Meine RegionMeine Artikel
AboAbonnieren

GewerkschaftPolizei im harten Wettbewerb

7 min

Ein Ausbilder der Polizei bei einer Polizeigroßübung in Köln im Jahr 2023.

Patrick Schlüter wurde Anfang Juli zum Vorsitzenden der Gewerkschaft der Polizei (GdP) in NRW gewählt, am vergangenen Freitag hat er sein Amt angetreten. Im Interview beschreibt er aus seiner Sicht die Situation der Polizei im bevölkerungsreichsten Bundesland.

Neben der Polizei in NRW werben auch andere staatliche Institutionen wie Zoll oder Bundeswehr intensiv um Nachwuchs. Wie läuft es denn bei der Polizei mit dem Wettbewerb um die besten Köpfe?

Ganz klar: Dieser Wettbewerb wird härter. Die neuen Player sind teilweise sehr intensiv am Markt. Für uns ist es schon schwierig, überhaupt auf die geplanten 3000 geeignete Bewerberinnen und Bewerber pro Jahr für die Polizei in NRW zu bekommen. Der Polizeiberuf ist zwar toll, aber das Gesamtpaket muss stimmen. Junge Menschen, die die Wahl zwischen verschiedenen Arbeitgebern haben, schauen sehr genau die Rahmenbedingungen und vergleichen. Und da haben wir als Polizei in NRW deutliche Nachteile im Wettbewerb – wenn es zum Beispiel um Arbeitszeit, Arbeitszeitmodelle und Zulagen geht.

3000 neue Polizistinnen und Polizisten im Jahr müssen ja erst einmal ausgebildet werden. Viele schaffen das nicht und kommen nie in den Dienststellen an?

Alles zum Thema Polizei Köln

Die Quote derer, die abbrechen oder bei der Prüfung durchfallen, ist in den letzten Jahren deutlich angestiegen. Sie liegt bei über 20%. Warum? Die Einstellungsvoraussetzungen wurden vor dem Hintergrund des hohen Personalbedarfs herabgesetzt. Wir nehmen heute Leute, die wir vor zehn Jahren noch nicht eingestellt hätten. Die andere Seite ist, dass junge Menschen eben sehr genau abwägen. Viele stellen nach einiger Zeit fest, dass der Beruf nicht das ist, was sie sich vorgestellt haben. Dann kündigen sie und machen was anderes. Es ist ja nicht mehr so, dass man das, was man angefangen hat, auch unbedingt zu Ende bringt. Da hat sich gesellschaftlich echt etwas gewandelt.

Ist die Ausbildung denn wirklich so herausfordernd?

Der Polizeiberuf ist anspruchsvoll, die Ausbildung muss es auch sein. In den drei Jahren der Ausbildung stehen sehr viele Prüfungen auf dem Programm. Zur Wahrheit gehört, dass die Bedingungen, unter denen sich die jungen Kolleginnen und Kollegen auf diese Prüfungen vorbereiten, nicht mehr die besten sind. Die Landesregierung hat die Einstellungszahlen hochgesetzt, aber die Ausbildungskapazitäten nicht angepasst. Wir als GdP haben das sehr deutlich kritisiert. Ob in der Theorie im Studium oder in der praktischen Ausbildung: Die Kursgruppen werden immer größer. Und in den Polizeibehörden haben wir teilweise nicht ausreichend Streifenwagen, um für jeden Studierenden wirklich eine 1:1-Betreuung hinzubekommen. Hier ist deutlich Luft nach oben. Und wenn man Menschen, die etwas leistungsschwächer sind, erfolgreich machen will, dann muss man noch mehr Ressourcen aufwenden.

Wo spüren wir als Bürgerinnen und Bürger die Auswirkungen dieses Personaldrucks?

Die Polizei bekommt immer neue Aufgaben, aber nicht wirklich mehr Personal, jedenfalls nicht spürbar. In diesem Jahr ist ein Plus von zarten 0,63% geplant. Beim Sicherheitspaket nach den schrecklichen Anschlägen in Solingen wirft sich die Frage auf, ob Innenminister Herbert Reul im Kabinett schlecht verhandelt hat: Wir haben zwar ausreichend Gelder für Sachinvestitionen aus diesem Paket bekommen, aber zum Beispiel nicht für die neue Aufgabe der digitalen Streife. Dabei geht es darum, dass man sich in der digitalen Welt aufhält, um dort nach Auffälligkeiten zu suchen. Das müssen wir mit dem vorhandenen Personal machen. Rund 100 Leute werden ab September in die sechs Großbehörden, unter anderem nach Köln und Düsseldorf, versetzt. Die fehlen dann an anderer Stelle. Und weil die Bundespolizei so viel an den Außengrenzen aktiv ist, kann sie uns weniger bei Veranstaltungen wie Fußballspielen oder Volksfeste unterstützen, sodass wir da auch mehr gefordert sind.

Als Bürger hat man den Eindruck, dass in vielen Fällen kaum noch ermittelt wird. Oder dass Verfahren wegen Personalnot in den Staatsanwaltschaften häufig eingestellt werden. Wie sehen Sie das?

Das ist wirklich dramatisch fürs subjektive Sicherheitsgefühl der Bürger! Wenn man zu schnell fährt, wird das Bußgeldverfahren knallhart durchgezogen. Aber wenn es um die Ahndung von Straftaten geht, dann wird vieles sehr schnell eingestellt, weil die Justiz so überlastet ist. Das ist fatal!

Man hat den Eindruck, dass auf der Straße der Respekt gegenüber ihren Kolleginnen und Kollegen im Streifendienst deutlich abgenommen hat…

Das stimmt. Ganz grundsätzlich gibt es offenbar weniger Respekt gegenüber Amtsträgern, ist eine erschreckende Entwicklung, die deutlich über Polizei hinausgeht. Das gilt auch für Feuerwehrleute, Rettungssanitäter, Notärzte, Ordnungsamtsmitarbeiter, Bus- und Straßenbahnfahrer. Da fehlt der Respekt gegenüber den Menschen, die einfach nur auch anderen helfen wollen. Da braucht es klare Kante seitens Politik und Gesellschaft.

Im NRW-Innenministerium gibt es jetzt einen Arbeitskreis „Betroffenheit“, der sich mit der Rolle von Polizisten in der Öffentlichkeit beschäftigt. Warum ist das wichtig?

Heutzutage wird jeder Einsatz aus unterschiedlichen Perspektiven mit Handys gefilmt. Durch Weglassen eines Teils kann man eine Szene komplett anders wirken lassen. Wenn man das in sozialen Medien einstellt, als Schnipsel von oft nur wenigen Sekunden – dann erscheint ein Einsatz schnell ganz anders als er real abgelaufen ist. Das macht etwas mit den Kolleginnen und Kollegen, sie spüren diesen Druck. Wenn dann ein Shitstorm in den sozialen Medien losgeht, müssen wir uns vor unsere Kolleginnen und Kollegen stellen. Deswegen ist es gut, dass es so eine Arbeitsgruppe gibt, die Umgangsweisen damit entwickelt hat. Gut ist aber auch, dass wir mit unseren Bodycams eigene Bilder haben, um wirklich von Anfang bis Ende auch ein vollständiges Bild zu haben.

Ihre Gewerkschaft hat kürzlich ein Seminar zur Künstlichen Intelligenz (KI) angeboten, versehen mit dem Seitenhieb, dass die Polizei das nicht macht?

Da wird derzeit massiv aufgerüstet. In dem Sicherheitspaket der Landesregierung nach den Anschlägen in Solingen hat der Aufbau einer polizeieigenen KI begonnen. Zu hören ist, dass die KI noch in diesem Jahr die Arbeit aufnehmen soll. Ja, wir sind spät dran, aber ist es hoffentlich noch nicht zu spät.

Wie stehen Sie konkret zur umstrittenen Analyse-Softwaren von Palantir?

Palantir-Software leistet bei der Bekämpfung schwerster Kriminalität ganz wichtige Dienste. Dass Innenminister Herbert Reul daran festhält, solange keine Alternative zur Verfügung steht, ist genau richtig. Wir unterstützen das! Von unseren Praktikern hören wir, dass eine echte Alternative absehbar nicht zur Verfügung stehen wird. Die Software ist in ihrer Leistungsfähigkeit bisher einzigartig.

Patrick Schlüter, GdP (Vorsitzender NRW)

Dafür und auch für andere Bereiche brauchen Sie Fachleute. Da sind die Arbeitsbedingungen wichtig. Nun wird darüber diskutiert, dass Überstunden zum Teil nicht mehr bezahlt werden sollen?

Die Polizei in NRW funktioniert nur, weil viele Kolleginnen und Kollegen regelmäßig Überstunden machen, etwa wenn sie einen Einsatz über Schichtende hinaus noch professionell zu Ende führen. Aktuell wird Ende des Monats geprüft, wie viele Überstunden angefallen sind. Sind das fünf oder weniger, werden die zum Dank auch noch gestrichen. Wir haben schon eine überlange Wochenarbeitszeit von 41 Stunden. Da kommen dann noch diese fünf Stunden im Monat obendrauf. Das ist nichts, womit man junge Bewerberinnen und Bewerber anspricht. Der Umgang mit den Themen Work Life Balance sowie Vereinbarkeit von Arbeit und Beruf sind im Polizeiberuf mit Schichtdienst und wenig Freizeit besonders sensibel - da sind andere Arbeitgeber deutlich besser.

In vielen Großstädten wie Köln gibt offene Drogenszenen, die zunehmend verwahrlosen. Was würden Sie sich wünschen, um solche Situationen zu entspannen?

Man sollte diese Hotspots ein stückweit entzerren. Natürlich ist es am Ende eine Verdrängung in andere Bereiche, deswegen muss es immer eine Kombination aus Repression und Prävention sein. Wenn man dort wirklich konsequent auf Repression setzt, braucht man dafür einen massiven Personaleinsatz. Die Beamtinnen und Beamten fehlen dann wieder an anderer Stelle. Repression allein wird auch der Drogenproblematik nicht gerecht. Drogenkranke Menschen brauchen Hilfe.

Warum raten Sie trotzdem jungen Menschen, den Polizeiberuf zu wählen?

Polizei ist mehr als ein Beruf. Sie steht für Sicherheit, Gerechtigkeit, Schutz von Menschen. Und es ist einfach eine sinnstiftende Aufgabe. Man setzt sich für die Demokratie ein, in der wir leben, und das jeden Tag. Ich denke, das ist schon ein Wert an sich.

Vielen Dank für das Gespräch.

ARD-Doku über "Palantir"

Der Dokumentarfilmer Klaus Stern hat sich intensiv mit der umstrittenen Analyse-Software von Palantir beschäftigt. In der Mediathek der ARD ist sein 89-minütiger Beitrag dazu unter dem Titel „Watching you – Die Welt von Palantir und Alex Karp“ zu finden. Darin thematisiert er, wie es Karp gelungen ist, bei Geheimdiensten und Polizeibehörden für seine Software zu werben. Zu Wort kommt in dem Film auch der inzwischen verstorbene frühere Bundesinnenminister Gerhart Baum (FDP): „Palantir ist eine Verführung, der sich unser Rechtsstaat entziehen muss.“ Auch die NRW-Polizei arbeitet mit der Palantir-Software „Gotham“ (wir berichteten) . Sie kann große Mengen an Daten bündeln und visualisieren, mit dem Ziel der Informationsgewinnung und Überwachung. „Gotham“ kann über digitale Datenanalysen weltweit Profile einzelner Menschen erstellen. Klaus Stern hat Palantir-Chef Alex Karp, der recht medienscheu ist, über Jahre mit der Kamera verfolgt. „Ich fand das 2017, als ich damit angefangen habe, schon wahnsinnig relevant“, erklärte Stern im Gespräch mit der Rundschau.