Scholz und die Taurus-LieferungDroht Deutschland in einen Angriff auf Russland einbezogen zu werden, Herr Prof. Jäger?

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Ein Bundeswehr-Tornado mit einem Taurus-Marschflugkörper (unter dem Rumpf). Die Ukraine würde diese Waffen von ihren eigenen SU-24-Jets aus starten.

Ein Bundeswehr-Tornado mit einem Taurus-Marschflugkörper (unter dem Rumpf). Die Ukraine würde diese Waffen von ihren eigenen SU-24-Jets aus starten.

Warum will Bundeskanzler Olaf Scholz keine Taurus-Marschflugkörper in die Ukraine liefern? Wir haben den Kölner Politikwissenschaftler und Politikberater Thomas Jäger gebeten, zu erklären, was den Kanzler bewegen dürfte.

Bundeskanzler Olaf Scholz will weiterhin keine Taurus-Marschflugkörper an die Ukraine liefern und verweist auf verfassungsrechtliche Probleme. Können Sie mir helfen, zu verstehen, was er damit meint?

Ich weiß wirklich nicht, was er damit meint. Nach meiner Einschätzung will er einfach nicht, aus irgendeinem Grund. Verteidigungsminister Boris Pistorius geht da mit, da Teile der Partei es fordern. Und jetzt werden Gründe aus dem Hut gezaubert, die Scholz davon abhalten, final zu entscheiden.

Es gäbe ja zwei Bestimmungen im Grundgesetz, an die Scholz vielleicht denkt: Erstens das Verbot der Vorbereitung eines Angriffskrieges …

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Das ist Unsinn.

… und zweitens die Vorgabe, dass deutsche Soldaten nur mit Zustimmung des Bundestags im Ausland eingesetzt werden dürfen …

Auch Unsinn. Beides zieht nicht. Also: Deutschland ist in keinen Angriff auf Russland einbezogen. Wenn die Ukraine die Taurus-Marschflugkörper erhält, sind es keine deutschen Waffen mehr, sondern ukrainische. Die Ukraine macht damit, was sie auch darf, sie führt einen Verteidigungskrieg. Völkerrechtlich dürfte sie dabei durchaus auch Angriffe auf militärische Ziele auf russischem Staatsgebiet ausführen, aber sie hat erklärt, dass sie darauf verzichtet. Sie hat sogar die Bereitschaft erklärt, jeden einzelnen Einsatz zu dokumentieren. An solchen Kampfhandlungen würden keine deutschen Soldaten teilnehmen, sie werden nicht im Ausland eingesetzt. Ob ein deutscher Soldat an einem Leopard II herumschraubt, der dann in die Ukraine geht, oder ob er Geodoaten in einen Taurus eingibt – beides ist kein Auslandseinsatz und keine Beteiligung an einer Kampfhandlung. Es entspricht dem Völkerrecht und dem Bundestagsbeschluss vom 28. April 2022.

Wieso ist das Erfassen von Geodaten keine Beteiligung an Kampfhandlungen?

Es geht um die grundsätzlichen Daten, um die Basiskonfiguration wie bei britischen und französischen Marschflugkörpern oder den von Deutschland ja schon gelieferten Raketen. Niemand verlangt, dass deutsche Soldaten dabei helfen, ein konkretes Angriffsziel in den Taurus einzugeben. Dass die Ukraine Geodaten von den westlichen Unterstützern erhält, ist ohnehin bekannt.

Ganz klar ist, dass wir für uns immer auch beachten müssen, was uns die Verfassung vorgibt und was unsere Handlungsmöglichkeiten sind. Dazu zählt ganz besonders die Tatsache, dass wir selbstverständlich gewährleisten müssen, dass es keine Eskalation des Krieges gibt und dass auch Deutschland nicht Teil der Auseinandersetzung wird. Es ist auch meine Aufgabe als Bundeskanzler, das zu gewährleisten.
Olaf Scholz beim Gipfel in Granada auf die Frage: „Und warum nicht Taurus?“

Scholz äußert immer wieder, so auch jetzt, die Sorge vor einer Ausweitung des Krieges, vor einer Eskalation – stärker als andere westliche Politiker. Weiß er unter Umständen mehr oder ist er Empfänger von Drohungen, die andere so nicht erhalten?

Was wir wissen: Er erhält Druck aus seiner Partei. Den Stegners und Mützenichs in der SPD geht schon das, was bisher geschieht, viel zu weit. Das ist bekannt. Durch sein langes Schweigen trägt Scholz aber dazu bei, dass Fragen aufkommen, wie Sie sie stellen. Im Prinzip lauten diese Fragen: Hat irgendjemand etwas gegen Scholz in der Hand? Wir wissen es nicht. Diese Fragen provoziert Scholz aber, weil seine Argumente nicht tragen. Als Jurist wird er wissen, was Eskalation heißt und dass eine Taurus-Lieferung keine Eskalation bedeutet – der Taurus hilft der Ukraine nur, die Risiken weiter zu tragen, die sie bisher einzugehen bereit war. Verweigert man solche Lieferungen, dann kann die Ukraine der russischen Eskalation nichts mehr entgegensetzen. Und dass Russland Nato-Staaten angreifen oder Atomwaffen einsetzen würde, ist extrem unwahrscheinlich. Dafür gibt es keinen rationalen Grund – und so aberwitzig dieser Angriffskrieg als solcher ist, im Krieg selbst agiert Russland ausgesprochen rational.

Angeblich treibt Scholz die Sorge um, die Ukraine könne die Krim-Brücke von Kertsch angreifen.

Wir wissen nicht, ob es in den Gesprächen von Scholz mit Putin so etwas gab. Dass Putin gesagt hat, die Brücke von Kertsch ist tabu. Dass damit auch Drohungen verbunden waren. Wir wissen es nicht, aber es wäre ein bemerkenswerter Tatbestand, wenn er sich von so etwas abschrecken ließe.

Prof. Thomas Jäger, Politologe, Köln

Prof. Thomas Jäger, Politologe, Köln

Wenn man sich zum Beispiel das Parlamentschaos in den USA ansieht – müsste die Ukraine da nicht froh sein, dass Scholz zumindest verlässlich hilft, auch wenn er nicht alle Wünsche erfüllt?

Scholz ist doch in einer ganz anderen Lage als US-Präsident Joe Biden. Ein Parlamentschaos wie in den USA ist hier nicht zu erwarten. Es ist ja auch nicht so, dass die drei Regierungsfraktionen geschlossen gegen die Taurus-Lieferung wären. FDP und Grüne unterstützen sie ebenso wie maßgebliche Teile der SPD, etwa der Haushaltspolitiker Andreas Schwarz. Auch Pistorius ist doch eigentlich dafür, es fehlt nur das Go von Scholz. Das ist mit der Lage in den USA nicht gleichzusetzen. Scholz blickt sicher auf die öffentliche Meinung, die gespalten ist. Aber das liegt auch daran, dass Scholz keinen Einfluss auf diese öffentliche Meinung nimmt. Dass er nicht führt.

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