Thomas Mann, Konrad Adenauer, 300 weitere Rotarier – während der NS-Zeit warfen die humanitären Clubs ihre jüdischen und missliebigen Mitglieder raus. Ein neues Buch deckt die jahrzehntelang verdrängte Geschichte auf.
Rotary und die Nazi-ZeitWie Clubs ihre prominentesten Mitglieder verstießen

Tagung unter der Hakenkreuzfahne: Ein Rotarier-Treffen im Mai 1935 in Wiesbaden.
Copyright: Coverfoto: Wallstein Verlag
Am 8. April 1933 erhielt Thomas Mann, der gerade im Urlaub in Lugano weilte, einen Brief, in dem ihm der Präsident des Rotary Clubs (RC) München, Wilhelm Arendts, lapidar mitteilte, er werde aus der Mitgliederliste gestrichen. Der Literatur-Nobelpreisträger des Jahres 1929 reagierte tief gekränkt und notierte in seinem Tagebuch: „Erschütterung, Amüsement und Staunen über den Seelenzustand dieser Menschen, die mich, eben noch eine ,Zierde' ihrer Vereinigung, ausstoßen, ohne ein Wort des Bedauerns, des Dankes, als sei es ganz selbstverständlich“.
300 Mitglieder ausgeschlossen oder gedrängt
Ja, warum haben die Rotarier das getan? Warum wurden Thomas Mann, der 1929 zu den Gründern des Clubs gehört hatte, oder der Kölner Oberbürgermeister Konrad Adenauer, der Komponist und Direktor der Kölner Musikhochschule, Walter Braunfels, der Dirigent Fritz Busch, der seine Karriere in Siegburg als Musiker in Wirtshäusern begonnen hatte, und 300 andere Rotarier in der Zeit der nationalsozialistischen Herrschaft in Deutschland von den eigenen Leuten rausgeworfen, diffamiert und gar in den Tod getrieben? Die Rotarier, 1905 in Chicago gegründet und seit 1927 im deutschen Reich aktiv, das waren doch die Guten, die sich untereinander „Freunde“ nennen und unter dem Motto „Selbstloses Dienen“ der Humanität, der Friedensarbeit und der Völkerverständigung verschrieben hatten?
Hermann Schäfers erschütternde Recherchen
Professor Hermann Schäfer, der Gründungsdirektor des Hauses der Geschichte in Bonn (1987-2006), hat diese Fragen in seinem Buch „Die Rotary Clubs im Nationalsozialismus – Die ausgeschlossenen und diskriminierten Mitglieder. Ein Gedenkbuch" beantwortet, dessen 2. Auflage jetzt an seiner alten Wirkungsstätte in einer Veranstaltung mehrerer Bonner Rotary Vereinigungen vorgestellt wurde.
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Rotary hatte nach Schäfers Recherchen um das Jahr 1932 in Deutschland 1200 bis 1300 Mitglieder, bis 1937 wurden etwa 240 Juden kaltherzig rausgeworfen oder zum Austritt gezwungen. Andere mussten gehen, weil sie – wie der von den Nazis entlassene Kölner OB Konrad Adenauer – ihr Amt und damit die sogenannte „rotarische Klassifikation“ verloren hatten oder – wie Mann, Braunfels und Busch – dem System missliebig waren. Der Autor: „Es ist erschütternd, wie kritiklos die Trennung von Mitgliedern vonstatten ging. Und erschreckend, wie distanziert, wenn nicht diffamierend diese ehemaligen Mitglieder nach kurzer Zeit betrachtet wurden". Plötzlich waren einst angesehene Spitzen der Gesellschaft „Devisenschieber“ oder wurden als „Kommunisten“ denunziert.
Angriffe und Anbiederung
Rotary war bereits vor der Machtübernahme Hitlers in der nationalsozialistischen Presse angegriffen worden, nach dem 30. Januar 1933 wurden diese Vorwürfe verstärkt. Der Club sei amerikanisch, freimaurerisch und jüdisch gesteuert sowie geheimbündlerisch oder pazifistisch und verrate deutsche Interessen, hieß es. Im März 1933 begann eine breite antisemitische Welle in Deutschland, und Rotarier überlegten, wie sie sich verhalten sollten.
Die Münchner Konferenz: Diskussion über die Judenfrage
Am 4. April 1933 kam es in München zu einem Treffen von 42 Vertretern deutscher Clubs, bei dem über die „Judenfrage“ diskutiert wurde. Schäfer hat die Protokolle der Sitzung gelesen und sich bei der Lektüre „manchmal fremdgeschämt“. Denn einige RCs wie Dresden, Karlsruhe, München und Nürnberg hatten bereits Fakten geschaffen und ihren jüdischen Mitgliedern den Austritt „nahegelegt“. Der Abgesandte aus Halle plädierte offen für einen raschen Ausschluss, denn man müsse „nicht Prinzipien, sondern den Verhältnissen Rechnung tragen“. Die „Verhältnisse“ waren so, dass Juden reichsweit geächtet wurden, nicht mehr im öffentlichen Dienst tätig sein durften, ihre Geschäfte, ihr Eigentum verloren. Und Rotary biederte sich den Machthabern an. Das wird deutlich an einem Bild, das auf dem Cover des Buchs zu sehen ist: Es zeigt eine RC-Distriktkonferenz vom Mai 1935 in Wiesbaden, die unter einem Banner mit dem Hakenkreuz tagte.
Selbstauflösung statt Protest
1937 wurde Beamten die rotarische Mitgliedschaft verboten, viele Staatsdiener traten daraufhin aus, die NSDAP sprach Rotary das Existenzrecht ab. Dennoch strebte die Clubführung gegenüber den Machthabern nach weiterer Duldung und bemühte sich intensiv um das Wohlwollen von Partei und Staat. Schäfers Urteil dazu: „Beschämend“. Am 4. September 1937 löste sich Rotary Deutschland schließlich eher leise selbst auf. Der Buchautor: „Es wäre besser gewesen, sie hätten es unter Protest getan“.
Jahrzehntelange Verdrängung nach 1949
Es dauerte über ein Jahrzehnt, bis die Vereinigung in der Bundesrepublik wieder Fuß fassen konnte. Ihr Verhalten im „3. Reich“ blieb beim Neuanfang 1949 außen vor. „Nicht jeder wollte die Wahrheit wissen“, sagte Historiker Schäfer bei der Buchvorstellung. Die Juden seien „freiwillig“ ausgetreten, sei oft in clubinternen Schriften zu lesen gewesen. Bis 2017 wurde auch das Foto von der Distriktkonferenz 1935 in Mitgliederzeitschriften veröffentlicht, allerdings war es durch Retusche verfremdet worden: Auf der Fahne hatte man das Hakenkreuz durch das Emblem des rotarischen Rads ersetzt.
Späte Aufarbeitung seit 2016
Erst der Bonner Friedrich von Wilpert (1894-1990), zeitweise Pressesprecher des Bundesvertriebenenministeriums, wagte eine umfassende Darstellung der Geschichte, sein 1982 im Selbstverlag veröffentlichtes Manuskript wurde aber abgelehnt, da viele Clubführer (Governors) kein Interesse daran hatten. Erst 2016 begann Rotary mit der Vergangenheitsbewältigung, ein Jahr später stieß Hermann Schäfer zu dem dafür gegründeten Arbeitskreis – und legte jetzt sein mutiges und aufklärendes Mammutwerk vor. Darin sind über 300 Biografien von Rotary-Mitgliedern versammelt, die aufgrund ihrer Herkunft oder politischen Einstellung ausgeschlossen worden sind.
Hermann Schäfer: „Die Rotary Clubs im Nationalsozialismus – Die ausgeschlossenen und diskriminierten Mitglieder. Ein Gedenkbuch“. Wallstein Verlag , 44 Euro.
