Linken-Politiker Dietmar Bartsch spricht im Interview über die Zukunft seiner Partei und die Lehren aus der Europawahl und Sahra Wagenkecht.
Linken-Politiker Dietmar Bartsch<br> „Erstarken der extremen Rechten macht die Linkspartei noch wichtiger“
Wenn man Linken-Ikone Dietmar Bartsch im Bundestag besucht, kommt man am Büro des „Liquidators“ vorbei, der die Linksfraktion abgewickelt hat. Als Sahra Wagenknecht im Januar die Partei verließ, verlor die Linke ihren Fraktionsstatus. Wer braucht die Partei noch? Und ist Sahra Wagenknecht eine gefährliche Populistin? Darüber spricht Bartsch mit Tobias Schmidt.
Herr Bartsch, Gregor Gysi und Sie fordern die personelle Erneuerung der Linkspartei. Müssen Martin Schirdewan und Janine Wissler beim Parteitag im Oktober den Platz frei machen – oder schon vor den Landtagswahlen in Brandenburg, Sachsen und Thüringen in knapp zwei Monaten?
Wir brauchen eine strukturelle, politische und personelle Erneuerung. Nach all den Wahlniederlagen, zuletzt bei der Europawahl, kann es kein Weiter-so geben. Das nächste Führungsgremium hat eine zentrale Aufgabe: dafür zu sorgen, dass die Linke bundespolitisch relevante Bedeutung behält. Dazu ist der Einzug in den nächsten Bundestag zentral. Das gelingt nur mit starker Parteiführung und der Antwort auf die Frage: Was macht eine sozialistische Partei im 21. Jahrhundert aus und wofür ist diese für die Menschen in unserem Land notwendig?
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Sie können die Frage nicht beantworten?
Natürlich kann ich das. Ich erwarte nach der nächsten Bundestagswahl eine schwarz-rote oder eine schwarz-grüne Koalition. Sowohl die damit verbundene Politik als auch das Erstarken der extremen Rechten macht die Linkspartei noch wichtiger, damit Akzente für Frieden, soziale Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit gesetzt werden können und die anderen Parteien sich zumindest mit unseren Argumenten auseinandersetzen müssen. Alle Träumereien auf der Bundesebene müssen wir wegschieben. Kommen wir in den Bundestag oder nicht? Darum geht es. Sonst geht die Linke als relevante Partei mittelfristig unter.
Stehen Sie selbst für den Job nochmal bereit?
Es wäre absurd, wenn Gregor Gysi oder ich noch einmal für Führungspositionen antreten würden. Unsere Zeit in der ersten Reihe ist vorbei. Die lösungsorientierten linken Antworten auf die gewaltigen vor uns allen liegenden Herausforderungen zu geben, das muss eine neue Generation leisten.
Arbeiter statt Minderheiten: Muss das wieder der Fokus der Linkspartei werden?
Das ist zu einfach. Was aber stimmt, ist: Wir dürfen nie vergessen, dass wir aus der Tradition der Arbeiterbewegung kommen. Auch wenn es längst nicht mehr platt um den Widerspruch von Kapital und Arbeit geht: Die Verteilungsfrage, die Herstellung von Gleichheit in den Zugangsbedingungen, von sozialer Gerechtigkeit bleibt das zentrale linke Anliegen. Das gilt für gute Arbeit, für eine gute Rente, für eine gute Gesundheitsversorgung. Das müssen wir mehr ins Zentrum rücken. Zu meinen, wir Linken müssten nur alle Bewegungen zusammenbinden und das mache uns wieder erfolgreich, diese Idee ist gescheitert.
Ist nicht auch das Bürgergeld gescheitert, weil Geringverdiener kaum mehr herausbekommen?
Leistung muss sich lohnen. Diesen Satz unterstreiche ich. Das Engagement für die Schwächeren in der Gesellschaft darf nicht den Blick auf die arbeitende Mitte verstellen. Wer einen Job hat, muss bei ansonsten gleichen Bedingungen mehr herausbekommen als jemand ohne Job. Das schaffen wir sicher nicht durch eine Absenkung des Bürgergeldes, sondern durch eine ordentliche Anhebung der Löhne. Was mich an der Leistungs-Debatte stört: Wenn jemand mit 23 Jahren Milliardär ist, hat das wenig mit selbst erbrachter Leistung zu tun. Selbst in der Pandemie ist die Zahl der Vermögensmillionäre gestiegen. Konservative und ganz rechte Parteien haben es geschafft, die Mär zu verbreiten, das Bürgergeld sei eines der Hauptprobleme in Deutschland. Wer wirklich für mehr soziale Gerechtigkeit sorgen will, der muss die Superreichen ordentlich besteuern und konsequent Steuerhinterziehung bekämpfen. Das sind viel größere Stellschrauben. Daran hat die Ampel leider kaum gedreht. Das verärgert zu Recht viele Menschen.
Muss eine Linkspartei, die wieder in den Bundestag gewählt werden will, ihren Kurs in der Migrationspolitik ändern?
Wir sollten uns davor hüten, in den Chor denjenigen einzustimmen, die rufen: Grenzen dicht, wir lassen keinen mehr rein! Das Asylrecht immer weiter auszuhöhlen, ist skandalös. Aber wir müssen auch die Probleme benennen und können nicht so tun, als laufe alles glatt in Sachen Migration und Integration. Die Kommunen sind vielfach hoffnungslos überfordert. Was völlig in Vergessenheit geraten ist und wieder zentral in den Fokus gehört, ist die Aufgabe, die Fluchtursachen ernsthaft zu bekämpfen. Zentrale Fluchtursache sind allen voran Kriege, an denen auch deutsche Rüstungskonzerne blutige Profite machen.
Themenwechsel: Ist Sahra Wagenknecht eine gefährliche Populistin, die geschickt Stimmungen schürt, statt zur Problemlösung beizutragen?
Sahra Wagenknecht und ich waren viele Jahre gemeinsam Fraktionsvorsitzende der Linken und Spitzenkandidaten bei der Bundestagswahl 2017, wo wir 9,2 Prozent erreichten. Ihre Abspaltung bleibt falsch und ist für die Linke verheerend. Das zeigt sich an den Wahlergebnissen. Dass Sahra Wagenknecht mit ihrer neuen Partei durch Lösungskompetenz aufgefallen ist, sehe ich bisher nicht. Das scheint offensichtlich nicht ihr Ziel zu sein. Es geht um Aufmerksamkeit. Im Europawahlkampf des BSW hat sich übrigens gezeigt, dass da ein erfahrener und manchmal genialer Politiker mitgedacht und mitgemacht hat, ihr Mann Oskar Lafontaine. Und da Sie das Wort „gefährlich“ benutzt haben: Heute gilt Marine Le Pen als gefährlichste Politikerin Europas. Als Oskar Lafontaine für kurze Zeit deutscher Finanzminister war, hat ihn mancher in Europa für den gefährlichsten Politiker Europas gehalten.
Das Duo Wagenknecht/Lafontaine hat destruktive Kraft?
Ich habe selten jemanden erlebt, der über solche politische Analysefähigkeit und Erfahrung verfügt wie Oskar Lafontaine. Er war SPD-Chef, ist zurück- und später ausgetreten. Er war Vorsitzender der Linkspartei, ist zurück- und später ausgetreten. Jetzt ist er wieder einer neuen Partei beigetreten. Wäre er nicht 80 Jahre alt, würde er auch diese sicher führen. Solche politischen Brüche sind in der deutschen Geschichte einmalig. Das kann nicht nur an den Parteien liegen… Sahra Wagenknecht kenne ich aus ihrer Zeit als Mitglied der Kommunistischen Plattform und ich habe ihre vielen Wandlungen erlebt, bis sie zur Anhängerin von Ludwig Erhard wurde. Ich bleibe aber bei meiner These: Es ist schade für die Linkspartei, dass Sahra Wagenknecht gegangen ist. Das linke Lager ist zerklüftet. Aber ein politisch ernstzunehmender Machtfaktor wird das Bündnis mittelfristig vermutlich nicht. Jetzt ist das für die Linke schlicht eine konkurrierende Partei.
Es liegt vor der Landtagswahl in Thüringen in Umfragen bei mehr als 20 Prozent. Ohne BSW könnte womöglich keine Koalition gebildet werden…
Ich kann die derzeitigen Umfragen nur begrenzt ernst nehmen. Die Landespolitik schlägt erst in den letzten zwei Wochen vor der Wahl in Umfragen durch. Unser Ministerpräsident Bodo Ramelow ist mit Abstand der beliebteste Politiker Thüringens. Das BSW ist eine One-Woman-Show, wobei Sahra Wagenknecht in Thüringen nicht kandidiert. Die Linkspartei wird das neue Bündnis überleben.