Forschung im ZeitrafferÜberblick zum aktuellen Stand der Corona-Forschung

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Zahl der Coronafälle in Deutschland

  • Ein halbes Jahr nach den ersten Berichten über Corona-Fälle befindet sich die Welt noch immer am Anfang der Pandemie.
  • Doch inzwischen gibt es zunehmend verlässliche Infos über das Virus.
  • Hier kommt ein aktueller Überblick zum Stand der Forschung.

Köln – Das Coronavirus hat die Welt fest im Griff: Mittlerweile haben sich fast 11 Millionen Menschen mit Sars-CoV-2 infiziert, mehr als 520 000 Menschen sind an den Folgen der Infektion gestorben. In fast allen Ländern der Welt ist das öffentliche Leben mehr oder weniger eingeschränkt. Trotz erster Lockerungen befindet sich die Welt aber auch ein halbes Jahr nach den ersten Berichten über Corona-Fälle noch immer am Anfang der Pandemie. Doch es gibt einen wesentlichen Unterschied: Während Wissenschaftler Anfang des Jahres häufig noch spekulieren mussten, gibt es mittlerweile dank der weltweiten Forschungsbemühungen zunehmend verlässliche Informationen über das Virus. Vom „Superspreader“ über Remdesivir bis hin zur Impfstoffentwicklung – ein Überblick zum aktuellen Stand der Corona-Forschung.

Welche Rolle spielen Aerosol-Partikel bei der Ausbreitung?

Neben der Übertragung des Coronavirus über die Tröpfcheninfektion ist inzwischen auch die Ausbreitung über sogenannte Aerosol-Partikel, also feine Schwebeteile in der Luft, stärker in den Fokus der Wissenschaft gerückt. Erhöhte Ansteckungsgefahr besteht laut Robert-Koch-Institut (RKI) dann, wenn sich eine mit dem Virus infizierte Person über einen längeren Zeitraum hinweg in einem kleinen oder schlecht belüfteten Raum befindet. Aerosol-Partikel werden vor allem beim Singen, lauten Sprechen und angestrengten Atmen ausgeschieden. Das könnte erklären, warum zum Beispiel Gottesdienste zu lokalen Ausbruchsgeschehen geführt haben.

Was weiß man über „Superspreader“?

Gangelt, Tönnies, Wiesenhof: Sogenannte Superspreading-Events treiben die Pandemie nach Ansicht von Wissenschaftlern besonders stark voran. Sie gehen davon aus, dass die meisten Infizierten nur wenige bis keinen, allerdings wenige Infizierte, die „Superspreader“, sehr viele Menschen anstecken. „Wir haben explosive Übertragungsereignisse, die diese ganze Epidemie eigentlich treiben“, betont der Berliner Virologe Christian Drosten in seinem NDR-Podcast. Ob ein Mensch zum „Superspreader“ oder eine Veranstaltung zum „Superspreading-Event“ wird, lässt sich im Vorfeld kaum bestimmen. Allerdings gibt es Faktoren, die die Ausbreitung der Infektion und somit auch die Wahrscheinlichkeit von explosiven Ausbrüchen beeinflussen.

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Laut einer amerikanischen Studie der Wissenschaftler Sima Asadi und William Ristenpart sprechen Menschen unterschiedlich und geben somit unterschiedlich viele Aerosole ab. Das wiederum beeinflusse die Ausbreitung der Infektion. Neben individuellen Faktoren gibt es aber auch Situationen, die „Superspreading“ begünstigen können - etwa singen in Gottesdiensten oder lautes sprechen in Bars oder Restaurants. Mithilfe dieser Faktoren lässt sich zumindest ein gewisses Risiko ermitteln. Drosten empfiehlt in seinem Podcast, beim Entdecken eines Erstfalls von „Superspreading“ sofort das ganze Cluster unter Quarantäne zu stellen, weil für Diagnostik keine Zeit sei. Unter Umständen könne man so „das Gesamtschicksal der Epidemie“ unter Kontrolle bringen, so der Virologe.

Gibt es Anzeichen zur Vorhersage von schweren Verläufen?

Von symptomfrei bis zum tödlichen Lungenversagen kann die Coronavirus-Erkrankung sehr unterschiedlich verlaufen. Für die Frage, wer auf die Intensivstation muss und wen man gegebenenfalls nach Hause schicken kann, sind Frühtests ausgesprochen wichtig. Göttinger Forscher haben bereits im Mai einen Urin-Test auf Corona vorgestellt. Patienten mit besonders schwerem Verlauf haben demnach schon früh Eiweiß sowie rote und weiße Blutkörperchen im Urin. Das weist auf einen Nierenschaden durch das Coronavirus hin. Wissenschaftler der Universität München haben zuletzt einen Zusammenhang zwischen schweren Verläufen und den Entzündungswerten CRP und Interleukin-6 im Blut der Patienten festgestellt. Je höher die beiden Entzündungswerte am Anfang sind, desto eher versagt später die Lunge.

Haben bestimmte Blutgruppen ein höheren Corona-Risiko?

Ob ein Covid-19-Patient milde oder schwere Symptome hat, kann offenbar auch von der Blutgruppe abhängig sein. Zu diesem Ergebnis kommt ein internationales Forscherteam um den Molekularbiologen Andre Franke von der Universität Kiel. Demnach tragen Menschen mit der Blutgruppe A ein um etwa 50 Prozent höheres Risiko für einen schweren Verlauf von Covid-19 als Menschen mit anderen Blutgruppen. Menschen mit Typ-0-Blut dagegen waren laut Studie um knapp 50 Prozent besser vor einer ernsten Covid-19-Erkrankung geschützt. Die Untersuchung bestätige damit, erstmals durch eine umfassende genetische Analyse, zwei frühere Studien internationaler Forscher, heißt es vonseiten des Kieler Teams.

Welche Medikamente haben sich bisher als hilfreich erwiesen?

Neben dem möglichen Corona-Medikament Remdesivir, das erst am Freitag von der EU-Kommission zugelassen worden ist, gilt Dexamethason als weiterer Hoffnungsträger. Laut einer britischen Studie handle es sich bei dem Entzündungshemmer, der eigentlich zur Behandlung von allergischen Reaktionen und Asthma entwickelt worden ist, um das erste Mittel, das die Sterblichkeit von Corona-Patienten verringere. Die Weltgesundheitsorganisation spricht von einem „lebensrettenden wissenschaftlichen Durchbruch“. Daneben können auch Blutverdünner Komplikationen bei Covid-19-Patienten verhindern. Dazu läuft an der Klinik für Angiologie am Universitätsspital Zürich derzeit eine klinische Studie.

Wie lange hält die Immunität gegen Corona?

Grundsätzlich gehen Wissenschaftler davon aus, dass es nach der Infektion mit dem neuartigen Virus eine Immunität gibt. „Erste Studien haben gezeigt, dass Personen nach durchgemachter Infektion spezifische Antikörper (körpereigene Abwehrstoffe) gegen das Coronavirus Sars-CoV-2 entwickeln, die das Virus in Labortests neutralisieren können“, so die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung. Die Frage ist allerdings, wie lange diese Immunität währt. Chinesische Forscher haben jüngst herausgefunden, dass bei Menschen mit einem leichten Infektionsverlauf eine entsprechend schwächere Immunantwort auf eine Neuinfektion erwartet werden könnte.

Die Wissenschaftler untersuchten die Immunität von jeweils 37 Menschen mit und ohne Symptomen aus der Millionenstadt Chongqing. Dabei sind sie zu dem Ergebnis gekommen, dass Menschen aus der Gruppe ohne Symptome nach mehreren Wochen deutlich weniger schützende Antikörper im Blut hatten als Patienten mit Symptomen. Christian Drosten erklärte Ende April in seinem Podcast zum Absinken der Antikörperzahl bei einigen Patienten: „Aber Antikörper sind nur ein Korrelat, also nur ein Hinweis auf die Immunität. Es ist nicht so, dass die Antikörper alleine die Immunität machen und bewerkstelligen.“ Deutlich wird mit Blick auf die Immunität bei Sars-CoV-2, dass es für die Wissenschaft noch viele Fragen zu klären gibt.

Gibt es neue Erkenntnisse aus der Impfstoffforschung?

Der große Wettlauf um einen Covi-19-Impfstoff ist in vollem Gange: Die Weltgesundheitsorganisation zählt derzeit 18 Impfstoffe, die bereits in klinischen Tests erprobt werden. Hinzu kommen laut WHO mindestens 150 weitere Impfstoffprojekte, an denen weltweit gearbeitet wird. Am weitesten fortgeschritten ist ein Kandidat, den die Universität Oxford entwickelt hat.

Corona und Kinder

Nach den Sommerferien sollen Kitas und Schulen wieder voll öffnen. Das und die Regelung in NRW, wonach Kinder bereits bei leichtem Schnupfen, Husten oder Hautausschlag vorsorglich nicht in die Kita dürfen, haben zuletzt für reichlich Diskussionsstoff gesorgt. Die Rolle von Kindern in der Pandemie wirft viele Fragen auf und ist nicht eindeutig geklärt. Dass sie sich mit dem Coronavirus anstecken können, ist unter Forschern unbestritten. Laut einer Studie der vier Universitätskliniken Freiburg, Heidelberg, Tübingen und Ulm, die Mitte Juni veröffentlicht worden ist, sind Kinder seltener infiziert als Eltern. Darüber hinaus gebe es keine Hinweise auf Kinder als Infektionstreiber. „Insgesamt scheinen Kinder nicht nur seltener an COVID-19 zu erkranken, was schon länger bekannt ist, sondern auch seltener durch das SARS-CoV-2-Virus infiziert zu werden“, so Klaus-Michael Debatin, Ärztlicher Direktor der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin am Uniklinikum Ulm dazu. Andere Studien kommen dagegen zu anderen Ergebnissen. Der Virologe Christian Drosten etwa hält an den wissenschaftlichen Erkenntnissen seiner Studie zur Infektiosität von Kinder im April fest. Er war zu dem Ergebnis gekommen, dass Kinder ebenso ansteckend sein könnten wie Erwachsene, weil ähnlich viele Viren in ihren Rachen nachgewiesen werden konnten. Kinder würden die Pandemie nun zwar nicht treiben, man müsse die Vorstellung von virusfreien Schulen im Herbst aber wohl überdenken, so Drosten auf seinem Twitter-Kanal mit Blick auf die geplanten Schulöffnungen. (mdh)

Der Impfstoff AZD1222 geht bereits in die dritte Phase einer klinischen Studie und wird damit an einer größeren Anzahl an Menschen getestet. In Deutschland laufen unter anderem beim Mainzer Unternehmen Biontech und beim Tübinger Unternehmen CureVac erste klinische Studien. Während die WHO hofft, dass bereits Ende des Jahres ein Impfstoff vorliegt, rechnet die Europäische Arzneimittelagentur EMA bei einem optimalen Verlauf mit einer Zulassung im Frühjahr 2021. Beides wäre rekordverdächtig, da die Entwicklung eines Impfstoffs 10 bis 15 Jahre dauern kann.

Wie steht es um eine zweite Welle beim Coronavirus?

Die Weltgesundheitsorganisation meldete Ende Juni den größten Anstieg von Neuinfektionen an einem Tag. Diese Tatsache und jüngste Meldungen von lokalen Ausbruchsgeschehen sorgen bei vielen Menschen für Angst vor einer zweiten Welle. Die Forscher sind sich in dieser Frage uneins. Christian Drosten sagte im NDR-Podcast Ende Juni: „Ich bin nicht optimistisch, dass wir in einem Monat noch so eine friedliche Situation haben wie jetzt, was die Epidemietätigkeit angeht.

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In zwei Monaten, denke ich, werden wir ein Problem haben, wenn wir nicht jetzt wieder alle Alarmsensoren anschalten.“ Der Virologe Hendrik Streeck, Professor an der Uni Bonn und Verfasser der „Heinzberg-Studie“, erklärte im Interview mit der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“, dass er eher an eine kontinuierliche Welle, eine Dauerwelle, die immer wieder hoch- und runtergehe, glaube.

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