Moskau stellt atomgetriebene Raketen vor. Westliche Experten zweifeln am Burewestnik – und warnen dennoch vor der „Science-Fiction-Waffe“.
Putins neuartige Atomrakete„Burewestnik ist ein kleines fliegendes Tschernobyl“

Kremlchef Wladimir Putin bei einer Pressekonferenz. Von der neuen russischen Atomwaffe Burewestnik gibt es bisher kaum Bildmaterial. (Archivbild)
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Es war eine durchaus kuriose Szene: Auf einem deutlich erhöhten Podest in einem ansonsten karg eingerichteten Raum ließ sich Wladimir Putin von Waleri Gerassimow, dem Generalstabschef der russischen Armee, über Moskaus neuste „Wunderwaffe“ berichten – so inszenierte der Kreml die Präsentation jedenfalls. Dabei handelt es sich um den neuartigen Marschflugkörper Burewestnik („Sturmvogel“), der über einen nuklearen Antrieb verfügt.
Bereits in den 1960er Jahren war mit derartigen Waffentypen experimentiert worden. Die USA brachen die Entwicklung schließlich wegen Sicherheitsbedenken jedoch ab. Putin wischte diese nun vom Tisch. Der Kremlchef sprach lieber von „unbegrenzter Reichweite“ und einer „einzigartigen Erfindung“, über die außer Russland „kein anderer auf der Welt“ verfüge, als über mögliche Gefahren. Die entscheidenden Tests seien inzwischen abgeschlossen, verkündete der Kremlchef außerdem – und das, obwohl ihm vor Jahren gesagt worden sei, ein solcher Marschflugkörper sei nicht realisierbar.
Putin preist neuen Marschflugkörper Burewestnik
„Rund 15 Stunden“ habe sich der Burewestnik bei dem jüngsten Test Ende Oktober in der Luft befunden, berichtete Gerassimow derweil. Dabei soll der „Sturmvogel“ etwa 14.000 Kilometer zurückgelegt haben. Die „technischen Merkmale“ der Burewestnik machten es möglich, sie mit „gesicherter Präzision gegen hoch geschützte Ziele in beliebiger Entfernung einzusetzen“, hieß es weiter. Für die Waffe gebe es „kein Limit“, schwärmte der Generalstabschef.
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Putin hatte die Entwicklung des Marschflugkörpers bereits im Jahr 2018 angekündigt. Damals hatte der Kremlchef erklärt, die Waffen könnten fast alle Luftabwehrsysteme überwinden. Nun verkündete Moskau den laut eigener Darstellung erfolgreichen Test des Waffensystems, kurz nachdem US-Präsident Donald Trump erstmals harte Sanktionen gegen Russlands verhängt hatte, da der Kreml Washingtons Bemühungen um Frieden in der Ukraine zuletzt mehrfach torpedierte.
Donald Trump reagiert auf Burewestnik-Test
Putins Ausführungen zum Burewestnik blieben dem US-Präsidenten zu Wochenbeginn dementsprechend auch nicht verborgen. Die nukleargetriebenen Marschflugkörper, die auch Atomsprengköpfe tragen können, während der wachsenden Spannungen zwischen Russland und den USA zu testen, sei „nicht angemessen“, erklärte Trump gegenüber Reportern an Bord der Air Force One.
Putin solle sich lieber auf die Beendigung des Krieges gegen die Ukraine konzentrieren, anstatt Waffen zu testen, riet der Republikaner dem Kremlchef und ließ eine Warnung folgen: Der Kreml wisse, „dass wir ein Atom-U-Boot, das größte der Welt, direkt vor ihrer Küste haben“, sagte Trump. „Ich meine, es muss keine 8.000 Meilen weit fahren“, fügte der US-Präsident an und erinnerte damit an die üblicherweise mit Trident-II-Atomwaffen bestückten U-Boote der amerikanischen Marine.
US-Präsident erinnert an amerikanische Atom-U-Boote
Trump hatte bereits nach provokanten Ausführungen des ehemaligen russischen Präsidenten Dmitri Medwedew verkündet, dass er eines der Unterseeboote in die Gewässer vor Russland entsandt habe. Medwedew bringt seit Kriegsbeginn immer wieder mit oftmals vulgären Tiraden die russischen Atomwaffen ins Spiel. Auch die Bekanntmachung der Fortschritte beim Burewestnik-Marschflugkörper folgen diesem Muster.
„Herzlichen Glückwunsch an alle Freunde Russlands zum erfolgreichen Test des Marschflugkörpers Burewestnik (Sturmvogel) mit unbegrenzter Reichweite, Atomantrieb und Sprengkopf“, schrieb Medwedew nun auf seinem X-Account. Der Vorsitzende des Verteidigungsausschusses der russischen Staatsduma, Andrej Kartapolow, behauptete laut der Staatsagentur Tass derweil, dass es „zu spät sein wird“, wenn die europäischen Staaten den Burewestnik „verstehen“ würden.
US-Analysten: Russland setzt „nukleares Säbelrasseln“ fort
Russland setze sein „nukleares Säbelrassen“ angesichts Trumps jüngstem Kurswechsel fort, kommentierte das amerikanische Institut für Kriegsstudien die Verlautbarungen aus Moskau. Der Kreml setze im Umgang mit Trump auf „Zuckerbrot und Peitsche“, hieß es weiter von den Analysten des amerikanischen Thinktanks. Das Ziel sei stets, die USA zu Zugeständnissen in Bezug auf Russlands Krieg zu bewegen, hieß es weiter.
Westliche Waffenexperten zeigten sich unterdessen ebenso wenig beeindruckt von Burewestnik wie US-Präsident Trump. Der Marschflugkörper sei „auf keinen Fall ein Gamechanger“, sagte etwa Raketenexperte Markus Schiller, assoziierter Forscher am schwedischen Friedensforschungsinstitut Sipri und Lehrbeauftragter an der Universität der Bundeswehr in München, dem Nachrichtenmagazin „Spiegel“.
Fabian Hoffmann, Mitarbeiter am Oslo Nuclear Project der Universität Oslo, sprach in Bezug auf Burewestnik auf der Plattform X derweil von einer „nutzlosen und unnötigen“ Waffe.
Experten zweifeln und warnen: „Kleines fliegendes Tschernobyl“
Jeffrey Lewis, ein Atomwaffenexperte vom Middlebury College, warnte unterdessen vor dem Marschflugkörper, der bei der Nato unter dem Namen „SSC-X-9 Skyfall“ geführt wird. „Es ist ein kleines fliegendes Tschernobyl“, sagte Lewis der „New York Times“ und sprach von einer „schlimmen Entwicklung“. Der Burewestnik sei „eine weitere Science-Fiction-Waffe, die destabilisierend wirken wird und deren Rüstungskontrolle schwer zu bewältigen ist“, warnte der Experte.
Ein Grund für die Warnungen sind frühere Berichte über fatale Unfälle bei der Entwicklung des Marschflugkörpers, samt austretender radioaktiver Strahlung. Berichten zufolge gab es bei der Fertigung des Burewestnik mitunter tödliche Unfälle, auch von lokal begrenztem Strahlungsaustritt war nach dem Zwischenfall im Jahr 2019 die Rede. Mindestens fünf Menschen seien bei einer Explosion getötet worden, hieß es damals außerdem.
Strahlungsaustritt bei Unfällen mit Burewestnik
Die westlichen Experten halten den neuartigen Marschflugkörper abseits der Gefahren durch einen Strahlungsaustritt beim Antrieb der Waffe jedoch auch für redundant. Die Zweitschlagfähigkeit Russlands sei durch die großen Bestände des Landes an Interkontinentalraketen (ICBM) und nuklear bewaffnete U-Booten ohnehin bereits sichergestellt, erklärte Raketenexperte Hoffmann gegenüber dem „Spiegel“, warum er Burewestnik für „unnötig“ hält.
„Ein nuklearer Marschflugkörper, der voraussichtlich nur in sehr geringen Stückzahlen zur Verfügung stehen wird, macht hier keinen Unterschied, völlig unabhängig von der maximalen Flugdauer.“ Das gelte auch für die russischen Erstschlagoptionen. Dort werde der Burewestnik keine große Rolle spielen, prophezeite der Experte. „Hier zählen andere Nuklearwaffen mehr.“
Säbelrasseln in Moskau: „Entspricht einem Viertel von New York“
Die Einschätzungen russischer Experten fallen unterdessen deutlich anders aus – und passen zum atomaren Säbelrasseln von Putin, Medwedew und Co. „Ausgehend von den Abmessungen, der Komplexität und dem Preis kann man davon ausgehen, dass die Rakete eine Sprengladung der Megatonnenklasse tragen soll“, erklärte etwa Militärexperte Dmitri Kornew in der kremlnahen Zeitung „Komsomolskaja Prawda“ und fügte hinzu: „Eine Megatonne entspricht ungefähr einem Viertel von New York.“
Russland habe die Kampfkraft des Marschflugkörpers aber wohl vorrangig demonstriert, „um die USA dazu aufzufordern, zu den Friedensverhandlungen zurückzukehren, die sie bisher ignorieren“, hieß es weiter von Kornew, der damit an das nächste bekannte Kreml-Narrativ anknüpfte. Bereits seit Monaten versucht Moskau das Scheitern von Friedensgesprächen dem Westen, vorrangig Europa, anzulasten, während der Kreml selbst nach jeder vermeintlichen Annäherung erneut auf seine imperialistischen Maximalforderungen besteht, die für die Ukraine und ihre westlichen Unterstützer inakzeptabel sind.

