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Ehrenpreis für KamerafrauWie Jenny Schenk ihre Neugierde über den Zweifel siegen ließ

Lesezeit 5 Minuten
JENNY SCHENK 20.06.2023 
Kamerafrau, Studio Nairobi 
©WDR/Jenny Schenk

Jenny Schenk Deutscher Kamerapreis

Die Kamerafrau Jenny Schenk erhält bei den 35. Deutschen Kamerapreisen, die am 13. Juni in Köln vergeben werden, den Ehrenpreis. 

Wie kamen Sie 1990 nach Köln?

Mein Mann und ich wussten vorher schon, dass wir aus politischen Gründen in den Westen gehen wollen. Dann kam der Mauerfall, und mein Mann, der zu dieser Zeit noch bei der Volksarmee war, ist desertiert. Ich bin etwas später offiziell ausgereist.

Dann haben Sie sich für Einsätze in Auslandsstudios beworben.

Der große Reiz lag darin, dass wir in der DDR kaum gereist sind. Ich wollte die sich mir bietenden Chancen nutzen, um in anderen Ländern mit anderen Kulturen arbeiten zu können. Ich hatte natürlich einen Riesenbammel, gerade auch vor den Fremdsprachen. Aber die Neugierde war größer als alle Zweifel.

Und ihr Mann hat Sie immer begleitet?

Ja, und er hat die Zeit immer gut für sich genutzt, er ist ein sehr positiv umtriebiger Mensch.

Von Ehefrauen wird immer erwartet, dass sie mitgehen, bei Ihnen war es umgekehrt.

Und für den Ehepartner ist es eigentlich schwieriger. Wenn wir entsendet werden, arbeiten wir in unserem Beruf, und wenn man zurückkommt, geht man wieder in einen Bereich, den man kennt. Der Partner muss sich immer wieder neu erfinden, denn heutzutage wartet kein Arbeitgeber mehr fünf Jahre, bis man aus dem Ausland zurück ist.

Welche Voraussetzungen muss man als Person für diese Auslandseinsätze mitbringen?

Eine gute Portion Respekt ist wichtig, denn man kommt dort als Ausländer hin! Ich finde es ganz schön, mal die Rollen zu tauschen. Hier wird immer über Ausländerproblematiken gesprochen, und ich war selber viele, viele Jahre Ausländerin.

Und wie lernt man, in Krisengebieten zu arbeiten?

Ich hatte nicht vor, in Krisengebiete zu gehen. Aber wenn dann in einem Auslandsstudio Dinge passieren, ist man automatisch dabei und muss der Sache gerecht werden. Ich habe von Station zu Station mehr und mehr gelernt. Seit Jahren bietet der WDR aber auch eine Krisenausbildung an, was ich als Grundlage für sehr wichtig halte: dass man ein gewisses Verständnis entwickelt, eine Vorsicht und auch Sensibilisierung für das, was da auf einen zukommen kann.

Von 2011 bis 2021 waren Sie in Russland, also in einer Zeit, in der das Land sich sehr verändert hat, schwieriger und sicherlich auch gefährlicher geworden ist.

Ich hatte erst gezögert, denn ich dachte, dass ich von Russland und Russisch schon als junger Mensch genug gehabt habe. Aber ich war neugierig, wie sich das Land verändert hat – und als ich ankam, dachte ich erst einmal, wie toll es sich entwickelt hat. Aber plötzlich war ich in einem Land, das einen Krieg führt.

Für Nachrichten muss die Kamera oft „draufhalten“, während eigentlich pietätvolles Wegschauen geboten wäre. Wie gehen Sie damit um?

Ich war in solchen Situationen natürlich auch emotional, habe das aber für mich genutzt. In Kriseneinsätzen habe ich plötzlich sehr rational reagiert, vorher hätte ich nicht gewusst, dass ich diese Seite in mir habe. Ich weiß noch genau, als ich die ersten Leichen gefilmt habe. Da kam bei mir dieser rationale Moment: Wie kann man es zeigen, dass diese Menschen für eine Sache gestorben sind und dass die Zuschauer das auch verstehen? Ich brauche dafür eine Ästhetik.

Können Sie diese Ästhetik beschreiben?

Das Wichtigste ist, dass man den Menschen nicht die Würde raubt. Also nicht das abgeschossene Bein zeigt, sondern in diesem Moment in die Totale geht, sich ein bisschen zurückzieht.

Wo war das?

In Nairobi, bei Wahlen. Die unterschiedlichen Volksstämme haben sich bekriegt und es war erschreckend, wie brutal sie miteinander umgegangen sind.

Wie geht man in einer solchen Situation mit der Angst um? Fühlt man sich durch den Status „Presse“ geschützt?

Das hat sich verändert. Selbst, wenn man Presse auf dem Rücken stehen hat, ist das kein Schutz mehr.

Das scheint ein weltweites Phänomen zu sein, hierzulande werden selbst Sanitäter oder Feuerwehrleute angegangen.

Ich weiß noch, wie ich bei der Flutkatastrophe im Ahrtal gefilmt habe. Da ging es gleich los mit „Lügenpresse“, und wir wurden extrem verbal angegriffen. Aber was in einer solchen Situation manchmal abschreckt, ist, wenn ich als kleine Frau die Leute angucke und klar sage: Ja, es ist eine schlimme Situation, aber wir müssen uns hier nicht zerfleischen, sondern alle unseren Job machen.

Jetzt muss ich ganz uncharmant nach Ihrer Körpergröße fragen...

Ein Meter 56.

Kameraleute sind meist Männer, eher von kräftiger Statur.

Ich wurde auch oft belächelt. Etwa in Moskau, als ich bei so mancher Demonstration eine Leiter dabeihatte. Aber nach neun Jahren hatten dann fast alle anderen auch eine dabei. Doch es hat auch so manche Vorteile, wenn man als kleiner Mensch mit Kamera auftaucht: Man wirkt nicht so bedrohlich.

Sie haben auch bei Interviews mit Prominenten und Politikern gedreht. Wie schafft man es, sich beim Filmen nicht von dem ablenken zu lassen, was man zu hören bekommt?

Wenn man etwa mit Putin dreht, dann muss alles gut vorbereitet sein, da darf man keine Fehler machen. Aber wenn ich weiß, dass meine Technik funktioniert, ist alles ganz wunderbar. Ich stehe dann hinter der Kamera und kann die Körpersprache beobachten.

Und wie war die von Putin?

Mein russischer Vermieter meinte, nachdem das Interview auch im russischen Fernsehen gelaufen ist: Na, da hat unser Putin eurem Deutschen aber ganz schön einen eingeschenkt, der war ja ganz schön nervös. Und ich habe geantwortet: Wenn du unser Material von der Totale gesehen hättest, hättest du die wippenden und unruhigen Beine deines Präsidenten gesehen.