Reker zu Corona-Beschlüssen„Faust in der Tasche machen und die Regeln einhalten“

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„Ich bin auch vieles leid“: Henriette Reker beim Rundschau-Gespräch in ihrem Büro.

  • Nach den Berliner Beschlüssen zur Corona-Krise äußert sich Oberbürgermeisterin Henriette Reker (parteilos) im Rundschau-Interview.
  • Jens Meifert und Thorsten Moeck sprachen mit der 64-Jährigen.

Sie haben vor Kurzem noch vor Lockerungen gewarnt und eine strenge Corona-Strategie eingefordert. Ärgern Sie sich über die Berliner Beschlüsse? Was uns allen gefehlt hat, war eine Perspektive, wie es weiter geht. Nun gibt es ein Ziel, auch wenn noch mehrere Etappen vor uns liegen. Das finde ich gut. Ich finde es auch richtig, dass wir vorsichtig lockern, obwohl der Druck unheimlich groß war und ist. Ich habe Verständnis für alle, die die Einschränkungen leid sind. Ich selbst bin es auch leid. Aber wir wollen alle unser altes Leben zurückhaben, und dafür müssen wir weiter etwas tun.

Was nun passiert, ist doch eine Abkehr von dem bisherigen Prinzip. Der Sieben-Tage-Inzidenzwert von 35 ist plötzlich nicht mehr maßgeblich.

Die 35 ist mehr oder weniger durch die 50 ersetzt worden. Das ist so. Die Inzidenz ist aber immer nur ein Faktor in der Virusbekämpfung gewesen. Was ich nicht verstehen kann an dem Beschluss ist, dass sich nun fünf Personen aus zwei Haushalten plus Kinder unter 14 Jahren zuhause treffen können, die Außengastronomie andererseits aber geschlossen bleiben muss. Draußen steckt man sich nicht so leicht an wie zuhause. Für die Gastronomie wird das nur schwer auszuhalten sein.

Sie machen sich für die No-Covid-Strategie stark. Davon sind wir weit entfernt.

Mir war immer klar, dass wir politisch eine Inzidenz von 10 nicht durchsetzen können. In dem Konzept geht es aber auch darum, Infektionsketten möglichst schnell zu durchbrechen, die Ausbreitung des Virus überall zu unterbinden, um möglichst schnell zur Normalität zurückzukommen. Wir müssen die Zahl der Neuinfektionen auf ein Niveau senken, das so niedrig ist, dass unsere Gesellschaft mit dem Virus dauerhaft leben kann. Mit dem, was in Berlin beschlossen worden ist, wird es nicht einfach, eine niedrige Inzidenz zu erreichen. Deswegen brauchen wir mehr Tempo beim Impfen und beim Testen.

Das Impfen läuft sehr langsam.

Es läuft sehr zäh, das stimmt. Ich hatte schon vor einiger Zeit gefordert, dass Astrazeneca auch an über 65-Jährige verimpft werden kann. Es ist gut, dass dies nun auch umgesetzt wird. Auch das Testen hilft. Es müssen nur alle mitmachen. Wir dürfen das nicht wieder zerreden. Nur, wenn wir in der Breite testen, bekommen wir die Inzidenz runter. Um die Außengastronomie öffnen zu können, müssen wir unter 50 kommen. Wie sähe die Stadt denn aus im Frühjahr, wenn die Menschen nicht draußen sitzen können? Das wäre doch zum Jammern.

Viele sagen: Jetzt sind die Maßnahmen gar nicht mehr zu verstehen. Im Park muss ich Maske tragen, aber zuhause ein Treffen zu fünft ist ok. Ist der Bürger nicht einfach überfordert?

Niemand ist überfordert, wenn sie oder er seinen gesunden Menschenverstand einschaltet. Und der sagt uns: Kontakte vermeiden, Abstand halten, Maske tragen. Überall da, wo Menschen zusammenkommen. Dann sind wir alle auf der sicheren Seite.

Der Faktor Schnelltests wird nun wichtiger. Das hat sehr lange gedauert, viel zu lange, oder?

Wir haben in Köln früh damit angefangen und seit einem Jahr regelmäßig durch unsere Biomonoring-Teams alle Pflegekräfte in den Seniorenheimen testen lassen, aber das war nicht so engmaschig möglich. Das geht jetzt mit den Schnelltests. Die sind aber noch gar nicht so lange auf dem Markt. Und wer bestellt sie? Bei den Schulen muss dies das Land nach meiner Überzeugung machen. Aber bei den Betrieben? Sollen die das selbst bezahlen? Das sind erhebliche Kosten. Wir in den Kommunen können das organisieren, aber Bund und Land müssen diese präventive Maßnahme bezahlen. In jedem Fall müssen wir testen, was das Zeug hält. Einmal die Woche ist mir zu wenig. Zweimal die Woche hätte ich vorgeschlagen.

Thema Schulen: Müsste die Stadt nicht vorangehen und möglichst viele Schulen mit Lüftungsanlagen ausstatten?

Das ist nicht so einfach, da scheiden sich die Geister. Die Wirksamkeit ist umstritten und es gibt Anlagen von sehr unterschiedlicher Qualität. Viele Fachleute sagen: Die beste Art zu lüften, ist das Öffnen der Fenster. Für Räume, deren Durchlüftung durch das Öffnen von Fenstern nicht sichergestellt werden kann, haben wir Lüftungsanlagen angeschafft. Manche Städte haben tausende Geräte bestellt. Damit kann man die Eltern natürlich beruhigen, aber man muss es sich auch leisten können. Und der Haushalt der Stadt Köln gibt leider nicht alles her.

Die Inzidenz ist zuletzt stark angestiegen, am Donnerstag wieder etwas abgeflacht. Städte wie Düsseldorf oder vor allem Münster stehen viel besser da. Woran liegt das?

Das sind ja oft tagesaktuelle Betrachtungen. Köln lag lange unter dem Bundes- und Landesschnitt und war lange besser als die Millionenstädte Berlin, Hamburg und München. Man muss schon auch die Stadtbevölkerung betrachten. Wenn Sie Münster sagen: Die Stadt ist sehr homogen. In Köln pendeln jeden Tag mehrere Großstädte ein, 280 000 Personen, derzeit etwas weniger. Deshalb ist es wichtig, in einer Region stabil zu bleiben. Das bedarf regionaler Absprachen. Darauf werden wir in den nächsten Wochen viel stärker achten müssen. Es bringt doch nichts, wenn dann alle dahin fahren, wo mehr erlaubt ist.

Auf die Maskenpflicht in den Parks haben viele Bürger mit, gelinde gesagt, großem Unverständnis reagiert. Wird es dabei bleiben?

Überall, wo viele Menschen zusammen kommen, wird die Maskenpflicht bleiben. Und wenn Sie im Äußeren Grüngürtel laufen, wo nicht viel los ist, eben nicht.

Viele wussten es offenbar nicht. Wieso stellt die Stadt keine Schilder auf?

Ich vertraue auf den gesunden Menschenverstand. Wir wissen doch, dass Kontakte zu vermeiden sind, muss man dazu Schilder aufstellen? Aber wenn es hilft, machen wir auch das in den kommenden Tagen.

Anders als in Düsseldorf gilt in Köln ein Verweilverbot bislang nur am Brüsseler Platz. Wollen Sie es ausdehnen?

Nein, bislang nicht.

Glauben Sie, die neuen Regeln motivieren die Menschen, sich diszipliniert zu verhalten?

Wir haben zumindest ein Ziel. Wir wissen, was wir erreichen müssen, damit wir wieder in den Zoo können, ins Museum, in den Biergarten. Kontaktbeschränkungen, Impfungen, Testungen, das ist jetzt der Weg. Ich fände es gut, wenn wir uns weniger beschweren würden. Alle sagen: ,Bei uns steckt sich niemand an.“ Das wissen wir eben in 50 Prozent der Fälle nicht. Entweder, weil es die Menschen nicht wissen oder weil sie es nicht sagen. Ich kann nur empfehlen mitzumachen. Ich habe selbst fünf Tage auf der Intensivstation verbracht, das medizinische Personal arbeitet da am Anschlag. Und ich möchte einmal wissen, was im Sommer los ist, wenn die Älteren geimpft sind und die Jüngeren, die schwer an den Mutationen erkranken, die Intensivstationen füllen. Genau das passiert nämlich.

Sind Sie dafür, dass die Hausärzte impfen?

Unbedingt. Die Hausärzte können vor allem die Älteren und Pflegebedürftigen, die zu Hause leben, viel schneller impfen. Ich wäre auch dafür, im ersten Schritt möglichst vielen die Erstimpfung zu verabreichen, das ist meine persönliche Meinung.

Sie haben der Bundeskanzlerin widersprochen, als sie gesagt hat, die Kontaktverfolgung gelinge nur bis zu einer Inzidenz von 50.

Weil mich das geärgert hat. In Köln können wir das bei höheren Werten, auch jetzt bei 72, weil wir sehr früh auf eine Digitalisierung des Index- und Kontaktpersonenmanagements gesetzt haben. Innerhalb von 24 Stunden wird jede Person vom Gesundheitsamt kontaktiert, die mit einer Infizierten oder einem Infizierten Kontakt gehabt hat. Das endet auch nicht ab einer bestimmen Inzidenz, weil es ein atmendes System ist, für das wir, je nach Lage, mehr oder weniger Mitarbeitende einsetzen.

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Sind wir mal pessimistisch: Was tun Sie, wenn die Inzidenz wieder über 100 geht?

Dann mache ich mir über schärfere Maßnahmen Gedanken und es greift die jetzt beschlossene Notbremse.

Welche? Eine nächtliche Ausgangssperre, die wollten Sie schon einmal einführen. Durften es nicht, das Land hielt sie für unverhältnismäßig.

Woanders hat es jedenfalls gewirkt. München hat es gemacht und steht nun gut da. Überall hat das gewirkt. Aber wenn sich alle an die Maßnahmen halten, müssen wir das nicht machen. Deshalb kann ich nur bitten, die Faust in der Tasche zu machen und die Regeln einzuhalten.

Vor einem Jahr ist die Corona-Krise in Köln angekommen. Gibt es etwas, was sie als Stadt im Nachhinein anders machen würden?

Wir hätten mit unseren Entscheidungen offensiver umgehen sollen, etwa zu der Teststrategie. Und wir hätten im November stärker für einen schärferen Lockdown werben müssen. Da war die Politik nicht ambitioniert genug, für uns wäre es besser gewesen. Viele Einzelhändlerinnen und Einzelhändler haben mir gesagt: ,Ich hätte lieber vier Wochen ganz zu gehabt, aber dann wieder richtig geöffnet.’

Gibt es Langzeitfolgen der Pandemie, die sie jetzt schon fürchten?

Natürlich, ich denke dabei vor allem an die Kinder und Jugendlichen. Die brauchen Gleichaltrige für ihre Entwicklung und sie nehmen die Zeit auch anders wahr. Für eine Siebenjährige ist ein Jahr so lang wie für eine 70-Jährige zehn Jahre. Wir werden auch darüber reden müssen, was die Profiteure der Krise, denn auch die gibt es, der Gesellschaft, unter anderem denen, die alles verlieren, zurückgeben können.

Der Sommerurlaub ist für viele in weiter Ferne, viele sehnen sich danach. Haben Sie schon gebucht?

Nein, aber wie viele hoffe ich natürlich auf Urlaub und dass ich wieder an den Bodensee fahren kann.

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