Vor 200 Jahren ist der Sammler und Gelehrte Ferdinand Franz Wallraf verstorben. In einer Serie erinnern wir an sein Vermächtnis in Köln. Eine seiner Leidenschaften waren die Bücher.
200 Jahre WallrafFerdinand Franz Wallrafs Welt der geretteten Bücher in Köln
Er liebte wohl alle seine Bücher. Die ungebundenen Lehrwerke der Botanik und Ästhetik, bibliophile Schätze mit Millionenwert wie die Kölner Bilderbibel von 1478, zerlesene kleine Psalmensammlungen und Exoten wie den Libretti-Band in rotem Maroquinleder von 1654, der am Hofe des französischen Königs Ludwig XIV. in Paris verschenkt wurde.
Die Sammelleidenschaft von Ferdinand Franz Wallraf (1748-1824) ist legendär. Manche Zeitgenossen sagten dem Universalgelehrten, Theologen und Professor allerdings auch eine gewisse Unordnung im Umgang mit den in Krisenzeiten geretteten Beständen nach. Nach einem Besuch beim Kölner Erzbürger sprach Dichterfürst Johann Wolfgang von Goethe abschätzig über den schlechten Zustand ramponierter Werke.
„Ob Wallraf messihafte Züge hatte, wissen wir nicht genau. Aber sicher ist, dass er in Bücher vernarrt war, besonders die mit Kölnbezug“, betont Dr. Christiane Hoffrath. Die Dezernentin ist für die historischen Bestände und Sammlungen der Universitäts- und Stadtbibliothek (USB) , Bestandserhaltung und Digitalisierung zuständig. Dazu gehört auch die Wallraf-Bibliothek.
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1100 Werke konnten erhalten werden
Von Unordnung kann längst keine Rede mehr sein. Unter „W“ wie Wallraf reihen sich in den Magazinregalen der USB die vom Professor gesammelten Bände systematisch aneinander. Rund 1100 der insgesamt 10 000 Werke wurden restauriert und für die Zukunft gesichert - dank der 2018 gestarteten privaten bürgerschaftlichen Rettungsaktion auf Initiative des Kölner Unternehmers Peter Jungen sowie mit Förderung von Bund, Land NRW, Stadt Köln und Universität zu Köln (s. Infotext am Seitenende.
Die Bestände waren zuvor in akuter Not: In der Zeit der französischen Besatzung und Säkularisierung der Klöster rettete Wallraf Werke kistenweise vor Plünderung und Zerstörung. Der Wissenschaftler kaufte meist antiquarisch, barg Gedrucktes auch aus Kellern oder Pferdeställen und brachte es notdürftig an mehreren Stellen in der Stadt unter. Er wusste wohl nicht mehr, wohin damit. Ihm fehlte das Geld, die oft ungebundenen und teils beschädigten Objekte seiner Sammelleidenschaft restaurieren zu lassen. Feuchtigkeit und Schimmel, Insektenfraß und unsachgemäße Lagerung setzten der Bibliothek zu. Nicht zuletzt unter der Auslagerung während des Zweiten Weltkriegs im Keller der Abtei Himmerod litten die Bestände.
Es gab für die USB-Buchbinderei und die Restaurierungsexperten also viel zu tun. Jedes Buch wurde auf seinen Zustand überprüft und passgenau versorgt, Ungebundenes mit „Buchschuhen“ aus Karton stabilisiert, anderes gesäubert und instandgesetzt. Die Arbeiten glichen teilweise einer Puzzlearbeit mit Skalpell und Pinzette. Auseinanderfallende Seiten mussten wieder zusammengefügt oder Fehlstellen ergänzt werden. „Die Bibliothek sieht jetzt ganz anders aus. Sie ist nach wie vor keine Prunkbibliothek“, so die Historikerin. „Wir haben großen Wert darauf gelegt, auch die sehr beschädigten Originaleinbände zu erhalten.“ Die Schätze stehen nun in säurefreien Boxen. Die Digitalisierung der Werke läuft, um sie online zugänglich zu machen.
Das Starstück steht frisch im Regal
Gerade frisch aus der Restaurierung zurück ist ein Starstück, das Hoffrath nur mit Schutzhandschuhen und bei gedämmtem Licht aus dem Tresor holt:.Die Biblia pauperum, die in kölscher Sprache verfasste Kölner Bilderbibel aus dem Jahr 1478, ist einer der berühmtesten und kostbarsten Schätze in der Wallraf-Bibliothek. Auch die Inkunabel aus der Frühzeit des Buchdrucks erstrahlt nun in neuem Glanz.
Üppige Illustrationen verzieren die Seiten der in kölscher, niederrheinischer Sprache verfasste Schrift. Die kolorierten Bilder erleichterten es dem Volk sie zu „lesen“. Das allerdings rief den Papst auf den Plan, Sixtus IV. 1479 eine Zensurverordnung erließ. Das Druckerkonsortium blieb zwar im beanstandeten Werk ungenannt und somit ungeahndet, aber farbige Kölner Bildmotive mit dem Stadtwappen und Szenen der Anbetung der Heiligen Drei Könige machten es leicht, den Druckort zu identifizieren.
Die seltene Schrift gehört zu den ausgewählten Exponaten, die in der Ausstellung „Ein Buch ist ein Ort. Wallrafs Bibliothek für Köln“ ab 12. April im Historischen Archiv spannende Geschichte(n) erzählen. Als einer der Programmhighlights im laufenden „Wallraf200“-Jahr wurde sie von der USB konzipiert - auch als Dankeschön an alle Beteiligten für das Engagement zur Sicherung der Bestände aus dem 15. bis 19. Jahrhundert.
Wallrafs Liebe galt nicht nur bibliophilen Kostbarkeiten. Die Bücher sollten als Orte des gespeicherten Wissens den Grundstock bilden für eine Bibliothek, die Bildung und Erziehung, Forschung und Lehre diene, erläutert USB-Direktor Dr. Hubertus Neuhausen in einem Beitrag zur Historie des Konvoluts. Nach der Schließung der seit 1388 bestehenden Alten Universität durch die Franzosen 1798 musste sich der letzte frei gewählte Rektor (1794-98) vom Traum einer schnellen Neueröffnung der Universität verabschieden, in der auch seine Bibliothek Platz finden würde.
Anno 1818 vermachte Wallraf seine Sammlungen testamentarisch der Stadt Köln. Der Bücherschatz bildet zusammen mit der alten Ratsbibliothek das Herz der Stadtbibliothek. Nach einer „Odyssee“ durch verschiedenste Aufstellungsorte fand sie 1968 im Magazin der neuen USB Köln eine neue Heimat. Wallrafs gesammelte Werke sind dort weiter in der 1824 bis 1826 entwickelten Systematik aufgestellt.
„Folianten und Forschungsdaten - die Historische Stadt- und Wallraf-Bibliothek ist kulturelles Erbe, Forschungsgegenstand, Objekt der Digitalisierung und Vieles mehr“, resümiert Direktor Neuhausen. „Die von Peter Jungen initiierten Restaurierungsprojekte helfen uns, für die Universität in Forschung und Lehre und für die Stadt für ihre kulturelle Identität einen Beitrag zu leisten.“ Das ist ein anderes Kapitel.
Die Rettungsinitiative
2018 startete der Kölner Unternehmer Peter Jungen die Initiative zur Rettung der Wallraf-Bibliothek innerhalb der Universitäts- und Stadtbibliothek. In Gesprächen holte er Bund und das Land NRW, die Stadt Köln und die Universität zu Köln als Geldgeber zur Finanzierung des ambitionierten Vorhabens mit ins Boot.
Zur Unterstützung für das Projekt gründete Jungen ein Konsortium aus dem rheinischen Bürgertum, mit dessen Hilfe Buchpaten für in der USB ausgewählte Werke der Wallraf-Sammlung eingeworben wurden. Insgesamt steuerte die öffentliche Hand etwa 1,6 Millionen Euro bei, die Buchpatenschaften beliefen sich auf rund 100 000 Euro. Die Universität zu Köln bat Jungen, ob er eine ähnliche Rettungsaktion auch für die Restaurierung der historischen Stadtbibliotheksbestände initiieren könnte. Bund und Land NRW, Stadt und Universität zu Köln erklärten ihre Bereitschaft dazu.
Schätzungsweise rund 1200 Werke der insgesamt 315 000 Bände werde die neue Restaurierungskampagne umfassen, so die USB. Auch diesmal engagiert sich das Bürgertum mit der Zusage, einen Teil der Finanzierung durch Buchpatenschaften aufzubringen. Rund zwei Millionen Euro sind insgesamt für das neue Vorhaben einzuwerben. (MW) www.wallraf200.de