Schauspiel in BonnHenrik Ibsens „Nora“ als Komödie spaltet die Gemüter des Publikums

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Nora oder ein Puppenhaus - Theater Bonn

Charlotte Sprenger hat den Klassiker von 1879 neu inszeniert.

Charlotte Sprenger hat den Klassiker von 1879 am Schauspielhaus in Bad Godesberg inszeniert.

Es beginnt mit Gestöhne. Oben im Badezimmer sind Mann und Frau mitten im leidenschaftlichen Liebesakt. Sollte dies etwa das Zeugnis einer glücklichen Ehe sein? Man könnte es fast annehmen, säßen unten im Wohnzimmer nicht die Kinder jenes Paares, Emmy und Ivar. Ihr verstörter Blick verdeutlicht von Anfang an: Hier ist gar nichts in Ordnung, hier wird eine Illusion gelebt.

Um Selbstbestimmung und Unterdrückung, um Abgründe und Doppelmoral geht es in Henrik Ibsens „Nora oder Ein Puppenhaus“. Charlotte Sprenger hat den Klassiker von 1879 jetzt am Schauspielhaus in Bad Godesberg inszeniert. Aus dem Drama hat sie kurzerhand eine Komödie gemacht. Das kam dem Stück bei der Premiere am Freitagabend allerdings nicht nur zugute.

Der Grundkonflikt der Inszenierung folgt der Vorlage: Nora (Sophie Basse) fälschte einst eine Unterschrift auf einem Schuldschein, um ihrem psychisch erkrankten Mann (Sören Wunderlich) eine „sehr, sehr teure Kur“ zu ermöglichen. Das verheimlicht sie bis heute, denn in „all seiner Männlichkeit“, so drückt sie es aus, könne Torvald nicht ertragen, in ihrer Schuld zu stehen.

Inszenierung mit absurd-komischen Momenten

Jetzt aber ist die Idylle bedroht. Dem Ehemann steht eine Beförderung zum Bankdirektor bevor – und Nora wird vom damaligen Gläubiger, dem windigen Nils Krogstad (Timo Kählert), erpresst, der sich selbst eine gute Position in der Bank erhofft.

Ibsens Sprache taucht in dieser Inszenierung nur sporadisch auf. Sprengers „Nora“ setzt mehr auf Abweichungen als auf Gemeinsamkeiten. Das ist per se nichts Schlechtes. Dieser Abend und sein eindrucksvolles Ensemble entwickeln durchaus absurd-komische Momente. Etwa, wenn der Familienfreund und Schönheitschirurg Doktor Rank (Christian Czeremnych) nach links von der geländerlosen Treppe abstürzt und seine dicke Hornbrille richten muss.

Oder wenn Torvald unablässig den kitschigen Teppichboden mit einem Handstaubsauger reinigt und seine Familie daneben zu ungläubigen Salzsäulen erstarrt. Oder wenn das Ehepaar beiläufig in andere Dialekte wechselt, ins Schwyzerdütsch, Bayerische oder einen herrlich-derben rheinischen Singsang.

Humor, der oft vor allem irritiert

Doch ebenso häufig irritieren diese humoristischen Einfälle. Warum ziehen Vater und Kinder plötzlich in Warnwesten zur Jagd? Warum schnappen sich Nora und Krogstad Mikrofone und singen „Que Sera, Sera“? Warum sind selbst die Schlüsselszenen von einer Komik durchzogen, die von den wichtigsten Dialogen ablenkt? Etwa, als Nora ihren Betrug zu erklären versucht oder Torvald Krogstads Erpresserbrief. Selbst in solchen Momenten torkelt Doktor Rank vor den Fenstern umher, zieht die Blicke stärker auf sich als das Ehepaar.

Da gibt es so viele Ideen auf der Bühne, so viele Randnotizen, so viele Anspielungen, dass die eigentliche Handlung zwischenzeitlich fast in den Hintergrund gerät. Das ist bedauernswert, denn Sprengers kluger Blick auf die Konflikte blitzt durchaus hervor.

Ihre Nora wirkt ganz und gar nicht wie eine Puppe. Sie ist stark, laut, wütend. Sie tobt, brüllt sich in Rage, hat dabei buchstäblich Schaum vor dem Mund. Sophie Basse verkörpert die Protagonistin äußerst intensiv, ihren Zorn ebenso wie ihre Verzweiflung.

Und gerade weil diese Nora so emanzipiert und willensstark wirkt, ist es umso bitterer, dass auch sie abhängig von einem Mann ist. „Ich hatte keine Zeit, keine Zeit für mich. Ich habe nichts gelernt“, sagt sie ihrer Tochter am Ende. Die Kinder hat sie offensichtlich alleine großgezogen, kein eigenes Vermögen aufgebaut – eine Situation, die bis heute wohl auf nicht wenige Frauen zutrifft und es ihnen schwerer macht, eine unglückliche Beziehung zu verlassen.

Sprengers Inszenierung ist durchaus von einer feinen Gesellschaftskritik durchzogen. Die lässt sich allerdings nur mit Mühe erkennen, ist sie doch überfrachtet von dem Gewimmel, das beinahe durchgängig auf der Bühne herrscht. Selten ist es leer in dieser holzvertäfelten, luftigen Wohnung auf zwei Ebenen (Ausstattung: Maximilian Schwidlinski). Irgendjemand drückt sich immer an den Seiten, unter der Treppe oder vor den riesigen, runden Fenstern herum.


Auf einen Blick

Das Stück: Henrik Ibsens „Nora“ ist ein Klassiker mit Weitblick. Die Kritik an Geschlechterverhältnissen bleibt bis heute aktuell. Die Inszenierung: Hat das Drama zur Komödie gemacht, verliert dadurch die wichtigen Themen beinahe aus den Augen. Das Ensemble: Unterhaltsam, ironisch, eindrucksvoll. (nij)


Am häufigsten sind das die Kinder Emmy und Ivar, denen Sprenger eine deutlich größere Rolle zugesteht. Mal sind sie stille Beobachter, mal Kommentatoren des Geschehens. Mit Axt und Messer ausgestattet, sind ihre Kostüme ohnehin eine Hommage an Jack und Wendy Torrace aus Stanley Kubricks „Shining“, jenen Horrorfilm, in dem Jack Nicholson mit seinen Wahnvorstellungen das Leben seiner Familie bedroht. Es ist das Sinnbild der Ehe, die Ibsen beschreibt. Schon zu Beginn sagen Emmy und Ivar eine Ehekrise voraus. Und so kommt es dann ja auch.

Lena Geyer und Jacob Z. Eckstein spielen diese Kinder amüsant verstörend. So wie das gesamte Ensemble deutlichen Eindruck hinterlässt, selbstironisch und ausgelassen, verzweifelt und betrübt auf dieser Bühne steht. Die Schauspielerinnen und Schauspieler halten diesen Abend zusammen, der einen klaren roten Faden vermissen lässt.

120 Minuten (keine Pause). Wieder am 1., 10. und 16.2., jeweils 19.30 Uhr, 10. 3., 18 Uhr.

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