Interview mit KonfliktforscherWie die Bundeswehr ihre Gelder bei der Beschaffung verschwendet

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Ein Panzer des Typs Leopard 2 A4

Ein Panzer des Typs Leopard 2 A4

Die Bundeswehr bekommt ein 100-Milliarden-Euro-Sondervermögen.  An Geld fehlt es also nicht. Doch wird es immer effizient ausgegeben? Nein, sagt Michael Brzoska, Konfliktforscher an der Uni Hamburg.

Sie haben in einer Studie berechnet, dass die Hälfte der deutschen Verteidigungsausgaben mehr oder weniger versandet. Wo denn?

In einem ineffizienten Beschaffungswesen, bei einer lobbystarken Industrie und bei unnötig komplizierten technischen Lösungen.

Warum macht die Bundeswehr die Technik immer so kompliziert?

Das liegt an einer Vielfalt von Interessen. Bei den Streitkräften will man natürlich immer das bestmögliche Material haben. Was das beste Material ist, ist natürlich nicht immer leicht zu bestimmen. Wenn die Industrie den Entscheidungsträgern bei der Beschaffung vorträgt, dass noch dieses und jenes möglich ist, ist das natürlich interessant und trifft oft auf Zustimmung. So wird das Bestmögliche dem vorgezogen, was tatsächlich funktioniert oder gut erprobt wurde.

Dass die Bundeswehr das bestmögliche Material haben will, ist doch selbstverständlich.

Ja, aber man landet schnell bei Sachen, die technisch nur eingeschränkt möglich sind. Zudem haben die Rüstungsfirmen ein Interesse daran, möglichst komplizierte Systeme zu verkaufen. Das sorgt für hohe Preise, die bei einer oft geringen Stückzahl wichtig sind. Zudem ermöglicht es den Firmen, sich technisch weiterzuentwickeln. Dafür sind Aufträge der Bundeswehr gut, weil etwaige technologische Entwicklungen vorfinanziert werden, aber das führt auch zu hohen Entwicklungskosten. Technologischer Fortschritt und Einsatzfähigkeit widersprechen sich manchmal. Und die Kosten steigen.

Kann man so auch die kaputten Pumas erklären? Das Argument für den Puma sind ja die technischen Möglichkeiten, die aber wenig bringen, wenn man ihn im Einsatz nicht anständig warten kann.

Der Puma ist ein wirklich drastisches Beispiel dafür, dass die Industrie mehr versprochen hat, als sie halten kann, und dafür, dass die Bundeswehr das, was sie bestellt hat, nicht wirklich im Einsatz halten kann. Viele in Bundeswehr und Industrie, nicht alle, wollten einen Schützenpanzer, der technisch weltweit führend ist. Dabei können auch ältere Systeme gut funktionieren, insbesondere, wenn man sie wie den Marder immer wieder aktualisiert hat. Diese Abwägung, was für die Bundeswehr und ihre Einsatzfähigkeit am besten ist, hat man nicht in den Vordergrund gestellt. Es gibt aber mehr solche Beispiele.

Und zwar?

Da wäre zum Beispiel das Transportflugzeug A400M zu erwähnen, wobei es nach vielen Jahren einigermaßen funktioniert. Der Panzerabwehrhubschrauber Tiger ist ebenfalls ein großes Problem. Die Schiffe funktionieren im Vergleich zu Luft- und Landsystemen deutlich besser, aber auch hier gibt es Probleme. Und in Deutschland sind sie noch schlimmer als anderswo.

Warum?

Deutschland hat eine relativ kleine Rüstungsindustrie. In Ländern wie den USA, wo diese größer sind, kriegt man das Problem besser in den Griff. In Deutschland gibt es geringere finanzielle Möglichkeiten, aber man versucht trotzdem mit den USA mitzuhalten. Dafür muss man in Europa aber ernsthaft zusammenarbeiten und nicht nur bei einzelnen Produkten. Selbst wenn man ganz Europa zusammen nimmt, kann man nicht mit dem gigantischen Beschaffungsvolumen der Amerikaner mithalten.

Manches muss man also in den USA kaufen?

Ja. Etwa Flugzeuge und fliegende Systeme, da sind die USA nun mal führend. Man muss sich bei der Beschaffung immer zwei Fragen stellen: Erstens: Wo sind die Amerikaner so viel besser, dass wir uns auf sie verlassen sollten? Zweitens: Wo sind europäische Systeme genau so gut oder ausreichend.

Wenn die deutsche und europäische Rüstungsindustrie so klein ist, warum hat sie dann einen so großen Einfluss?

Insgesamt ist die Rüstungsindustrie gar nicht so bedeutend, in einzelnen Regionen aber schon. In den norddeutschen Bundesländern, etwa in Mecklenburg-Vorpommern, sind Werften teilweise die einzigen großen Industriebetriebe und entsprechend wichtig für lokale Politiker. Zudem ist die Industrie sehr gut in der Lage, ihre technischen Fortschritte zu vermarkten. Gerade Schiff- und Flugzeugbauer sind extrem gut in der Politik vernetzt.

Kann man sagen, dass norddeutsche Abgeordnete gerne Lobbyarbeit für die Marine machen?

Ja. Man sieht das auch bei den Planungen für das Sondervermögen. Die Marine hat dort ein Gewicht, das für mich persönlich nicht nachvollziehbar ist. Das Heer spielt dabei eine relativ kleine Rolle, obwohl es für die Landesverteidigung sehr wichtig ist. Die Luftwaffe und alles, was fliegt, stellt aber einen vergleichbar noch größeren Teil dar. Hier steht geografisch eher der Raum München im Vordergrund. Dort ist die Abhängigkeit von der Rüstungsindustrie und damit der politische Lobbyismus besonders ausgeprägt.

Die Marine im Norden und die Luftwaffe im Großraum München: Das Heer hat also keine Lobby?

Zumindest hatten Firmen, die das Heer beliefern, in der Vergangenheit eine weniger große Bedeutung. Kurioserweise obwohl die Heeresindustrie in den Medien präsente Persönlichkeiten wie etwa Rheinmetall-Chef Armin Pappberger hat.

Das Beschaffungswesen ist in Deutschland unheimlich komplex. Muss das so sein?

Nein. Muss ein Panzer unbedingt dieselben Abgasvorschriften erfüllen wie ein Baustellenfahrzeug? Braucht es umfassende Klagerechte, die ans überlastete Gerichtswesen gehen? Das alles sind Vorschriften aus dem zivilen Bereich und halten auf. Man muss den Apparat nicht noch größer werden lassen, damit es schneller geht. Stattdessen sollte man das System vereinfachen. Dann wird ein Auftrag vergeben und es bleibt dabei. Ein bisschen mehr Flexibilität wäre, glaube ich, angemessen.

Interview: Sören Becker

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