die 31-Jährige: „Also vom Eigelstein.“ Da sei es im Alltag so chaotisch, dass sie sich wünschte, der Eigelstein wäre komplett verkehrsberuhigt.
An diesem Tag ist das so, und auch sonst dürfen sich die Menschen wünschen, was sie wollen: „Vielfalt“, „Sicherheit“, „bezahlbarer Wohnraum“ und „Ruhe“ – all diese Forderungen baumeln auf dem Eigelstein auf Zetteln an einer Leine.
Mix aus Fachmesse, Flohmarkt, Karneval und CSD
Der Kinderarzt Christian Döring warb für ein Köln mit Gelenkbussen statt Autolawinen. Er präsentierte sein Messgerät für Feinstaub: Es zeigt die Zahl vier. „Mit Autoverkehr sind das sonst hier 20 oder 100 Mikrogramm.“
Das Fest war ein Mix aus Fachmesse, Flohmarkt, Karneval und CSD. 60 Gruppen der Offenen Jazz Haus Schule zeigten, was sie gelernt haben. Viele Geschäfte hatten geöffnet. Singles, Senioren, Migranten – wer auf die Straße ging, fand schnell Kontakt, zumal 205 Akteure Gastgeberqualitäten bewiesen.
An der Tischtennisplatte von Teo, Nils und Victor in der Eintrachtstraße zog Gerda Schichler ihre Nachbarn ab. Die 86-Jährige hatte den Gehstock an die Platte gelehnt, die Handtasche über die Schulter gehängt und spielte einen Ball nach dem anderen auf die Grundlinie.
Der Wunsch, Köln oder die Welt zu verändern, steckte auch OB Henriette Reker an, „weil er vom ewigen Konsum abweicht.“ Sie plauderte mit dem Ökonom Alberto Acosta, der den Gedanken vom „Guten Leben“ einst vom Amazonas nach Köln gebracht hatte. Und so toll das Gemeinschaftsgefühl in Köln an Karneval auch sei, so Acosta: „Nach Aschermittwoch sieht das ganz anders aus.“ Das nächste Fest, so Agora-Sprecher Martin Herrndorf , könnte – wenn die Finanzierung steht – in Kalk oder Mülheim stattfinden.