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Ludwig Sebus wird 100„Der Austausch ist wichtig, ich will weiterhin in der Zeit leben“

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Ansteckender Frohsinn: Ludwig Sebus in seiner Ossendorfer Wohnung.

Ansteckender Frohsinn: Ludwig Sebus in seiner Ossendorfer Wohnung.

Der kölsche Liedermacher feiert am Freitag seinen runden Geburtstag. Materielle Dinge interessieren ihn nicht - dafür hat er klare Wünsche für seine Heimatstadt und deren Menschen.

Das mit den Wünschen ist bei Ludwig Sebus so eine Sache. Wünschen tut er sich viel. Auch zu seinem 100. Geburtstag. Wünsche zu formulieren, die ihn selbst betreffen, das ist allerdings nicht unbedingt etwas, das in seinem Naturell liegt. „Ich habe alles und wünsche mir nur, weiterhin zufrieden zu sein“, sagt er sich nach mehrfacher Nachfrage dann doch. Materielle Dinge oder finanzieller Reichtum hätten ihn nie interessiert. „Was nützt mir das, wenn ich mit 100 eine halbe Milliarde in der Kiste habe? Nichts! Ich bin reich durch Freundschaften, Geborgenheit und Vertrauen. Das ist mir viel wichtiger.“

100 Jahre alt zu werden, das war nie das Ziel von Ludwig Sebus. Am Freitag wird der kölsche Liedermacher und „Grandsigneur“ des Kölner Karnevals diese beeindruckende Marke dennoch erreichen. Zeit für eine Bestandsaufnahme. „Wenn man 100 Jahre alt wird, ist alles 100“, sagt Sebus. „Die Haut ist 100. Die Knochen sind 100, auch die Augen und Ohren sind 100.“ Pingelig dürfe man da nicht sein. „Du musst vieles mit dir rumschleppen und es kommt immer mehr dazu.“

Der Terminkalender von Ludwig Sebus ist noch immer voll

Umso erstaunlicher ist es für jeden, der Sebus in den vergangenen Monaten begegnet ist, welche Lebensfreude er weiterhin ausstrahlt. Und es sind viele, die Ludwig Sebus trotz aller kleinerer und größerer Wehwehchen noch immer trifft. Hier ein Treffen mit einem Freund, da eine Einladung von einer Karnevalsgesellschaft, es gibt wohl wenige 100-Jährige mit so einem so gut gefüllten Terminkalender, wie Sebus ihn hat. „Manchmal wird mir das auch alles zu viel. Dann bin ich auch mal froh, wenn mal nichts zu tun ist.“ Andererseits ist es ihm ein tiefes Bedürfnis, sich nicht zu Hause in Ossendorf einzuigeln. „Der Austausch und das Tagesgeschehen sind mir wichtig. Ich will weiterhin in der Zeit leben.“

Die Zahl 100 an sich sei für ihn unbedeutend. „Wenn du die Jahre nicht mit Leben und erinnerungswürdigen Merkmalen füllst und nicht erkennst, wo die Notwendigkeit besteht, Haltung zu beziehen, dann ist die Zahl auch egal.“ Mit diesem Maßstab blickt Sebus zufrieden auf die vergangenen 100 Jahre zurück. Musikalisch hat er sein Fazit bereits vor neun Jahren mit dem Lied „Alles su widder dun“ gezogen. „So etwas im hohen Alter sagen zu können, tut gut“, sagt Sebus.

Daran hat sich bis heute nichts geändert. Nicht alles, was er in 100 Jahren getan habe, sei richtig gewesen. Dass er alles so wieder tun würde, beziehe sich vor allem auf die großen Entscheidungen im Leben: die Hochzeit mit seiner 2019 verstorbenen Frau Lilo, grundsätzliche bis richtungsweisende Entscheidungen und Haltungen, für die er während seiner Kriegsgefangenschaft oder im Karneval einstand.

Die Weltpolitik hat Sebus weiterhin im Blick, genau wie die Themen in seiner Heimatstadt. Mit Blick Richtung Kommunalwahl bewegt Sebus dabei etwa die Situation einer oft vergessenen Bevölkerungsgruppe, der er selbst angehört. „Senioren werden in dieser Stadt hundsmiserabel behandelt“, sagt er. Paradebeispiel seien die KVB. Wenn er sehe, dass Rollstuhlfahrer an vielen Haltestellen in Ehrenfeld nicht imstande sind, einzusteigen, dann mache ihn das traurig. „Es ist mir sehr daran gelegen, dass Köln wieder eine seniorenfreundliche Stadt wird.“

Mein Wunsch ist, dass jeder Mensch zufrieden ist, dass er spürt, dass er anerkannt wird.

Womit wir wieder bei den Wünschen wären. Und weil Ludwig Sebus Ludwig Sebus ist, darf er zu seinem Geburtstag selbstverständlich auch die Wünsche äußern, die ihn nicht selbst betreffen. Vor allem, weil sie viel darüber aussagen, was ihm wichtig ist. „Mein Wunsch ist, dass jeder Mensch zufrieden ist, dass er spürt, dass er anerkannt wird. Jeder Mensch braucht Anerkennung, egal wo er ist, egal wie er aussieht, ob jung oder alt.“ Sebus wünscht sich, dass die Menschen, vor allem in Köln, erkennen, „in welch großem Maße wir hier zufrieden sein können“. Es sei ein Geschenk, in dieser Stadt zu leben.

Seinen Geburtstag am Freitag wird Sebus im kleinen Kreis verbringen, nur mit seinen vier Kindern und seine Haushälterin Inge Hellwig. „Da bin ich nicht erreichbar.“ Am Sonntag in der Philharmonie findet das große Konzert „100 Jahre Ludwig Sebus“ statt, veranstaltet von der Großen Kölner. Ludwig Sebus will unbdingt dabei sein.   Eine Lesung in der kommenden Woche hat er dagegen abgesagt. Dafür reicht die Kraft derzeit nicht.

Natürlich hätte ich nichts dagegen, wenn mein musikalisches Werk weiterlebt.

Der Erlös soll die Grundlage für einen Ludwig-Sebus-Brunnen bilden, die Idee trug Joachim Wüst, Präsident der Großen Kölner, bereits zu Sebus' 95. Geburtstag vor. Erst äußerte Sebus Bedenken. „Ich dachte damals, ich lebe ja noch. Geht sowas dann überhaupt?“ Anders als bei Straßen und Plätzen kann ein Brunnen aber tatsächlich nach einem noch lebenden Menschen benannt werden. „Grundsätzlich habe ich nichts dagegen“, sagt Sebus. Charmant ist dabei vor allem der angedachte Standort in Deutz zwischen Hohenzollernbrücke und Deutzer Brücke — angelehnt an das Sebus-Lied „Luur ens vun Düx noh Kölle“.

Ludwig Sebus: Gefeiert als Musiker und als Mensch

Um jeden Preis in Erinnerung zu bleiben, auch wenn er irgendwann nicht mehr sein sollte, steht nicht ganz oben auf der Wunschliste des Liedermachers. „Aber natürlich hätte ich nichts dagegen, wenn mein musikalisches Werk weiterlebt.“ In Köln habe er da aber keine Bedenken. „Wir sind die Stadt, die die meisten Lieder hat. Und wir pflegen diese Lieder, auch in den Schulen werden Lieder von mir behandelt.“

Dabei ist es durchaus interessant, welche Rolle die Musik in der allgemeinen Betrachtung der Person Ludwig Sebus spielt. Überall, wo Sebus auftritt oder nur zu Besuch ist, wird er gefeiert. Klar. Diejenigen, die schon länger dabei sind, kennen das musikalische Lebenswerk des zeitkritischen Krätzchensängers. Mehr als 250 Lieder hat er geschrieben und sich vielfach in die Rolle des Chronisten von Zeitgeschichte und großstädtischen Entwicklungen begeben.

Doch vor allem die jüngere Generation feiert Sebus viel mehr dafür, mit welch ansteckender Fröhlichkeit er durchs Leben geht und dabei auch noch so klug und aus tiefstem Herzen Haltung zeigt. Etwa, wenn er bei Arsch-Huh-Veranstaltungen auf dem Ottoplatz oder in der Lanxess-Arena von der Machtergreifung der Nazis und von menschlichen Werten erzählte. Der Applaus dauerte in beiden Fällen mehrere Minuten. Er galt nicht dem Musiker Ludwig Sebus. Sondern dem Menschen Ludwig Sebus.