Meine RegionMeine Artikel
AboAbonnieren

Millionen Menschen an der ArmutsgrenzeMindestlohn steigt ab 1. Januar 2019

Lesezeit 3 Minuten
scholz und merkel

31.10.2018, Berlin: Olaf Scholz (SPD), Bundesfinanzminister, und Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sitzen zu Beginn der Sitzung des Bundeskabinetts im Bundeskanzleramt.

Berlin/Wiesbaden – Der gesetzliche Mindestlohn für Millionen Arbeitnehmer in Deutschland steigt in zwei Schritten um mehr als 50 Cent pro Stunde. Zum 1. Januar 2019 wird die allgemeine Untergrenze von derzeit 8,84 Euro auf 9,19 Euro pro Stunde erhöht, zum 1. Januar 2020 geht es dann weiter auf 9,35 Euro. Das beschloss das Bundeskabinett am Mittwoch.

Unabhängig davon flammte die Debatte über eine kräftigere Erhöhung auf 12 Euro erneut auf. Trotz boomender Wirtschaft in Deutschland leben weiterhin Millionen Menschen an oder unter der Armutsgrenze. Knapp ein Fünftel der Bevölkerung war im vergangenen Jahr von Armut oder sozialer Ausgrenzung bedroht, wie das Statistische Bundesamt berichtete.

Mindestlohn weiter viel zu gering

Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) sagte, die Einführung des Mindestlohns 2015 sei „ein notwendiger und richtiger Schritt“ gewesen. „Und es ist richtig, ihn regelmäßig anzupassen.“ Es gehe aber immer nur um die absolute Lohnuntergrenze. Deshalb sei es nötig, die Bindung an Tarifverträge in der Wirtschaft auszuweiten, damit mehr Menschen die Chance auf deutlich höhere Löhne bekämen.

mindestlohn-eu-grafik

Der Mindestlohn in den Ländern der EU.

Die nun per Verordnung festgesetzten Mindestlohn-Anhebungen folgen einem Votum, das die zuständige Kommission aus Arbeitgebern, Gewerkschaften und Wissenschaft im Juni gefasst hatte. Der Sozialverband VdK kritisierte: „Diese paar Cent mehr helfen den Betroffenen nicht weiter.“ Der Mindestlohn sei weiter viel zu gering und schütze nicht vor Armut.

Die Untergrenze gilt für alle volljährigen Arbeitnehmer - außer für Langzeitarbeitslose in den ersten sechs Monaten nach Aufnahme einer Arbeit. Auch für Azubis, bei Pflichtpraktika oder Praktika unter drei Monaten gilt sie nicht. Der Mindestlohn war 2017 zum ersten Mal von 8,50 Euro auf 8,84 Euro erhöht worden. Grundlage dafür ist die Entwicklung der durchschnittlichen Tariflöhne. In mehreren Branchen gibt es Mindestlöhne, die über der allgemeinen Untergrenze liegen.

Olaf Scholz will höheren Mindestlohn

Vizekanzler Olaf Scholz (SPD) bekräftigte seine Forderung nach einem deutlich höheren gesetzlichen Mindestlohn. Er finde, dass 12 Euro „angemessen sind“, schrieb der Bundesfinanzminister in einem Beitrag für „bild.de“. In der großen Koalition ist ein Sprung auf 12 Euro aber kaum umsetzbar. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) hält das bestehende Verfahren für richtig, dass eine unabhängige Kommission die Höhe festsetzt, wie Regierungssprecher Steffen Seibert deutlich machte. Der Präsident des ifo-Instituts, Clemens Fuest, warnte vor einem „Überbietungswettbewerb mit Mindestlohnversprechen“ im nächsten Wahlkampf. Das wäre für die Beschäftigungsentwicklung gefährlich, sagte der Wirtschaftsforscher der „Passauer Neuen Presse“.

Wie das Statistische Bundesamt berichtete, waren 2017 in Deutschland 15,5 Millionen Menschen von Armut oder sozialer Ausgrenzung bedroht. Das entspricht einem Bevölkerungsanteil von 19 Prozent - ein leichter Rückgang im Vergleich zu 2016. Damals waren hierzulande 16 Millionen Menschen oder 19,7 Prozent betroffen. In der Gesamt-EU lag der Anteil dieser Gruppe 2017 bei 22,5 Prozent. Die Behörde beruft sich dabei auf Daten der Erhebung „Leben in Europa“ (EU-SILC). Dafür werden in Deutschland jährlich rund 14.000 Haushalte schriftlich befragt.

Millionen von Armut oder Ausgrenzung betroffen

Laut Definition für die Erhebung gilt jemand als armutsgefährdet, wenn er über weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens der Bevölkerung verfügt. 2017 lag dieser Wert für eine alleinlebende Person in Deutschland bei 1096 Euro im Monat, für zwei Erwachsene mit zwei Kindern unter 14 Jahren bei 2302 Euro. Die Definition für eine Bedrohung durch soziale Ausgrenzung ist etwas weiter gefasst: Sie meint auch, dass in einem Haushalt das Geld nicht reicht für Miete, Fernsehgerät, Heizung oder einen einwöchigen Urlaub.

Die Präsidentin des Sozialverbands VdK Deutschland, Verena Bentele, sprach von weiterhin erschreckend hohen Zahlen. „Es ist skandalös, dass trotz des Wirtschaftsbooms in Deutschland 15,5 Millionen Menschen von Armut oder Ausgrenzung bedroht sind.“ Sie forderte ein Gesamtkonzept zur Armutsbekämpfung. „Dazu gehören faire Bildungschancen genauso wie eine neu ausgerichtete Arbeitsmarktpolitik.“ (dpa)