Julia Klöckner über die verpatzte Kanzlerwahl, Baskenmützen im Bundestag und die Rechte der Opposition.
Julia Klöckner„Das Vertrauen in Politiker ist recht niedrig“

Julia Klöckner (CDU), Bundestagspräsidentin, spricht zu Beginn im Bundestag.
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Die ersten Wochen als neue Bundestagspräsidentin hätten turbulenter kaum sein können. Julia Klöckner (CDU, 52) spricht im Interview mit Rena Lehmann über die verpatzte Kanzlerwahl, Baskenmützen im Bundestag und die Rechte der Opposition.
Frau Klöckner, als Bundestagspräsidentin befindet sich Ihr Arbeitsplatz sozusagen am offenen Herzen der Demokratie. Wie erklären Sie sich, dass auch in Deutschland das Vertrauen in die Demokratie zurückgegangen ist?
Das würde ich so gar nicht sehen. Wir sind mit zwei Millionen Besuchern im Jahr das meistbesuchte Parlament der Welt. Unsere Debatten im Bundestag werden angesehen, die Bürgerzuschriften haben enorm zugenommen. Das Interesse an unserer Demokratie ist groß, das zeigt auch die Wahlbeteiligung bei der Bundestagswahl. Was wir aber durchaus erleben, ist Politikverdrossenheit. Das Vertrauen in Politiker, sprich in die Repräsentanten, und auch in Parteien, das ist recht niedrig. Daraus würde ich aber nicht schlussfolgern, dass Demokratie als solche in Frage gestellt wird.
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Und ist dieser Vertrauensverlust in Politiker zu reparieren?
Vertrauen ist der Schmierstoff unserer Demokratie, es geht nicht ohne. Die höchste Akzeptanz erreichen Politiker doch dann, wenn sie die Probleme lösen. Und das war nicht der Fall über längere Zeit. Die Bürger spüren, es wird teurer in ihrem Alltag. Sie erleben, dass sie sich trotz Vollzeitjobs kein Wohneigentum leisten können. Sie erfahren, dass Frieden nicht mehr so stabil ist. Sie haben gesehen, dass Parteien, Fraktionen, Regierungen, die Probleme lösen sollen, miteinander streiten. Ich glaube, die Menschen erwarten eine klare Arbeitsteilung nach dem Motto: Ich mache meine Arbeit ordentlich, aber dann macht ihr Politiker bitte auch euren Job.
Steht der Bundestag heute unter verschärfter Beobachtung?
Die Einschaltquoten in unserem Parlamentsfernsehen bei der Kanzlerwahl waren sehr hoch. Und am Ende hat dieser ganze Tag doch gezeigt, dass die Demokratie funktioniert und stabil ist – es halt eben nur einen zweiten Wahlgang gebraucht hat. Es gab kein Chaos in Deutschland, weder Strom noch Verkehrsampeln waren ausgefallen. Und am Ende war der Kanzler gewählt.
Aber hätten Sie nicht zur Beruhigung beitragen können und vielleicht sogar müssen, indem Sie nach dem Wahlergebnis einmal durchgesagt hätten, was die Optionen für einen zweiten Wahlgang sind?
Glauben Sie wirklich, das wäre klug gewesen in dem Moment, wo erstmals ein Kanzler nicht im ersten Wahlgang gewählt worden ist, ins Mikrofon in Richtung der Koalitionsfraktionen öffentlich zu erklären: Ihr könnt heute noch mal wählen, wenn ihr eine Zweidrittelmehrheit zusammen mit den Linken oder mit der AfD oder mit den Grünen hinbekommt und von der Geschäftsordnung abweicht. Nein. Ich habe die Fraktionen in Ruhe über die Lage informiert, dieser Weg hat am Ende ja gut funktioniert. Es hat Beratung und Annährung gebraucht.
Auch wenn es manchmal nicht wie gewohnt läuft: Die Menschen können sich doch anders als in autokratischen Systemen darauf verlassen, dass unsere Demokratie für alles gerüstet ist. Dafür braucht es aber auch mal Gespräche ohne Mikrofon.
War das der bisher herausforderndste Moment?
Die Kanzlerwahl mit so einem Verlauf war auf jeden Fall ein überraschender Moment. Aber dann muss man Nerven behalten, ganz klar.
Was haben Sie sich für ihre Amtszeit vorgenommen?
Wir müssen verständlich sprechen als Politiker und unsere Gesellschaft in ihrer Breite erreichen. Und das tun wir nicht immer. Ich möchte Demokratie ermöglichen, auch unter schwierigen Umständen. Ich möchte, dass wir noch digitaler und moderner werden im Bundestag, dazu gehört eine Geschäftsordnungsreform. Zum Beispiel beim Fragerecht. Und wir brauchen ein Bundestagspolizeigesetz. Für mehr Sicherheit im Haus.
Warum halten Sie das für notwendig?
Ich sagte es, wir haben zwei Millionen Besucher im Jahr. Da braucht unsere Bundestagspolizei auch wichtige Informationen, um Gefahren abzuwehren. Das geht aber nur, wenn es eine gesetzliche Grundlage für den manchmal nötigen Datenaustausch gibt. Es geht nicht darum, ob ein Besucher schon mal über eine rote Ampel gefahren ist, sondern ob jemand als Gefährder eingestuft wird oder bereits in verfassungsgefährdender Weise aufgefallen ist. Wir müssen wissen, ob solche Personen in den Bundestag wollen. Es ist doch absurd, dass diese Informationen auf Anfrage bisher nicht an die Bundestagspolizei übermittelt werden können. Das müssen wir ändern.
Sie haben einen Linken-Politiker des Saals verwiesen, weil er seine Baskenmütze nicht absetzen wollte. Warum dieser harte Kurs gleich von Anfang an?
Was wir als Präsidium dulden, liegt auch im Ermessensspielraum. Dafür gibt es eine Sitzungsleitung, sonst könnte dort auch ein Roboter Platz nehmen. Der Plenarsaal ist ein Ort mit besonderer Würde – das sollte sich auch im äußeren Auftreten widerspiegeln. Dass jemand sich mit einer Kappe oder einer Mütze ins Plenum setzt, das halte ich daher für unangebracht. Wer anderen Respektlosigkeit gegenüber demokratischen Institutionen vorwirft, sollte selbst mit gutem Beispiel vorangehen. Das teilt auch mein komplettes Präsidium. So wie wir hier auftreten, verbal und nonverbal, so setzen wir die Temperatur auch in die Gesellschaft hinein.
Die AfD ist jetzt doppelt so groß wie vorher und ist Oppositionsführerin. Trotzdem wurden ihre sechs Ausschussvorsitzenden nicht gewählt. Ist das in Ordnung?
Die Abgeordneten in den Ausschüssen haben in geheimer Wahl so entschieden. Rechtlich gibt es dazu ein Verfassungsgerichtsurteil. Das besagt, dass es für niemanden einen Anspruch auf einen Ausschussvorsitz gibt. Als Bundestagspräsidentin ist mir wichtig, dass die Rechte jeder Fraktion gewahrt werden, sich politisch einzubringen und gemäß ihrer Größe mit ihren Abgeordneten im Ausschuss mitzuarbeiten. Das ist gegeben. Auch Rederechte und Redezeiten sind klar geregelt und werden eingehalten.
Ausschussvorsitzende sind aber sichtbarer als normale Ausschussmitglieder …… und deshalb müssen sich die Kandidatinnen und Kandidaten dafür auch einer Wahl stellen.
Natürlich hat die AfD das Recht, Kandidaten für die Vorsitze zu präsentieren. Das darf man ihr überhaupt nicht verwehren. Aber es gibt eben kein Recht, gewählt zu werden – in der Demokratie entscheidet die Mehrheit. Ich habe als Präsidentin mehr Stimmen als nötig erhalten, aber nicht alle Stimmen des Hohen Hauses. Wie gewählt wird, obliegt den frei gewählten Abgeordneten, nicht mir als Präsidentin. Nochmal: Das Entscheidende ist, dass die Abgeordneten im Ausschuss mitarbeiten können.
Auch um die Fraktionssäle gab es Streit. Die AfD hat 152, die SPD nur noch 120 Abgeordnete. Wäre es da nicht logisch gewesen, dass sie die Räume tauschen?
Jede Fraktion hat einen Anspruch darauf, angemessen tagen zu können. Und das ermöglichen wir als Bundestagsverwaltung. Wir treffen aber nicht die Entscheidung, wer wohin geht, das ist Sache der Fraktionen. Wenn es hier keine einvernehmliche Einigung gibt, dann wird im Ältestenrat mit Mehrheit entschieden. Das ist erfolgt. Alle müssen arbeiten können. Und das kann ich für die Bundestagsverwaltung garantieren, dass wir dafür sorgen.
Sie stehen erst als vierte Frau an der Spitze eines Parlaments mit weniger Frauen als zuletzt. Die Spitzenposten in der neuen Regierung übernehmen vor allem Männer. Gefällt Ihnen das?
Ehrlich gesagt, je älter ich werde, umso mehr spielt das Thema der Repräsentanz von Frauen für mich eine Rolle. Wir machen gerade Rückschritte. Ich gehöre zu einer Generation, die auf den Schultern von Frauenrechtlerinnen und Feministinnen, die sich unbeliebt gemacht und vieles erkämpft haben, bequem stehen konnte. Ich konnte alles machen und werden. Jetzt haben wir eine jüngere Generation, die mitkriegt, wie sich ihre Mütter abhetzen, um Beruf und Familie unter einen Hut zu bringen und die teilweise sagt: Das wollen wir uns nicht antun. Jetzt geht es darum, jungen Frauen Mut zu machen, ans Gelingen zu glauben. Ich sage: Traut euch! Und steht wieder auf, wenn mal etwas nicht klappt. Es gibt nichts auf dem Silbertablett, aber der Weg lohnt sich.