„Ehre für immer vernichtet“Im CDU-Archiv in Sankt Augustin liegt noch ein Todesurteil aus Nazi-Zeit

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Das Todesurteil von Andreas Hermes, unterschrieben von Nazi-Richter Roland Freisler. Hermes wurde am 11. Januar 1945 zum Tode verurteilt.

Das Todesurteil von Andreas Hermes und Franz Kemper, unterschrieben von Nazi-Richter Roland Freisler. Letztlich bewahrte die Eroberung Berlins durch sowjetische Truppen Hermes vor der Vollstreckung.

Die Konrad-Adenauer-Stiftung ist das Gedächtnis der CDU und sammelt Unterlagen, Dokumente und Zeugnisse.

Das Todesurteil gegen Andreas Hermes und Franz Kemper nach dem Attentatsversuch auf Adolf Hitler am 20. Juli 1944 umfasst nur eine DIN-A-4-Seite. „Beide haben dadurch ihre Ehre für immer vernichtet. Beide  werden mit dem Tode bestraft“, lautet das Urteil. Kemper starb am 5. März 1945 in Plötzensee durch das Fallbeil.

Hermes' Ehefrau Theresia erreichte mehrmals einen Aufschub der Hinrichtung. Die Eroberung Berlins durch sowjetische Truppen bewahrte ihren Mann schließlich vor der Vollstreckung des Todesurteils. Hermes wurde am 25. April 1945 entlassen und gründete die heutige CDU mit. So kamen die Unterlagen über sein Leben in das Archiv für Christlich-Demokratische Politik (ACDP) der Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) in Sankt Augustin.

19 Kilometer historisches Material ist in den Regalen in Sankt Augustin archiviert

Das Todesurteil gegen Andreas Hermes und Franz Kemper nach dem Attentatsversuch auf Adolf Hitler am 20. Juli 1944 umfasst nur eine DIN-A-4-Seite.

Das Todesurteil gegen Andreas Hermes und Franz Kemper nach dem Attentatsversuch auf Adolf Hitler am 20. Juli 1944 umfasst nur eine DIN-A-4-Seite.

An die 19 Kilometer umfasst das Material, das in der KAS sorgfältig in Regalen archiviert ist. Dazu kommen 135 Terabyte digitaler Daten auf Servern. „Es ist die Geschichte der heutigen CDU und der christlichen Demokratie und ihrer Persönlichkeiten“, berichtet Michael Hansmann, Leiter des Schriftgutsarchivs im ACDP in Sankt Augustin. Sitzungsprotokolle gehören genauso zu den Unterlagen wie von der Partei eingebrachte Gesetzesvorlagen oder Bürgeranfragen und Plakate. Da muss man den Durchblick behalten. Geleitet wird das Archiv seit  2018 von Dr. Michael Borchard. Knapp 60 Mitarbeiter sind in Berlin und Sankt Augustin in den Abteilungen Schriftgutarchiv, Pressearchiv, Medienarchiv, Publikationen/Bibliothek und Zeitgeschichte beschäftigt.

„Sammeln kann jeder, richtig bearbeiten nicht.“ So umschreibt  Hansmann die tägliche Arbeit im Archiv. Dinge schnell zu finden, wenn sie gebraucht würden, darauf komme es an. Die Regale sind inzwischen so gut gefüllt, dass weitere Räume im Haus angemietet wurden. „3,6 Kilometer Akten passen in die neuen Regalanlagen, die wir bald füllen können“, sagt Hansmann.

Gülay Genc ist Sachbearbeiterin Digitalisierung Schriftgutarchiv

Gülay Genc ist Sachbearbeiterin Digitalisierung Schriftgutarchiv der Konrad Adenauer Archiv.

Das Wissen der CDU steht jedem offen. Anfragen werden bearbeitet, Wissenschaftler, Studenten und interessierte Bürger kommen oft zu Besuch, um vor Ort Material zu sichten. „Wir bieten auch Gruppenführungen an“, betont Hansmann. Gedruckte Findbücher waren früher das A und O im Archiv. Der Computer mit Archivdatenbanken und seinen vielfältigen Möglichkeiten hat dies heute jedoch zu großen Teilen übernommen. „Im Jahr 2015 ging es langsam los. 2020 hat die Digitalisierung so richtig Fahrt aufgenommen“, berichtet Hansmann.

3,4 Millionen Seiten sind im Konrad Adenauer Archiv in Sankt Augustin inzwischen digital gesichert

3,4 Millionen Seiten seien inzwischen elektronisch gesichert. Das habe den Vorteil, dass man von überall her einen schnellen Zugriff auf die Daten habe. Gülay Genc ist Sachbearbeiterin im digitalen Schriftgutsarchiv. Sie ist eine der vier Mitarbeitenden, die mit diesem Projekt beschäftigt ist. Täglich kommen neue Dokumente hinzu. Nicht alles darf jedoch im Internet veröffentlicht werden. Da greifen Schutzfristen und Urheberrechte. „Dazu gehören auch Briefe“, sagt Hansmann - auch für sie gilt das Copyright der Autoren.

Michael Hansmann, Leiter Schriftgutarchiv, zeigt Orden, die Gerhard Stoltenberg verliehen wurden.

Michael Hansmann, Leiter Schriftgutarchiv, zeigt Orden, die Gerhard Stoltenberg verliehen wurden. Hinten das Großkreuz der Bundesrepublik Deutschland, vorn der britische Orden Saint Michael und Saint George.

Nicht nur Schriftstücke befinden sich im Archiv. Hansmann öffnet eine Schublade: Glitzernde Orden kommen zum Vorschein. Sie wurden Gerhard Stoltenberg verliehen, der als CDU-Mitglied mehrere Bundes-Ministerämter innehatte und von 1971 bis 1982 Ministerpräsident des Landes Schleswig-Holstein war. Hansmann streift sich Schutzhandschuhe über und öffnet die schwarze Schatulle, in der sich das Großkreuz der Bundesrepublik Deutschland befindet.

Auch an Gerhard Stoltenberg verliehene Orden werden im KAS-Archiv in Sankt Augustin verwahrt

Es wurde Stoltenberg am 23. Mai 1977 verleihen, wie in der dazu gehörenden Urkunde zu lesen ist. Daneben ist der Orden Saint Michael und Saint George zu finden, der ihm am 22. Mai 1978 von Queen Elizabeth verliehen wurde. Stoltenberg starb am 23. November 2001 in Bonn, im Archiv der KAS wird ein Teil seines politischen Nachlasses verwaltet.

In einem hinteren Gang finden sich zahlreiche bunte Ordner und Kisten mit der Aufschrift „Süssmuth“. Die heute 87 Jahre alte CDU-Politikerin hat einen Teil ihrer Unterlagen dem Archiv übergeben. „Auch das gehört zu unseren Aufgaben“, sagt Hansmann. „Wir bitten die Politiker schon zu Lebzeiten um die Überlassung von Unterlagen.“ Auch CDU-Chef Friedrich Merz hat schon seinen Platz in den Regalen.

Das Konrad Adenauer Archiv der CDU in Sankt Augustin, die bunten Ordner müssen noch ausgewertet werden.

Das Konrad Adenauer Archiv der CDU in Sankt Augustin, die bunten Ordner müssen noch ausgewertet werden. Später wird ihr Inhalt in den grauen Archivkisten wie links oben verwahrt.

Das Klima im Archiv wird überwacht. Die Temperatur in Räumen mit schützenswerten Medien darf keinesfalls mehr als 21 Grad betragen, die relative Luftfeuchte soll zwischen 30 und 55 Prozent liegen. Eine Kiste voller zum Teil angerosteter Büroklammern fällt ins Auge. Sie werden entfernt, bevor die Blätter archiviert werden, um das Papier vor weiterer Zerstörung zu bewahren. Und es gibt sogar einen Quarantäneraum.

Papierfische haben in Archiven eine neue Heimat gefunden – In Sankt Augustin gibt einen Quarantäneraum

Dort kommen die Unterlagen hinein, bevor sie ins Archiv gelangen. Papierfische haben sich zum Feind entwickelt. Diese Insekten ähneln den allseits bekannten Silberfischen, „sind jedoch viel größer“, schildert Hansmann. Auch Schimmel an Unterlagen muss entfernt werden. Da sind Bissspuren von Mäusen eher ein kleines Manko, richten jedoch auch großen Schaden an und führen schlimmstenfalls dazu, dass manche Unterlagen nicht mehr zugeordnet werden können - und im Gedächtnis der CDU vergessen werden.

Das Konrad Adenauer Archiv der CDU in Sankt Augustin, von Mäusen zerfressenes Papier

Von Mäusen zerfressenes Papier.


Der Fachkräftemangel ist inzwischen auch in den Archiven angekommen. In Sankt Augustin werden deshalb weiter Fachangestellte für Medien- und Informationsdienste, Fachrichtung Archiv ausgebildet. Carsten Pickert ist der Ausbildungsleiter. Weitere Mitarbeitende der KAS studieren berufsbegleitend in Potsdam Archivwissenschaften im Masterstudiengang.

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