Im Interview spricht der Kanzleramtschef über die gescheiterte Wahl der Verfassungsrichter, die Pläne der Regierung und die Stimmung im Land.
Kanzleramtschef Frei„Stimmung im Land hellt sich auf – der Optimismus kehrt zurück“

Thorsten Frei (CDU), Chef des Bundeskanzleramts
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Welche Zwischenbilanz können Union und SPD kurz vor der politschen Sommerpause ziehen? Und wie sehr belastet die in letzter Minute gescheiterte Wahl der drei neuen Bundesverfassungsrichter im Bundestag die Zusammenarbeit. Darüber hat Rena Lehmann mit Kanzleramtschef Thorsten Frei (CDU), der rechten Hand von Kanzler Friedrich Merz, gesprochen.
Herr Frei, Ihre Regierungskoalition verabschiedet sich mit einem Zerwürfnis über die SPD-Kandidatin Frauke Brosius-Gersdorf als Bundesverfassungsrichterin in die Sommerpause. Ist sie mit der Verschiebung der Wahl nicht massiv beschäftigt - und wie geht es jetzt weiter?
Die Wahl von Verfassungsrichtern liegt in der Sphäre des Parlaments. Ich bin sicher, dass die Koalitionsfraktionen über den Sommer eine tragfähige Lösung finden werden.
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Die Maskengeschäfte des früheren Gesundheitsministers und heutigen Fraktionschefs Jens Spahn stoßen auf scharfe Kritik. Genießt er noch Ihr Vertrauen?
Natürlich. Er genießt mein absolutes Vertrauen. Wir alle wissen, dass die damaligen Entscheidungen inmitten einer schweren Krise getroffen wurden. Es ist wohlfeil, mit der Kenntnis von heute darüber zu urteilen. Jens Spahn ist jemand, der in der Pandemie das Heft des Handelns in die Hand nahm. Erinnern wir uns: Das ganze Land rief damals nach Schutzmasken. Diese medizinischen Hilfsmittel waren nur äußerst schwer zu bekommen, weil die weltweite Nachfrage das Angebot bei weitem überstieg, und er hat sich als Gesundheitsminister selbst darum gekümmert. Dafür ist er sehr gelobt worden, und zwar völlig zu Recht.
Bundeskanzler Friedrich Merz hatte eine bessere Stimmung im Land bis zum Sommer versprochen. Merken Sie etwas davon?
Tatsächlich hellt sich die Stimmung auf und der Optimismus kehrt zurück. Dass Umfragen diesen Trend bestätigen, hat sicherlich viele Gründe. Dazu beitragen dürfte aber sicherlich auch das Tempo, das die Bundesregierung anschlägt. Wir haben einen Großteil der 60 Gesetze, die wir uns bis zum Sommer vorgenommen haben, bereits auf den Weg gebracht. Dazu gehören der Investitionsbooster, die Sonderabschreibungen in den nächsten zweieinhalb Jahren, die dann in eine Körperschaftssteuerreform münden. Wir haben eine erhebliche Entlastung bei den Energiepreisen. Es gerät in der Debatte um die Stromsteuer immer etwas in Vergessenheit, dass alle – Unternehmen wie Bürgerinnen und Bürger – im Energiebereich um etwa zehn Milliarden Euro entlastet werden. Und nicht zu vergessen die Migrationspolitik: Alexander Dobrindt hat sieben Gesetze auf den Weg gebracht, die für eine Begrenzung, eine bessere Ordnung und Steuerung von Migration sorgen.
Stichwort Migrationspolitik: Machen Sie hier den Politikwechsel auf Kosten der europäischen Freizügigkeit, wenn jetzt zum Beispiel auch Polen wieder an den Grenzen kontrolliert?
Nein, die offenen Grenzen in Europa müssen wir unbedingt erhalten. Deutschland profitiert davon mehr als andere Länder. Aber als Schengen eingeführt wurde, da hat man ja nicht im luftleeren Raum entschieden, die Binnengrenzkontrollen abzuschaffen. Natürlich ging das einher in der Erwartung eines effektiven europäischen Außengrenzschutzes. Heute müssen wir zur Kenntnis nehmen, dass das noch lange nicht gelungen ist. Und deswegen müssen wir weiter daran arbeiten. Für uns steht fest, dass Binnengrenzkontrollen nur eine Übergangsphase sind – hin zu einem effektiveren europäischen Außengrenzschutz. Kontrollen an unseren Grenzen wollen wir nur so lange wie notwendig fortsetzen.
Was machen Sie, wenn weitere Gerichte wie das Berliner Verwaltungsgericht entscheiden und Zurückweisungen von Asylbewerbern als rechtlich unzulässig erklären?
Die Entscheidung trifft der Bundesinnenminister. Aber Fakt ist, dass verwaltungsgerichtliche Entscheidungen keine deutschlandweite Gültigkeit besitzen, sondern nur den jeweiligen Einzelfall betreffen. Daraus kann nicht automatisch eine Leitschnur für unsere gesamte Politik entstehen.
Wäre es nicht wichtig, dass der Zustand der rechtlichen Grauzone möglichst schnell beendet wird?
Selbstverständlich. Aber wir dürfen uns auch nicht im eigenen Handeln beschränken, nur weil es unterschiedliche rechtliche Auffassungen gibt. Es gibt nicht immer 100-zu-0-Entscheidungen. Oft sind es Abwägungsentscheidungen, die man treffen muss. So gehen wir weiterhin davon aus, dass Zurückweisungen zulässig sind. Dementsprechend weisen wir auch zukünftig zurück.
Der Bundeshaushalt Ihrer Koalition weist laut Berechnungen des Handelsblatts von 2027 bis 2029 einen Fehlbetrag von 144 Milliarden Euro aus. Entspricht das den seriösen Finanzen, die die Union im Wahlkampf versprochen hat?
Die Haushaltsplanung ist eine riesige Herausforderung. Das lässt sich nicht wegdiskutieren. Wir brauchen zum einen eine Politik, die auf Wirtschaftswachstum ausgerichtet ist, weil Wirtschaftswachstum auch zu höheren Steuereinnahmen führt. Zum anderen müssen wir uns ganz genau anschauen, wo wir durch Entschlackung der Abläufe und der Rahmenbedingungen Geld sparen können. Wir müssen zügig echte Strukturreformen in Angriff nehmen. Es ist unser Ziel, dass sich diese Korrekturen spätestens in zwei Jahren positiv auf den Bundeshaushalt auswirken.
Anders als im Koalitionsvertrag angekündigt, sinkt die Stromsteuer erstmal nicht für alle. Würden Sie sich da wie Markus Söder auf den 1. Januar 2027 festlegen?
Uns eint das Ziel, die Menschen so schnell wie möglich noch stärker zu entlasten.
Dass der Strom günstiger wird, ist ja nicht nur ein Versprechen Ihres Koalitionsvertrags, sondern auch wichtig für das Erreichen der Klimaziele. Der Umstieg auf E-Autos und Wärmepumpe wird attraktiver, je günstiger der Strom ist.
Das ist unstrittig. Wir wollen die Erlöse aus der C02-Abgabe den Verbraucherinnen und Verbrauchern und auch den Unternehmen zurückgeben. Die frühere Ampelkoalition hatte dazu mal ein Klimageld angekündigt, das sie nie umgesetzt hat. Wir gehen einen anderen Weg und wollen das über die Streichung und Absenkung von Umlagen, Entgelten und Steuern erreichen. So senken wir die Netzentgelte um durchschnittlich 50 Prozent. Das sind 6,5 Milliarden Euro Entlastung, die allen zugutekommt, jedem Verbraucher genauso wie jedem Unternehmen. Und wir senken die Gasspeicherumlage. Das sind noch mal 3,4 Milliarden Euro. Das heißt: Im Energiebereich entlasten wir die Menschen, alle Menschen in unserem Land, um etwa zehn Milliarden Euro. Das ist eine enorme Summe.