Seit über einem Jahr ermitteln Staatsanwälte gegen eine mutmaßliche „Entsorgungs-Mafia“ in NRW. Scheibchenweise kommen Details ans Licht.
Land hält Gutachten unter VerschlussGiftmüll im Tagebau Garzweiler entsorgt?

Jüchen: Bagger stehen im Braunkohletagebau Garzweiler.
Copyright: Oliver Berg/dpa
Gibt es eine „Entsorgungs-Mafia“ in Nordrhein-Westfalen, die jahrelang mit Schadstoffen belastetes Erdreich und Bauschutt illegal in Tagebauen und alten Kiesgruben entsorgt hat? Ein neuer Zwischenbericht der Landesregierung, der an diesem Mittwoch im Landtag debattiert wird, nährt diesen Verdacht. Aus dem Bericht von NRW-Umweltminister Oliver Krischer (Grüne), der dieser Redaktion vorliegt, geht auch hervor: Ein Teil der mutmaßlich verklappten Böden ist offenbar gefährlicher als bislang bekannt.
Unklarheit über genaue Standorte der Giftböden
Seit über einem Jahr ermittelt die Staatsanwaltschaft Dortmund, bei der die Zentralstelle für die Verfolgung der Umweltkriminalität in Nordrhein-Westfalen angesiedelt ist. Doch wo genau Giftböden im Land verklappt wurden und welche Gefahren für die Anwohner bestehen, ist noch immer unklar. Nun regt sich Unmut in den Landtags-Ausschüssen: Sie werfen der Landesregierung Geheimniskrämerei vor.
Dabei sind die Dimensionen des mutmaßlichen Umweltskandals, die nun in ersten Zwischenberichten ans Tageslicht kommen, ungeheuerlich. Offenbar gibt es ein Netzwerk von bis zu 50 Verdächtigen. Ermittelt wird gegen Beschäftigte in Transportunternehmen und in Annahmestellen. Im Frühjahr sollen die ersten Anklagen erfolgen.
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Falsche Bescheinigungen und illegale Entsorgung
Über 50.000 LKW-Ladungen sollen in NRW illegal entsorgt worden sein, sagt Oberstaatsanwalt Alexander Kilimann. Die Verdächtigen sollen Liefer- und Wiegescheine gefälscht haben. Bei Razzien fanden die Ermittler ein Computerprogramm und zehntausende Dateien. Offenbar sind inhaltlich unrichtige oder sogar gefälschte Bescheinigungen erstellt worden, fügt Kilimann an.
Nun sickert durch: Ein erheblicher Teil der illegal entsorgten Böden verschwand offenbar im Braunkohlentagebau Garzweiler. Die Mengen sind bislang ebenso unbekannt wie ihr genaues Gefährdungsrisiko. Das NRW-Wirtschaftsministerium hatte dennoch in seinem Zwischenbericht im Juli mit Verweis auf zwei Gutachten von RWE und der Bezirksregierung Arnsberg Entwarnung gegeben. Es hätten sich keine Hinweise auf relevante Stofffreisetzungen aus diesen Böden in das Grundwasser ergeben, hieß es mit Verweis auf entnommene Proben. Seitdem hält die Landesregierung die Gutachten unter Verschluss.
Potenzial für Deponieklasse 3: Gefahr durch hohe Schadstoffbelastung
In dem aktuellen Bericht des Umweltministeriums liest sich das ein wenig anders. Demnach hätten Untersuchungen ergeben, dass die zu entsorgenden Böden eine Belastung bis hin zur Deponieklasse 3 aufwiesen. In diese Kategorie aber fallen gefährliche Abfälle mit höherer Schadstoffbelastung, die laut gesetzlicher Vorgaben nur oberirdisch gelagert werden dürfen – in Deponien, die über eine geologische Barriere von mindestens fünf Metern verfügen und zusätzlich mit einem Dichtungskontrollsystem versehen sein müssen.
Das Brisante: Der Boden in Garzweiler gilt als durchlässig. „Schadstoffe werden im Sickerwasser nicht aufgefangen“, sagt Dirk Jansen, Geschäftsleiter der Umwelt- und Naturschutzorganisation BUND in NRW. In einem rekultivierten Bereich des gigantischen Tagesbaus soll in rund zehn Jahren der neue Stadtteil Jüchen Süd entstehen. Geplant mit viel Grün und viel Wasser, so der BUND. „Kann man den Garten nutzen und Möhren anbauen, wenn im Boden Giftmüll schlummert?“, fragt Jansen.
Geheimhaltung der Gutachten wirft Fragen auf
Fragen hat auch der SPD-Landtagsabgeordnete René Schneider, Mitglied im Ausschuss für Bergbausicherheit. „Wir wissen, dass es zwei Gutachten gibt“, sagte er dieser Redaktion. „Eines wurde von RWE, ein ergänzendes von der Bezirksregierung Arnsberg in Auftrag gegeben. Wir Ausschussmitglieder kennen aber die Inhalte nicht. Die Geheimhaltung wird mit dem Verweis auf laufende Ermittlungen begründet.“
Dabei sieht selbst Oberstaatsanwalt Kilimann keinen Hinderungsgrund, die Gutachten öffentlich zu machen: „Die Staatsanwaltschaft verfolgt bei ihren Ermittlungen ein eigenes Konzept“, sagte er dem WDR. „Konkret verfolgen die Ermittler die Abfallströme und Transportwege bis in den Tagebau und versuchen, die genauen Abladestellen und den Grad der Belastung zu ermitteln.“
Zweifel an der Entnahme und Analyse der Bodenproben
„Wir würden gern wissen, wo der zuständige Staatsanwalt Grenzen sieht, um die laufenden Ermittlungen nicht zu gefährden“, merkt Schneider an. „Wenn er selbst nichts gegen mehr Transparenz hat, kann sich die Landesregierung nicht mehr hinter dem Argument, laufende Ermittlungen„ verstecken.“
Schneider geht es vor allem um die Art und Weise der Probenentnahme in Garzweiler. „Es wurden wohl 45 Proben entnommen, und das Ergebnis war: keine akute Gefährdung für die Bevölkerung. Die Frage ist, ob diese Beprobung für ein belastbares Ergebnis geeignet ist.“
Die Probenentnahme müsse engmaschiger sein, fordert Schneider. „Um ganz sicher zu gehen, müsste der ganze Boden abgetragen werden, und das wäre natürlich extrem aufwendig. Ich habe den Eindruck, RWE, Landesregierung und Bezirksregierung ist es schon recht, dass bei den wenigen Proben nichts Besorgniserregendes gefunden wurde.“
Landesregierung soll Transparenz zu weiteren betroffenen Orten schaffen
Dabei gehe es nicht nur um Garzweiler, sondern um mindestens 50 weitere Orte, an denen die Razzia durchgeführt worden sei, etwa Kies-Seen. „Auch hier kann von Transparenz bisher keine Rede sein“, kritisiert Schneider. „Die Anwohner sind beunruhigt und fragen nach den Gefahren für das Grundwasser. Sie bekommen aber bisher keine Antworten. Die Landesregierung muss sehr schnell eine Liste vorlegen über die konkrete Lage vor Ort.“
Auch der BUND will Antworten. „Nach Aussagen der Staatsanwaltschaft sind offenbar erhebliche Mengen falsch deklarierten, potenziell schadstoffbelasteten Materials im Tagebau Garzweiler verschwunden. Das Material muss ja irgendwo verblieben sein“, sagte Geschäftsleiter Jansen dem WDR. „Ich würde ja gerne Entwarnung geben. Aber das geht nicht, weil wir keinen Einblick erhalten.“ Den Antrag des BUND auf Übermittlung der Gutachten hat die Bezirksregierung Arnsberg abgelehnt. Der Grund, laut BUND: Die laufenden Ermittlungen könnten gefährdet werden.
