68er in Köln (11)Revolte mit Langzeitwirkung – Was die 60er-Jahre heute bedeuten

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Warten vor dem Werkstor: Studenten versammelten sich im Mai 1968 vor dem Kölner KHD-Werk. Sie versuchten, Arbeiter zur Teilnahme an Anti-Notstandsdemonstrationen zu bewegen

Warten vor dem Werkstor: Studenten versammelten sich im Mai 1968 vor dem Kölner KHD-Werk. Sie versuchten, Arbeiter zur Teilnahme an Anti-Notstandsdemonstrationen zu bewegen

Köln – Protest. Pop. Provokation: Die Sonderausstellung rund um „Köln 68!“  ist ein Projekt des Kölnischen Stadtmuseums und Historisches Instituts der Universität zu Köln.Über die Bedeutung der 60er für die Stadtgesellschaft    spricht Martina Windrath  mit Museumsdirektor Dr. Mario Kramp und Habbo Knoch, Uni-Professor für Neuere und Neueste Geschichte.

68. Die Jahreszahl steht für Vieles, für Umbruch, Revolte, Anti-Vietnam-Proteste, antiautoritäre Erziehung, lange Haare, Kommunen. . . Die Entwicklung der 60er in Köln und ihre Langzeitwirkung ist bislang nicht systematisch erforscht. Was haben Sie herausgefunden?

Kramp: Wir haben nun das Thema in den Fokus genommen und setzen dabei auf ein breites Verständnis – von der Musikkultur mit der Band Can und Kölschrock bis zum Filmfestival X-Screen, von der Uni bis Kultur, auch Sex, Drugs & Rock’n’Roll.

Knoch: Die Ereignisse der späten 60er werden gern unter der Chiffre „68“ zusammengefasst, sie markieren in der Geschichte der Bundesrepublik einen bedeutsamen Einschnitt. Vieles wird aber verkürzt dargestellt. Denn auf gleich mehreren Ebenen passierte etwas, und das schon Anfang der 60er bis weit in die 70er Jahre. Einiges haben wir besser ausgelotet. Hervorragende Arbeit geleistet haben unsere Ausstellungs-Kuratoren Stefan Lewejohann und Michaela Keim mit ihrem Team von Uni und Stadtmuseum. Aber wir könnten noch viele Forschungsprojekte anschließen.

Kramp und Knoch

Den Sixties auf der Spur: Uni-Professor Habbo Knoch (r.) und Museumsdirektor Mario Kramp.

Was waren Meilensteine, die nachhaltig gewirkt haben?

Kramp: In Köln gehören zu herausragenden Geschehnissen die KVB-Demo 1966 und das Staatsbegräbnis Adenauers 1967, das war sozusagen die letzte Großpräsentation der alten Bundesrepublik, des alten Staatsgefühls. Am Rand gab es aber schon Proteste gegen den Vietnamkrieg. Das war der Beginn der Widerborstigkeit in Köln gegen die staatstragende Geste.

Die Proteste verliefen aber nicht so vehement wie in Berlin, oder?

Knoch: Köln war anders, ein Stück weit untypisch, hier stach die tagespolitische und theoretische Dimension nicht so hervor, es gab auch viel konservative Abwehr unter den Studierenden selbst. In Frankfurt setzte man sich mit der Frankfurter Schule auseinander, mit Adorno, Marcuse, Horkheimer. . . Und in Berlin spielte der Kalte Krieg eine besondere Rolle, mit der Grenze war die Geschichte unmittelbarer gegenwärtig.

Kramp: Berlin war sozusagen die Frontstadt, auch die Front der Aktion auf der Straße, Frankfurt die Theorieschmiede. Köln war kein Ort der zugespitzten Theoriedebatten. Aber die Bevölkerung war offen, aufgeschlossen für Vieles. Der kulturelle Bereich war besonders wichtig, die Happenings, Performances, der Kunstmarkt – da guckte man hin. Das entwickelte Massenwirkung. Die Art Cologne ist heute weltweit ein Begriff.

Die Art Cologne entwickelte sich daraus. Ein Supererfolg. Aber es wurde auch geschimpft!

Kramp: Die Reaktionen orientierten sich übrigens dabei nicht entlang der Parteilinien. Gestritten wurde zum Beispiel über provokante Happenings 1970, Oberbürgermeister Theo Burauen, SPD, stürmte entsetzt raus aus der Kunsthalle, Kulturdezernent Kurt Hackenberg fand es gut.

Knoch: Köln hatte aber bundesweit nicht den Aufmerksamkeitseffekt. Die Universität war viel traditioneller aufgestellt, sie war nicht unbedingt der Hort progressiver Geisteswissenschaftler. Ab Mitte der 60er Jahre gab es einen Schub mit dem Ausbau der Universität und modernen Bauten im Stil des Brutalismus. Da waren die Neubauten bei der Eröffnung ungleich progressiver als deren Innenleben.

Das änderte sich! In der Studentenschaft formierte sich Protest, Forderungen nach einer Aufarbeitung der NS-Geschichte, nach Reformen wurden laut.

Knoch: Die Studenten-Demos waren wichtig, auch in Köln, werden aber im Gesamtbild der 60er überschätzt.

Kramp: Neben den Studenten gab es eine starke Unterströmung in Köln mit seinem Linksliberalismus und Linkskatholizismus, verkörpert etwa durch Dorothee Sölle oder Heinrich Böll. Sie setzten wichtige Marken, die weit in die 70er und 80er Jahre wirkten mit entstehender Frauenbewegung, Friedensbewegung und Großdemos gegen Notstandsgesetze zum Beispiel.

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Alte Machtstrukturen wurden hinterfragt, Gleichberechtigung gefordert – waren die Kölner „progressiven“ Gruppen dadurch auch nach 68 aufgeschlossener für Neues?

Knoch: Ich habe den Eindruck, dass viele Strömungen von der Hochschule in die Stadtgesellschaft einwanderten. Die Stadt war für die 68er-Szene aufnahmebereiter. Es öffneten sich Räume für alternative Formen in der Kulturszene, in der Kirche, in sozialen Projekten, die zum Teil bis heute bestehen. Einiges ist aber noch unzureichend analysiert.

Kramp: Es wurden die Möglichkeiten ausgetestet, das war ein Prozess. Mehr Akzeptanz für Homosexuelle zum Beispiel entwickelte sich.

Das dauerte. . .

Knoch: Da waren auch die 70er wichtig, wenn auch wegen des Terrorismus ambivalent. Einiges in Köln zeigte nachhaltige Wirkung. Wolfgang Niedecken und BAP sind nach wie vor aktiv, Alice Schwarzer, die Frauenbewegung, der Frauengeschichtsverein. Man darf aber „Toleranz“ und „Vielfalt“ in dieser Phase nicht überbewerten. Da gab es noch viele Überhänge aus der NS-Zeit.

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Kramp: Ich erinnere mich noch, als die progressiven Lehrer 1974 an unsere Schule kamen. Und das Lernen machte plötzlich Spaß! Und man muss bedenken, dass erst seit Ende der 70er Jahre Frauen keine Erlaubnis mehr von ihren Männern brauchten, berufstätig zu sein, 1969 der Nazi-Paragraf 175 zur Strafbarkeit homosexueller Handlungen liberalisiert wurde, der Radikalenerlass 1972 weitreichende Folgen hatte.

Knoch: Das alles ist für meine Studenten heute Geschichte, die wir weiter aufarbeiten wollen.

Die Haltung der 68er hat sich also etabliert!?

Knoch: Wichtig ist die zivilgesellschaftliche Grundverantwortung und ein besseres Verständnis für Andere, das Fremde. Das hat sich seitdem etabliert. Was in vielen Szenen passiert ist, in Museen, Universität oder Ateliers, hat in die Bevölkerung hineingewirkt, sich dort festgesetzt.

Kramp: Wie eine Art Kulturrevolution hat die Zeit sehr in den Alltag gewirkt, in Mode, familiäre Bindungen, Skepsis gegenüber dem Obrigkeitsdenken und mehr. Die zivilgesellschaftliche Grundverantwortung wird aber vielleicht gerade wieder infrage gestellt, die AfD hat Zulauf, rechte Strömungen verstärken sich. Das macht mir Sorgen. Knoch: Umso wichtiger ist es, dass wir den kulturellen Raum und die politische Kultur verteidigen, die damals entstanden sind.

Infos zur Ausstellung

Die Sonderausstellung „Köln 68!“ wird vom 20. Oktober 2018 bis 24. Februar 2019 in der Alten Wache des Kölnischen Stadtmuseums, Zeughausstraße 1-3, gezeigt. (Die Dauerausstellung ist wegen Sanierungsarbeiten zurzeit geschlossen). In Kooperation mit dem Historischen Institut der Universität zu Köln nimmt das Stadtmuseum die vielschichtigen Ereignisse und Entwicklungen in Köln rund um das Jahr 1968 in den Fokus – 50 Jahre danach.

Mit verschiedensten Originalobjekten, Plakaten, Filmausschnitten, Zeitzeugeninterviews und einer Reihe von Rahmenveranstaltungen begibt sich die Jubiläumsschau auf eine spannende Zeitreise und fragt: „Was ist von '68 in Politik, Kultur und Alltag geblieben?“(MW)

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