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Arzneimittelreport 2018Ein Milliardengeschäft auf dem Rücken der Deutschen

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Symbolbild Arzneimittel

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  1. Gesetzliche Krankenversicherungen haben 2018 41,2 Millarden Euro für ihre Kunden ausgegeben.
  2. Der Umsatz für Patentarzneimittel hat sich in zehn Jahren verdreifacht.
  3. Das Problem: Einen Großteil der Umsätze machen Mittel aus, die nur wenigen Menschen helfen.

Berlin – Arzneimittel sind ein Milliardengeschäft. Ein Milliardengeschäft, das insgesamt nur noch langsam wächst. 41,2 Milliarden Euro hat die Gesetzliche Krankenversicherung (GKV) 2018 für die Medikamente ihrer Versicherten ausgegeben. Ein Zuwachs von 3,2 Prozent, der sich beinahe vollständig durch eine gestiegene Zahl an GKV-Versicherten und die Inflationsrate erklärt. Das ist das Ergebnis des neuen Arzneiverordnungs-Reports, der am Dienstag in Berlin vorgestellt wurde.

Scheinbar alles gut, möchte man meinen. „Es sieht so aus, als ob die gesetzlichen Maßnahmen zur Senkung der Arzneimittelausgaben wirksam sind“, sagt Report-Mitherausgeber Ulrich Schwabe. Doch diese Maßnahmen greifen eben nur für einen Teil des Marktes. Für patentgeschützte Arzneimittel gelten weder Festbeträge noch Rabattverträge. Statdessen können sich die Pharmaunternehmen die Preise nach der Markteinführung zunächst selbst aussuchen.

Umsatz in drei Jahren verdreifacht

Mit der Folge, dass sich der Umsatz je Verordnung eines Patentarzneimittels in den vergangenen zehn Jahren von 163 auf 471 Euro beinahe verdreifacht hat. Auf dem Nicht-Patentmarkt stiegen die Preise im selben Zeitraum eher moderat von 29 auf 37 Euro. Patentmedikamente umfassen zwar nur 6,4 Prozent der Verordnungen, sorgen allerdings für knapp die Hälfte des Umsatzes. Jürgen Klauber vom Wissenschaftlichen Institut der AOK nennt diese Entwicklung eine „Zeitbombe“.

Hinzu kommt: 37 Wirkstoffe kamen 2018 neu auf den deutschen Markt. Bei knapp der Hälfte handelt es sich um sogenannte Orphan-Arzneimittel. Sie betreffen Krankheiten, an denen laut EU-Definition weniger als fünf von 10.000 Menschen leiden. Auf die EU-Bevölkerung von 512 Millionen Menschen umgerechnet sind das weniger als 256.000 Kranke. Die Medikamente für sie sind besonders teuer. Dabei ist laut der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ) bei einem Großteil der seit 2011 zugelassenen Orphan-Arzneimittel der Zusatznutzen nicht quantifizierbar.

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Es sind Medikamente für wenige Patienten, bei denen oft unklar sind, was sie für Vorteile bringen. Dennoch sollen sie Schätzungen zufolge 2024 ein Fünftel des weltweiten Arzneimittelumsatzes ausmachen. „Eine absolute Fehlentwicklung“ nennt das AkdÄ-Chef Wolf-Dieter Ludwig.Ein Problem sieht Ludwig auch in einem inflationären Gebrauch des „Innovations“-Begriffs. Mit Bezug auf die Anzahl der Medikament-Neuzulassungen sagt er: „37 neue Innovationen sind absoluter Blödsinn.“ Nicht alles, was neu sei, bringe den Patienten auch eine wirkliche Erleichterung. Im Mittelpunkt müssten bei neuen Medikamenten die Wirkung und eine Verbesserung der Lebensqualität für die Patienten stehen.

Deutsche Preispolitik bleibt ein Problem

Doch auch bei wirklichen Innovationen gilt: Ein Problem bleibe die deutsche Preispolitik. Patentgeschützte Arzneimittel sind in Deutschland teurer als im europäischen Ausland. Das liegt zum einen an der bereits erwähnten freien Preisgestaltung der Pharmakonzerne im ersten Jahr nach der Markteinführung ihres Medikaments. Aber auch daran, dass hierzulande Ausgaben für jedes neue Arzneimittel nach seiner Zulassung automatisch von der GKV erstattet werden. Das bleibt nicht ohne Folgen. „Einzelne Hersteller testen die Grenzen der Zahlungsbereitschaft der solidarisch finanzierten Krankenversicherung immer weiter aus“, sagt Sabine Richard vom AOK-Bundesverband.

So erklären sich Extrempreise wie beim Arzneimittel „Vestronidase alfa“ zur Behandlung einer seltenen Stoffwechselkrankheit. Die Jahrestherapiekosten überschreiten hier pro Patient eine Million Euro.Richard sieht die Lösung in einer stärkeren europäischen Kooperation. Die Preise in den einzelnen Ländern müssten stärker verglichen, der Preiswettbewerb müsse gefördert werden. Laut aktuellem Report gibt es bei den Patentarzneimitteln ein Einsparpotenzial von 1,5 Milliarden Euro. Bei den nicht mehr patentgeschützten Nachahmerprodukten, den „Biosimilars“, beträgt das Sparpotenzial 1,2 Milliarden Euro. Nur durch europäische Preisvergleiche.

Auch bei der Homöopathie könnten Kosten gesenkt werden, stellt Ulrich Schwabe fest. Die Diskussion um diese Kassenleistung beendete Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) zuletzt mit der Ausasge, das sei „so okay“. „Als Gesundheitsminister würde ich mich da auch in jeglicher Richtung zurückhalten“, sagte Schwabe. „Als Pharmakologe sage ich: Wenn wir da schon Unsinn bezahlen, müssen wir uns nicht wundern, auch teuren Unsinn zu bezahlen.“ Und an den hohen Kosten muss sich etwas verändern - da sind sich alle am Arzneiverordnungs-Report Beteiligten einig. „Wir werden reagieren müssen, um morgen die Arzneimittelversorgung in Deutschland noch finanzieren zu können“, sagt Mitherausgeber Jürgen Klauber.