Nach dem Terroranschlag von Solingen verspricht NRW ein umfangreiches „Sicherheitspaket“. Kritiker bemängeln fehlende strukturelle Fortschritte.
Reformen in NRWSo steht es um das Sicherheitspaket nach Solingen

Zum Tatzeitpunkt hätte der Verdächtige Issa al H. eigentlich längst abgeschoben sein sollen.
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Der Terroranschlag von Solingen vor knapp einem Jahr hat die schwarz-grüne Landesregierung schwer unter Druck gesetzt. Der tatverdächtige Islamist, der syrische Asylbewerber Issa al H., hielt sich schließlich nur noch in NRW auf, weil schwere Behördenfehler die fest terminierte Abschiebung ein Jahr zuvor verhindert hatten.
Um politisch angemessen auf drei Todesopfer und mehrere Schwerverletzte beim Solinger Stadtfest zu reagieren, hatte Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) eilig ein „Sicherheitspaket“ zusammenschnüren lassen. Zehn Monate später geht es nun darum, welche Lehren aus der Bluttat wirklich gezogen wurden.
„Die Landesregierung hat diese Zäsur unmittelbar und entschlossen beantwortet“, erklärte Staatskanzlei-Chef Nathanael Liminski (CDU) am Dienstag. „Hendrik Wüst hat viel Sicherheit versprochen, aber bisher wenig Sicherheit geliefert“, findet dagegen SPD-Fraktionsvize Elisabeth Müller-Witt. FDP-Innenexperte Marc Lürbke kritisierte: „Schwarz-Grün liefert vor allem schöne Worte und schicke Technikspielzeuge, aber keine strukturelle Stärkung unserer Sicherheitsarchitektur.“ So steht es um zentrale Versprechen des Sicherheitspakets:
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Verfassungsschutz
NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) hat ein neues Verfassungsschutzgesetz erarbeiten lassen, das die Rechte seiner „Schlapphüte“ erweitern wird. Sie können künftig leichter Kontobewegungen und Reisetätigkeiten potenzieller Terroristen nachvollziehen. Sie werden außerdem technisch in die Lage versetzt, in engen rechtlichen Grenzen verschlüsselte Kommunikation mitzulesen. Das Verfassungsschutzgesetz soll in dieser Woche in den Landtag eingebracht werden.
Quellen-TKÜ
Bei der Quellen-Telekommunikationsüberwachung wird eine spezielle Spionagesoftware ins Handy oder den Computer von Verdächtigen eingeschleust, um mögliche Verbrechensplanungen mitlesen zu können. Der NRW-Verfassungsschutz darf das bald rechtlich nutzen und die NRW-Polizei soll bei solchen Operationen unabhängiger vom Bundeskriminalamt werden. Lange wurde über die Quellen-TKÜ gestritten, jetzt sucht NRW immerhin konkret nach einem Anbieter geeigneter Software. Das Vergabeverfahren soll noch 2025 abgeschlossen werden, Anfang 2026 soll der „Roll-out-Prozess“ starten.
Künstliche Intelligenz
„Social Media ist eine Brutstätte für Extremisten“, sagt Reul. Deshalb sollen gefährliche Trends im Netz mit Hilfe von Künstlicher Intelligenz besser beobachtet und Botschaften schneller übersetzt werden werden. Ab Herbst sollen rund 100 Polizisten in NRW „digital auf Streife“ gehen und sich teilweise verdeckt auf Social Media tummeln, um Straftaten zu verhindern.
Hassprediger-Datei
NRW hatte eine landesweite Datenbank angekündigt, in der islamistische Prediger und Influencer erfasst werden sollen. Bislang steht sie noch nicht. Die Sammlung werde Ende des Jahres in polizeiliche Vorgangsbearbeitungssystem VIVA integriert, versicherte Reul.
Asylverfahren
Um Verfahren zu beschleunigen und damit auch schneller Asylbewerber abschieben zu können, hat NRW zusätzliche Asylkammern an den Verwaltungsgerichten Köln, Gelsenkirchen und Minden eingerichtet. Damit gibt es landesweit nun sechs reine Asylkammern. Da der Bund künftig Staaten, deren Anerkennungsquote seit mindestens fünf Jahren unter fünf Prozent liegt, automatisch als sichere Herkunftsstaaten einstufen will, könnten die Verwaltungsgerichte im Kampf mit den Aktenbergen endlich wieder Land sehen. Zumal der Flüchtlingszuzug nach NRW aktuell auf rund 2000 Personen pro Monat eingebrochen ist.
Abschiebehaftanstalt
NRW hat nach dem Terroranschlag eine zweite Abschiebehaftanstalt mit 140 Plätzen angekündigt. Seither ist nicht viel passiert, aber immerhin wurde ein möglicher Standort eingekreist: Das ehemalige Nato-Areal in Mönchengladbach-Rheindahlen. Wann geplant, ausgeschrieben und gebaut wird? Vor 2028 sitzt in der neuen Haftanstalt vermutlich kein Abschiebekandidat. Ärgerlich: Das bestehende Abschiebegefängnis in Büren kann zurzeit nicht einmal alle 175 Plätze belegen, weil schlicht Personal fehlt.
Abschiebemanagement
Die dem Land unterstellten Zentralen Ausländerbehörden sollten eigentlich die Kommunen bei Abschiebungen entlasten und die Organisation zentral erledigen. Dies werde derzeit rechtlich, technisch und organisatorisch vorbereitet, hieß es. Ein Pilotprojekt ist erst für 2026 vorgesehen. Nach der gescheiterten Abschiebung des Solinger Tatverdächtigen bekamen die Zentralen Ausländerbehörden inzwischen immerhin Zugriff auf die elektronischen An- und Abwesenheitssysteme der kommunalen Unterbringungseinrichtungen, um ausreisepflichtige Personen besser abpassen zu können. Zur ganzen Wahrheit gehört: Genau das hatten die Zentralen Ausländerbehörden schon lange vor dem Anschlag bei Paul eingefordert.