Streit vor EU-GipfelMitgliedsstaaten können sich nicht einigen – Russland-Sanktionen und andere Beschlüsse offen

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Die Flaggen der europäischen Mitgliedsstaaten wehen vor dem Gebäude des Europäischen Parlaments in Strasbourg.

Anders als geplant konnten sich die EU-Staaten bisher nicht auf das geplante Sanktionspaket einigen. Jetzt droht Streit beim EU-Gipfel am Donnerstag.

Eigentlich sollten vor dem heutigen EU-Gipfel große Streitthemen abgeräumt sein. Doch dieser Plan droht zu scheitern. Vor allem wegen eines deutschen Nachbarn.

Der letzte EU-Gipfel des Jahres droht vom Streit über neue Russland-Sanktionen und einer möglichen Blockade weiterer Beschlüsse überschattet zu werden. Anders als geplant konnten sich die EU-Staaten am Mittwoch nicht auf das geplante neunte Sanktionspaket verständigen.

Zudem drohten auch Nachverhandlungen zu am Montag bereits vereinbarten Entscheidungen - unter anderem zu einem bislang einmaligen Vorgehen gegen Ungarn wegen Korruptionsvorwürfen. Die Regierung in Budapest scheint diesmal aber nicht das Problem zu sein.

Beim EU-Gipfel droht ein Fiasko

Zu allen Themen hätte es eigentlich bis Mittwochabend formale Beschlüsse geben sollen. Über die letzten Details des Sanktionspakets gab es allerdings nach Angaben von Diplomaten bis Mittwochabend weiter Meinungsunterschiede. Ein neuer Kompromissvorschlag sollte bis zum Donnerstagvormittag von den Experten der Mitgliedstaaten geprüft werden.

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Diskussionen gab es bis zuletzt vor allem darum, ob die aktuellen Sanktionsregeln möglicherweise den Export von russischen Agrarprodukten und Düngemitteln in Entwicklungs- und Schwellenländer verhindern. Deutschland fordert gemeinsam mit Ländern wie Frankreich und den Niederlanden, im Zuge des neunten Sanktionspakets Anpassungen vorzunehmen, die dies rechtssicher ausschließen.

Andere Länder wie Polen, Litauen und Lettland sehen Berichte über angeblich durch Sanktionen verhinderte Agrarexporte hingegen als russische Propaganda und wollten bis zuletzt keine Änderungen akzeptieren.

Die Frist für die endgültige Zustimmung zum sogenannten Ungarn-Paket musste ebenfalls auf Donnerstag verschoben werden. Der Grund war nach Angaben von Diplomaten die noch ausstehende Zustimmung Polens. Das Land hatte Prüfbedarf bei dem Beschluss zu einer Richtlinie für die internationale Mindeststeuer für Großkonzerne angemeldet, die auch Teil des Pakets ist.

Korruptionsbedenken verzögern Beschlüsse

Ursprünglich hatten sich die EU-Staaten bereits am Montag im Grundsatz auf ein Paket aus vier Teilen verständigt. Wegen der Sorge, dass EU-Geld in Ungarn wegen unzureichender Korruptionsbekämpfung veruntreut wird, sollen dem Land bis auf Weiteres 6,3 Milliarden Euro vorenthalten werden. Zudem sollten eine wichtige Richtlinie für die internationale Mindeststeuer für große Unternehmen, umfangreiche EU-Hilfen für die Ukraine sowie der ungarische Plan zur Verwendung von EU-Corona-Hilfen beschlossen werden.

Ungarn hatte die Mindeststeuer und die Ukraine-Hilfe zuvor wochenlang blockiert. Der Widerstand wurde EU-Diplomaten zufolge gebrochen, indem Länder wie Deutschland der Regierung in Budapest androhten, die Genehmigung des ungarischen Corona-Hilfen-Plans zu blockieren. Nun steht jedoch die polnische Antwort zu dem Paket aus, was einen formalen Beschluss blockiert.

Transatlantische Beziehungen belastet

Dabei haben Kanzler Olaf Scholz und die anderen Staats- und Regierungschefs bei ihrem letzten regulären Gipfel des Jahres eigentlich andere Großthemen vor der Brust. Unter anderem soll es um militärische und humanitäre Hilfe für die von Russland angegriffene Ukraine sowie um die Beziehungen zu den USA gehen.

Das transatlantische Verhältnis ist aufgrund eines milliardenschweren US-Subventionsprogramms belastet, weil die Förderregeln in der EU als diskriminierend und unvereinbar mit den Regeln der Welthandelsorganisation angesehen werden. Auch die Energiekrise dürfte die Staats- und Regierungschefs weiter beschäftigen.

Details für Gaspreisdeckel weiter unklar

Klagen einreichen oder selbst Milliarden für die heimische Wirtschaft locker machen? Die Frage stellt sich den Staats- und Regierungschefs angesichts des US-Subventionsprogramms. Es besteht die Befürchtung, dass Firmen und Arbeitsplätze in die USA abwandern.

Kanzler Scholz hatte sich am Mittwochabend noch zurückhaltend gegenüber Vorschlägen der EU-Kommission gezeigt, künftig einen eigenen europäischen Fonds für Unternehmenshilfen einzuführen. Seinen Angaben zufolge gibt es auf EU-Ebene noch viele ungenutzte Mittel, die umgewidmet werden könnten.

Auch am Dienstag konnten sich die EU-Energieminister wieder nicht auf Details für einen geplanten EU-Gaspreisdeckel einigen, der exzessive Preisausschläge verhindern soll. Besonders die Frage, wie hoch das Preislimit genau sein soll, ist noch nicht beantwortet. „Die Interpretationen gingen sehr weit auseinander“, sagte Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) nach dem Treffen.

Er wünschte sich von den Staats- und Regierungschefs Vorgaben dazu, was genau mit „exzessiven Preisen“ gemeint sei. Ob der Gipfel diese Vorgaben liefern wird, ist jedoch unklar. Nach Angaben aus EU-Kreisen scheiterte eine Einigung bislang vor allem an Deutschland. Theoretisch könnte der Preisdeckel auch mit einer Mehrheitsentscheidung gegen den Willen Berlins beschlossen werden.

Streit auch beim Thema Migration

Streit droht nicht zuletzt bei den Themen Migration und Schengen. Beides steht zwar nicht auf der Tagesordnung. Anlass zum Austausch auf Spitzenebene gibt es jedoch reichlich. Bulgarien und Rumänien könnten sich etwa beschweren, dass Österreich und die Niederlande kürzlich den zeitnahen Beitritt beider Länder zum Schengen-Raum ohne Grenzkontrollen blockierten.

Staaten wie die Niederlande oder Belgien wiederum könnten zur Sprache bringen, dass sie unter einer großen Zahl an Schutzsuchenden ächzen, die sie kaum mehr versorgen können. Beide Länder beklagen, dass Länder an den EU-Außengrenzen Asylsuchende oft in andere Mitgliedsstaaten weiterziehen lassen, was nach EU-Recht in der Regel anders vorgesehen ist. (dpa)

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