Interview mit ifo-ChefSteht die Wirtschaft die Russland-Sanktionen durch, Herr Fuest?

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Clemens Fuest

Clemens Fuest, Präsident des ifo Instituts 

Clemens Fuest ist Präsident des Instituts für Wirtschaftsforschung (ifo). Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) wirft er eine falsche AKW-Politik vor. Die „Konzertierte Aktion“ hält er für überflüssig. Was die Regierung stattdessen tun müsste, sagt Fuest im Interview mit Tobias Schmidt.

Herr Fuest, Ihr ifo-Institut rechnet 2024 mit der Rückkehr des Wachstums und dem Ende der Inflation. Wir können die Russland-Sanktionen also durchstehen? Putin wird die deutsche Wirtschaft nicht in die Knie zwingen?

Wir können die Russland-Sanktionen und vor allem die Energieverknappung durchstehen, wenn auch mit hohen Kosten. Das für 2024 prognostizierte Wachstum ist allerdings nicht mehr als eine Erholung von niedrigem Niveau. Man muss außerdem betonen, dass Prognosen über einen Zeitraum von zwei Jahren mit sehr großer Unsicherheit behaftet sind. Wichtiger ist, dass die deutsche Wirtschaft im kommenden Winter erst einmal in die Rezession rutscht.

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Die Verunsicherung ist riesengroß. Müsste der Staat nicht viel mehr tun, um die Menschen vor den explodierenden Energiekosten zu schützen?

Der Staat kann die erhöhten Kosten der Energieimporte nicht aus der Welt schaffen und die Bürger insofern auch nicht davor schützen. Der Staat kann Kredite aufnehmen und den Bürgern das Geld geben, die gleichen Bürger müssen dann aber später als Steuerzahler diese Kredite bedienen. Das bringt in der aktuellen Lage nicht viel. Letztlich kann der Staat die Energiekosten nur innerhalb der Bevölkerung umverteilen.

Die Rezession abzuwenden ist nicht möglich?

Jedenfalls nicht mit einem klassischen Konjunkturprogramm, das die Nachfrage steigert. Das würde die Inflation nur weiter befeuern. Die Politik kann und sollte die Teile der Bevölkerung mit finanziellen Hilfen unterstützen, die mit den hohen Energiekosten überfordert sind. Allen helfen kann sie nicht.

Kommt die große Pleitewelle mit Massenentlassungen?

Das erwarte ich nicht. Ich rechne damit, dass der Staat Hilfsprogramme auflegen wird, mit denen die meisten Unternehmen die Phase der hohen Energiepreise überstehen können. Trotzdem steht außer Zweifel, dass es für viele Unternehmen und ihre Beschäftigten ein schwieriger Winter wird.

Bundeskanzler Olaf Scholz wirbt für eine abschlagsfreie Einmalzahlung bis zu 3000 Euro. Erwarten Sie, dass viele Unternehmen dabei mitmachen?

Es wäre ja unklug, das Geld liegen zu lassen. Die Unternehmen können mit den Beschäftigten vereinbaren, in diesem Jahr die Löhne etwas weniger zu erhöhen und dafür die Einmalzahlung zu leisten. Im nächsten Jahr wir die Lohnsteigerung nachgeholt. Es ändert sich also nichts abgesehen von der Steuerbefreiung. Das wäre dann ein reiner Mitnahmeeffekt. Man muss abwarten, ob alle Unternehmen sich so mit ihren Beschäftigten einigen. Aber ich wäre nicht überrascht, wenn es die meisten sind.

Was kann Scholz’ „Konzertierte Aktion“ darüber hinaus zur Krisenbewältigung beisteuern?

Die Steuer- und Abgabenbefreiung der Einmalzahlung trägt nicht wirklich zur Krisenbewältigung bei. Sie ist nicht hinreichend gezielt. Auch sonst kann die Konzertierte Aktion zur Überwindung der aktuellen Krise wenig beitragen. Sie dient normalerweise dazu, übermäßige Lohnsteigerungen zu verhindern. Wir haben derzeit aber nicht das Problem, dass die Löhne die Inflation antreiben. Mag sein, dass sich das in den kommenden Jahren ändert, aber Lohndämpfung durch eine Konzertierte Aktion brauchen wir derzeit nicht.

Sie haben sich früh in die Atomstromdebatte eingeschaltet und nach längeren AKW-Laufzeiten gerufen. Aber würde das die Versorgungssicherheit tatsächlich erhöhen?

Es kann nicht sinnvoll sein, in einer Energiekrise mit explodierenden Strompreisen und Sorgen um die Versorgungssicherheit leistungsfähige Kraftwerke abzuschalten. Dabei geht es nicht nur um Versorgungssicherheit, sondern auch darum, die Strompreise zu senken und Gas und Kohle einzusparen, was auch in diesen Märkten die Preise senkt.

Gefährdet Robert Habeck durch seinen Reservebetrieb-Plan für höchstens zwei der drei AKW die Stromversorgung im Winter?

Die Idee des Reservebetriebs ist besonders wenig überzeugend. Man betreibt Aufwand, um die Kernkraftwerke offen zu halten, lässt sie aber keinen Strom produzieren. Das ist wirklich niemandem zu vermitteln.

Die Strompreise würde der Weiterbetrieb aber nicht senken, solange das Merit-Order-Prinzip in Kraft ist…

Das ist ein verbreiteter Irrtum. Wenn die AKW laufen, kann die Zeit, in der die Gaskraftwerke laufen, verkürzt werden. Eine aktuelle Studie des ifo-Instituts schätzt, dass die durchschnittlichen Strompreise 2023 um 4 Prozent sinken würden. Der Verbrauch von Kohle und Gas für die Stromproduktion würde sinken. Die AKW allein reichen nicht, wir müssen auch mehr Kohlekraftwerke aktivieren. Aber wir können auf keinen dieser Bausteine verzichten.

Und das Gas, wird das im Winter wirklich reichen, um eine Mangellage abzuwenden?

Dafür gibt es keine Garantie. Die Entwicklung wird unter anderem davon abhängen, ob die neuen LNG-Terminals schnell genug funktionsfähig sind, ob genug LNG geliefert und verteilt wird und ob sinnvolle Einsparungsmöglichkeiten genutzt werden. Für eine Entwarnung ist es zu früh.

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