Interview mit FDP-Fraktionschef DürrTut die Partei zu wenig für Geringverdiener?

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FDP-Fraktionschef Christian Dürr.

FDP-Fraktionschef Christian Dürr.

Berlin – Fraktionschef Christian Dürr verteidigt die Steuerpläne von Finanzminister Christian Lindner gegen den Vorwurf der sozialen Unausgewogenheit. Er sagt: Wir dürfen die breite Mitte nicht vergessen.

Herr Dürr, die Linke ruft bereits zu Montagsdemos gegen die Ampel-Regierung auf. Wird der „Wut-Winter“ gerade herbeigeredet?

Die Linke ist eine populistische Partei. Beim jüngsten Auftritt des Bundeskanzlers haben Linke und AfD gleichermaßen zu Demos aufgerufen. Es ist nicht nur die Verantwortung der Bundesregierung, sondern auch der Opposition, mit der Krise angemessen umzugehen. Nichtsdestotrotz müssen wir handeln und über weitere Entlastungen sprechen.

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Lindner lehnt spezielle Hilfen für Rentner ab

Bundesfinanzminister Christian Lindner hält ein drittes Entlastungspaket im „unteren zweistelligen Milliardenbetrag für erreichbar“. In der „Rheinischen Post“ nannte der FDP-Chef dafür drei Prioritäten. „Erstens geht es um Bedürftige, zweitens um die arbeitende Mitte und drittens um die energieintensive Wirtschaft. Bürgergeld und Wohngeld würden den Bedürftigen helfen, der Inflationsausgleich gegen die kalte Steuerprogression schütze die Mitte. Für die energieintensiven Unternehmen werde es gezielte Wirtschaftshilfen geben müssen, sagte der Finanzminister. Spezielle Hilfen für Rentnerinnen und Rentner lehnte Lindner hingegen ab.

Mehrere große Sozialverbände haben unterdessen wegen der hohen Inflation an Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) appelliert, schnell einen „Sozialgipfel“ einzuberufen. „Angesichts steigender Preise für Energie und Lebensmittel haben mittlerweile viele Menschen in Deutschland Angst vor der Zukunft“, heißt es nach Mitteilungen vom Freitag in einem Brief. Hinter dem Appell stehen die Sozialverbände VdK und SoVD, der Deutsche Mieterbund und die Tafel Deutschland. (dpa)

Aber wann wird entschieden?

Es war richtig, dass wir bereits im Frühjahr große Entlastungspakete beschlossen haben. Die Energiepreis-Pauschale wird ab 1. September ausgezahlt. Wir haben auch rückwirkende Steuerentlastungen beschlossen, die Pendlerpauschale und den Arbeitnehmerpauschbetrag erhöht, den Grundfreibetrag erhöht. Das wird alles für dieses Jahr wirksam.

Aber reicht das, wenn ab dem Herbst die Gasumlage greift und die Heizsaison losgeht?

Christian Lindner hat mit dem Inflationsausgleichsgesetz unseren Vorschlag für eine Entlastung der arbeitenden Mitte für das nächste Jahr auf den Tisch gelegt. Wir dürfen die breite Mitte der Gesellschaft, die 48 Millionen Menschen, die Einkommensteuer zahlen, nicht vergessen. Diese Gruppe arbeitet hart und sieht sich massiv gestiegenen Energiekosten gegenüber. Deshalb müssen wir die Inflation für sie ausgleichen, damit sie nicht mehr Steuern zahlen müssen, obwohl sie real gar nicht mehr Geld in der Tasche haben. Dazu kommt, dass die Bundesregierung sich diese Woche auf die Absenkung der Mehrwertsteuer auf Gas geeinigt hat. Auch das ist ein wichtiger Schritt, der alle Menschen entlastet, und insbesondere die mit kleinen und mittleren Einkommen.

Hat die FDP nur die Steuerzahler im Blick – und überlässt Entlastungen für Geringverdiener und Rentner den Koalitionspartnern?

Wir unterstützen Wohngeldempfänger mit dem Heizkostenzuschuss, auch Hartz-IV-Empfänger erhalten Einmalzahlungen, die Regelsätze werden automatisch an die Inflation angepasst. Rentnerinnen und Rentnern greifen wir nun mit der Mehrwertsteuersenkung auf Gas maßgeblich unter die Arme. Darüber hinaus darf man aber nicht diejenigen vergessen, die normale Gehälter haben und 40 Stunden in der Woche arbeiten. Ich halte nichts davon, die Gruppen gegeneinander auszuspielen. Ich könnte mir aber noch mehr dauerhafte Entlastungen vorstellen: Im Steuersystem wäre es fair, künftig den Steuertarif automatisch an die Inflation anzupassen. Es wäre jetzt ein guter Zeitpunkt, den „Steuertarif auf Rädern“ einzuführen.

Sollten Hartz-IV-Empfänger von den höheren Energiepreisen komplett entlastet werden?

Bereits jetzt ist es so, dass die Gaskosten von Hartz-IV-Empfängern vollständig vom Staat übernommen werden. Wichtig wäre in der aktuellen Situation, in der die Gasressourcen knapp sind, dass es trotzdem einen Sparanreiz gibt. Diejenigen, die weniger Energie verbrauchen, könnten zum Beispiel einen Bonus erhalten. Wir müssen aufpassen, dass die Anreize zum Sparen bei denjenigen, deren Heizkosten voll übernommen werden, nicht wegfallen.

Wie viel Spielraum bleibt überhaupt noch für weitere Entlastungen, wenn allein Ihr Inflationsausgleich schon zehn Milliarden kostet?

Niemandem wäre geholfen, wenn wir den Staat an die Grenze seiner Leistungsfähigkeit bringen. Wir können nicht alles machen. Aber besonders da, wo zusätzliche Steuerbelastungen drohen, sollten wir entschieden handeln. Die Spielräume des Bundeshaushalts sind begrenzt.

Gerade wirkt die Ampel chaotisch, jeden Tag kommen neue Vorschläge, entschieden aber ist nichts.

Wir haben zu Anbeginn der Krise bereits zwei Entlastungspakete beschlossen, die über das Jahr Stück für Stück Wirkung zeigen. Wir haben schnell gearbeitet, und das unterscheidet uns wohltuend von der Großen Koalition.

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Nehmen wir die Mehrwertsteuersenkung: Nachdem uns Brüssel abgesagt hatte, die Mehrwertsteuer auf die Gasumlage auszusetzen, hat es keine zwei Tage gedauert, bis wir eine neue Lösung gefunden haben. Die Entlastungen für dieses Jahr haben wir bereits alle auf den Weg gebracht. Ich verstehe die Nachfragen, aber die ersten beiden Entlastungspakete kommen ja jetzt erst zur Auszahlung. Und jetzt reden wir über den nächsten Schritt. (rl)

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