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Bilanz nach elf MonatenSo schlägt sich Olaf Scholz bislang als Bundeskanzler

Lesezeit 6 Minuten
14.11.2022, Singapur: Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), am Rande der 17. Asien-Pazifik-Konferenz der Deutschen Wirtschaft (APK).

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), am Rande der 17. Asien-Pazifik-Konferenz der Deutschen Wirtschaft (APK).

Trotz anfangs falsch interpretierter Gefühlskälte ist Olaf Scholz elf Monate nach Amtsantritt zum beliebten und durchsetzungsfähigen Basta-Kanzler avanciert. Auch seine Ampel-Koalition scheint er – vorerst – befriedet zu haben.

Gerade ging ein Video von einer Fragerunde „viral“: Da berichtet Olaf Scholz von einem Bürger, der ihm klagte, er sei bei seinem Ofen von Strom auf Gas umgestiegen – und dann kam die Gaspreisexplosion. „Da wusste ich gar nicht, wie traurig ich gucken sollte“, sagt Scholz irgendwie schlumpfig grinsend. In den sozialen Netzwerken, den Boulevard-Medien und bei der CDU wurde daraus der arrogante Kanzler, der sich über die Nöte der Menschen kaputtlacht.

Das Video trifft einen Nerv: Gut elf Monate nach seinem Amtsantritt gilt Scholz weiter als gefühlskalt, weit weg von den realen Sorgen. Was stimmt: Empathie gehört nicht zu seinen Stärken, dafür vermittelt er gern den Eindruck, alles besser und früher zu wissen. In kleiner Runde düpiert er gern mal seine Gesprächspartner wenn er meint, sie seien nicht auf seiner Höhe. „Schweinchen schlau“ nennen ihn seine eigenen Leute.

Das Label der Arroganz ist gefährlich, denn es verdeckt, dass der Regierungschef die Sorgen der Menschen und ihr Gerechtigkeitsempfinden extrem ernst nimmt. Als Respekt-Kanzler wurde er im vorigen Jahr gewählt, und das war keine Masche. Zu seinen wichtigsten Überzeugungen gehört, dass gesellschaftlicher Zusammenhalt nur mit einem funktionierenden Sozialstaat und der Rettung der Industrie gelingen kann, damit sich möglichst wenige abgehängt fühlen. Wenn das nicht klappt, drohen Populismus und Spaltung, italienische Verhältnisse. Darum die Anhebung des Mindestlohns und das Bürgergeld.

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Koalitionäre überrascht

Scholz’ Dilemma: Bei leeren Kassen, Inflation, Wirtschafts- und Energiekrise rufen alle nach dem Staat. Und die Ampel gibt allen etwas. Von der Gaspreisbremse profitieren Villenbesitzer mehr als Mieter einer Dreizimmerwohnung. Und auch gut situierte Paare mit Eigenheim und Altersvorsorge sollen zwei Jahre Bürgergeld erhalten, das die anderen hart erwirtschaften müssen. Gießkanne statt gezielte Hilfe, der sozialen Gerechtigkeit ist damit nicht gedient.

Nach dem russischen Einmarsch in die Ukraine überrumpelte Scholz die Koalitionspartner und die eigene Fraktion mit den 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr. „Das kann er nur einmal machen“, hieß es damals. Als sich FDP-Chef Christian Lindner und Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) im Streit um die Atomkraftwerke verhakten, haute der Kanzler wieder auf den Tisch und entschied allein die Extra-Runde für alle drei Meiler. Und dann die Beteiligung des chinesischen Investors Cosco am Hamburger Hafen: Das boxte Scholz gegen Widerstand von FDP und Grünen durch.

Von Machtworten und „Ohnmachtsworten“

Kanzlerin Angela Merkel regierte 16 Jahre lang ohne Machtwort. Ihr Nachfolger brauchte schon im ersten Jahr drei. Von „Ohnmachtsworten“ war schnell die Rede. Nüchtern betrachtet ist es anders. Beim Sondervermögen für die Truppe fehlte schlicht die Zeit zur Einbindung. Das AKW-„Machtwort“ war ein cooler Move, um die FDP nach der vergeigten Niedersachsen-Wahl von der Palme und die Grünen aus der ideologischen Sackgasse zu holen. Bei der chinesischen Beteiligung am Hafenterminal in Hamburg zelebrierten vor allem die Grünen hinterher ihre Empörung. Aber der auf 24,9 Prozent begrenzte Einstieg ist kein Nord Stream 2 mit Peking – auch wenn ein schaler Beigeschmack bleibt. Interessant an der medialen Machtwort-Interpretation: Der lange als Zauderer gescholtene Scholz wurde plötzlich zum neuen Basta-Kanzler, der zu viel führt. Regiert wird nach der „OWD“-Devise: „Olaf will das!“

Bei den Kampfpanzern für die Ukraine war es genau andersherum: Olaf will das nicht. Monatelang wurde nach Geparden und Mardern krakeelt, Scholz blieb stur. Inzwischen ist Deutschland fast unbemerkt der drittgrößte Waffenlieferant hinter Großbritannien und den USA, die Wirtschaftshilfe eingerechnet, auf Platz zwei. Die Debatte ist verstummt. Die Gratwanderung zwischen Unterstützung für Kiew und Deeskalation gegenüber Moskau wird von den Bürgern geschätzt.

Die Machtworte des Kanzlers haben seinem Ansehen keineswegs geschadet. „Mehrheit der Deutschen hält Scholz für überfordert“, hieß es im Oktober noch in den Schlagzeilen. Dann legte er im RTL/ntv-Trendbarometer zu, und im ZDF-Politbarometer von Ende Oktober war er erstmals seit Langem wieder der beliebteste Politiker „Er wird dafür belohnt, dass er Entscheidungen trifft – denn unabhängig vom Inhalt ist genau dies ein Zeichen der Stärke“, sagt der Politologe Gero Neugebauer.

„Ein guter Kanzler“

Starker Kanzler, schwache Koalitionspartner? In den Wochen vor und kurz nach der Niedersachsen-Wahl ging es tatsächlich ziemlich rund in der Ampel. Es war der Streit zwischen Finanzminister Lindner und Wirtschaftsminister Habeck, der die Stabilität des Bündnisses in Zweifel zog. Doch der ist seit dem AKW-Machtwort weitgehend abgeräumt. Am vorigen Mittwoch trafen sich die Ampel-Spitzen zum Koalitionsausschuss. „Robert und Christian saßen zusammen auf einem Sofa“, verlautete aus Teilnehmerkreisen. „Der gemeinsame Spirit, das Land zu modernisieren, der ist zurück.“

Auch in den Fraktionen ist das Grummeln verstummt. Klar, die Cosco-Sache sei hart gewesen. „Aber am Ende finden wir immer gute Kompromisse“, sagt eine Grünen-Spitzenfrau. Denn Scholz lasse die Partner leben. Die FDP stichelt zwar noch gegen die Grünen, will den AKW-Streit weiter köcheln lassen. Aber über Scholz heißt es von einem der führenden Köpfe der Fraktion: „Der ist ein echt guter Kanzler.“


Iran weist Kritik von Scholz zurück

Der Iran hat die Kritik von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) an Teherans brutalem Vorgehen gegen Demonstranten als „interventionistisch, provozierend und wenig diplomatisch“ zurückgewiesen. In einer am Sonntag auf der Internetseite des Außenministeriums veröffentlichten Erklärung warf Nasser Kanaani, Sprecher von Außenminister Hossein Amir-Abdollahian (Foto), der Bundesregierung vor, „Menschenrechte als Grundlage für politische Spielchen“ zu missbrauchen. Er forderte Deutschland auf, „die Souveränität anderer Länder zu respektieren“.

Scholz hatte in seiner wöchentlichen Videobotschaft am Samstag die iranische Führung scharf für die Menschenrechtsverletzungen kritisiert und die von der EU geplanten Sanktionen verteidigt. „Was sind Sie für eine Regierung, die auf die eigenen Bürgerinnen und Bürger schießt? Wer so handelt, muss mit unserem Widerstand rechnen“, sagte Scholz. „Einzig und allein die iranische Regierung ist verantwortlich für die Gewaltexplosion.“ Das Land sei Mitglied der UN und habe sich verpflichtet, die Menschenrechte zu schützen. „Daran messen wir die iranische Führung“, so der Kanzler.

Angesichts der brutalen Niederschlagung der seit Wochen anhaltenden Proteste wollen die EU-Außenminister am Montag neue Sanktionen gegen den Iran verhängen. Wegen des gewaltsamen Vorgehens der Behörden gegen Demonstrierende sollen mehr als 30 Verantwortliche und Organisationen mit Einreise- und Vermögenssperren belegt werden.

Kanaani warnte Berlin vor der „Zerstörung historischer Verbundenheit“ und den langfristigen Konsequenzen. Respekt und gemeinsame Interessen seien der einzige Weg zu einer dauerhaften Zusammenarbeit. Der Iran hatte im Fall von neuen Sanktionen bereits eine „angemessene und entschlossene“ Reaktion angekündigt.

Unterdessen hat der Iran erstmals ein Todesurteil im Zusammenhang mit den Protesten verhängt. Der Verurteilte sei unter anderem schuldig befunden worden, ein Regierungsgebäude angezündet, „die öffentliche Ordnung gestört“ und die „nationale Sicherheit“ bedroht zu haben. Ihm wird demnach auch „Korruption auf Erden“ vorgeworfen sowie ein „Feind Gottes“ zu sein. Ein weiteres Teheraner Gericht verurteilte zudem fünf Angeklagte zu Haftstrafen von fünf bis zehn Jahren. (afp)

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