Interview zu Lützerath„Die kommenden Wochen werden zur extremen Belastung“

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Polizisten sichern das Gelände beim Braunkohletagebau Garzweiler II. Lützerath soll zur Erweiterung des Braunkohletagebaus Garzweiler II abgebaggert werden.

Erkelenz: Polizisten sichern das Gelände beim Braunkohletagebau Garzweiler II.

Klimaaktivisten verschanzen sich, die Polizei schickt immer mehr Einheiten nach Lützerath. Kann die Räumung des Dorfes noch ohne Eskalation gelingen? Darüber und über die Grenzen von friedlichem Klima-Protest sprach Arno Keusch, Vorsitzender der Gewerkschaft der Polizei im Kreisverband Aachen, mit Leon Grupe.

Herr Keusch, wie ist die Situation in Lützerath derzeit?

Seit ein paar Tagen laufen die ersten Vorbereitungen, die aber noch nichts mit der Räumung zu tun haben. Da werden schon die ersten kleineren Barrikaden weggeräumt. Es kam auch zu Sitzblockaden, die bis dato aber immer wieder mal durch direkte Kommunikation zwischen Aktivisten der Polizei dann auch aufgelöst werden konnten.

Kam es auch schon zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Polizei und Aktivisten?

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Ich formuliere es mal so: Es hat bislang einige kleinere Scharmützel gegeben. Abgesehen von den Sitzblockaden, wurde auf die Einsatzkräfte zum Beispiel ein Farbbeutel geworfen. Von gewalttätigen Auseinandersetzungen können wir also nicht sprechen.

Mit wie vielen Einsatzkräften sind Sie derzeit vor Ort in Lützerath?

Genaue Zahlen kann ich nicht nennen. Klar ist: Im Moment sind schon mehrere Hundertschaften in Lützerath, die zum einen die Arbeiten von RWE absichern und zum anderen die Umgebung sondieren. Aufklärungsarbeiten sozusagen. Je nachdem, wie die Vorbereitungen laufen, werden wir mit der Räumung beginnen. Mitte Januar könnte es so weit sein, aber darauf kann und möchte ich mich nicht festlegen.

Werden Sie dann das Polizeiaufgebot deutlich erhöhen?

Davon gehe ich aus. Wir werden sicherlich noch einige Kräfte bündeln, vermutlich auch aus ganz Deutschland. Die genaue Zahl sei dahingestellt, es dürften aber einige Hundertschaften mehr sein.

Wie bereitet man sich als Beamter auf so einen Einsatz vor? Die Besetzer werden sich wahrscheinlich auch in Baumhäusern verschanzen und müssen da rausgeholt werden. Das ist ja nichts Alltägliches.

Nein, auf jeden Fall nicht. Der normale Beamte aus dem Streifendienst oder aus der Hundertschaft wird nicht eines der Baumhäuser erklimmen und einen Aktivisten abseilen. Für solche Einsätze verfügen wir über Spezialkräfte. Sogenannte Höhenretter. Die trainieren diese Dinge regelmäßig. Was ich noch betonen möchte: Weil die Einsatzmaßnahmen im Hambacher Forst seit Jahren andauern, sind solche Einsätze für uns quasi schon Routine.

Fürchten Sie in Lützerath eine ähnliche Eskalation wie 2018 bei der Räumung des Hambacher Forsts?

Ich hoffe nicht. Wir als Polizei können nur appellieren, dass die Räumung friedlich vonstattengeht. Wir wollen alle gesund bleiben. Aber zur Wahrheit gehört auch, dass wir nicht wissen, ob uns das Gleiche erwartet wie im Hambacher Forst. Dass es zu größeren Barrikaden kommen wird, damit rechnen wir. Wir werden aber alles unternehmen, damit die Besetzer ihren Widerstand nicht an den Polizeikräften auslassen.

Wie denn?

Mit Deeskalation. Wir gehen sehr transparent vor. Vor Ort haben wir Kollegen, die ständig mit den Aktivisten in Kontakt stehen und polizeiliche Maßnahmen erklären. Mit dieser Strategie haben wir Erfolg, es ist bislang ja relativ friedlich geblieben. Hoffen wir, dass das so bleibt.

Gibt es eigentlich auch Beamte, die Bedenken bezüglich des Einsatzes geäußert haben oder sich nicht an der Räumung beteiligen wollen, weil sie Sympathien für die Aktivisten und deren Anliegen teilen?

Vorfälle sind mir nicht bekannt. Aber natürlich kann man auch als Polizeibeamter für mehr Klimaschutz sein. Man kann auch Klimaschutzaktivismus durchaus gutheißen. Dieser darf nur nicht in Gewalt münden. Und das ist der große Unterschied: Mit Aktivisten kann man sympathisieren, mit Straftätern nicht. Genau da müssen wir als Polizei die Grenze ziehen.

Wie denken Sie über die Klimaaktivisten in Lützerath? Können Sie deren Warnungen vor den Auswirkungen des Klimawandels nachvollziehen?

Doch, schon. Wissen Sie, ich habe auch Kinder und wir sind alle darauf bedacht, den Klimawandel möglichst zu bremsen. Verhindern werden wir ihn ja kaum noch. Daher kann ich schon verstehen, dass die Aktivisten darauf aufmerksam machen wollen, dass es so nicht weitergeht – sicherlich sind außergewöhnliche Mittel dafür auch geeignet. Wenn allerdings eine Grenze überschritten wird, ab der Straftaten begangen werden, dann ist das natürlich nicht in Ordnung. Wer das Gesetz bricht, macht sich schuldig. Da mag das Anliegen im Kern noch so richtig sein.

Halten Sie den Protest der Lützerath-Besetzer denn überhaupt für zielführend?

Nein, davon bin ich nicht überzeugt. Die Politik hat sich auf den Ausstieg aus der Kohleverstromung geeinigt. Dies war zu Beginn der Auseinandersetzungen rund um den Hambacher Forst noch anders. Was nun in Lützerath passiert, hat daher für mich wenig mit einem sinnvollen Engagement für den Klimaschutz zu tun – mehr mit der Tatsache, dass es Menschen gibt, die jede Möglichkeit suchen, die Auseinandersetzung mit dem Staat und seinen Organen zu provozieren. Hier werden Straftaten begangen, da muss man eine klare Absage erteilen.

Der Energiekonzern RWE und die Behörden in Nordrhein-Westfalen gehen davon aus, dass die Räumung in Lützerath bis zu vier Wochen dauern könnte. Ist das realistisch oder zu knapp angesetzt?

Wie gesagt, wenn wir weiterhin die Kommunikation zu den Aktivisten aufrechterhalten können, dann bin ich optimistisch, dass wir das in dem Zeitraum hinbekommen. Für unsere Einsatzkräfte werden die kommenden Wochen auf jeden Fall zur extremen Belastung. Sie werden lange mit der Räumung beschäftigt sein und wären froh, wenn diese einigermaßen schnell beendet würde. Man muss bedenken, andere Einsätze warten auf die Polizisten. Etwa Bundesligaspiele. Und bald ist auch wieder Karneval.

Auf einer Skala von eins bis zehn – wie nervös sind Sie?

Irgendwo zwischen zwei und drei. Wir sind gut vorbereitet.

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