Die EU plant, bis 2040 90 Prozent weniger Emissionen als 1990 zu erreichen, stößt jedoch auf Widerstand. Die Kommission formuliert am Mittwoch ihre Ziele.
EU bis 2050 klimaneutral?„Das Tor zur Hölle wird aufgestoßen“

Ist die Idylle in Gefahr? Die EU-Kommission will die nächste Etappe für das Ziel Klimaneutralität festlegen.
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Alle Welt wartet gespannt auf diesen Mittwoch. So jedenfalls stellen es „EU-Blasen-Vertreter“ seit Monaten dar, denen es traditionell nicht an Selbstbewusstsein mangelt. Ein großer Aufschlag aber ist tatsächlich geplant: Die EU-Kommission will das Klimaziel bis 2040 formulieren, das heißt: Mit Blick auf die Klimakonferenz Ende des Jahres in Brasilien soll nun endlich und mit Verspätung klar umrissen werden, wie es in Europa weitergeht.
Grüne Kritik: Kompromiss mit Risiken
Für Michael Bloss herrscht derweil schon Tage zuvor Klarheit: „Am Mittwoch wird das Tor zur Hölle aufgestoßen.“ Der grüne Europaabgeordnete hegt eine Neigung zu emotionalen Beschreibungen. Dementsprechend düster klang sein Ausblick für Teile des Vorschlags der Brüsseler Behörde, dessen Entwurf bereits vorab die Runde machte. Darin legt die Kommission auf dem Weg zur Klimaneutralität bis 2050 die nächste Etappe fest. Bis 2040 soll der Kontinent ein Minus von 90 Prozent Emissionen im Vergleich zum Jahr 1990 vorweisen.
Das Ziel sorgt bei Grünen und Umweltschützern kaum für Widerstand, Bloss nennt es „zukunftsweisend und notwendig“. Ärger löst bei ihnen jedoch aus, was die EU den Mitgliedstaaten ermöglichen will, um es zu erreichen. So will Brüssel erlauben, dass sich die EU-Länder ab 2036 bis zu drei Prozent CO2-Einsparungen durch Gutschriften für von den Vereinten Nationen zertifizierte Projekte in Drittstaaten anrechnen lassen können.
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Kontroversen um CO2-Zertifikate
Die Passage in dem Entwurf klingt verdächtig deutsch. Denn obwohl die Bundesregierung grundsätzlich das 2040-Klimaziel unterstützt, stellte sie im Koalitionsvertrag Bedingungen: „Maximal drei Prozent“ dürften durch „hochqualifizierte, zertifizierte und permanente Projekte in außereuropäischen Partnerländern“ zustande kommen, heißt es in dem Papier. Die EU-Kommission will nun der deutschen Position folgen.
Während Kritiker über „kaum kontrollierbare Schlupflöcher“ klagen, betrachten Befürworter den Kompromiss als Entgegenkommen, das nicht nur Berlin, sondern auch anderen skeptischen Regierungen in der Gemeinschaft das Klimaziel schmackhaft machen soll. Das angepeilte System erinnert an die Praxis von Ausgleichszahlungen bei Flügen, durch die Reisende die durch ihren Trip verursachten Emissionen zumindest theoretisch ausgleichen, indem sie einen finanziellen Extrabeitrag leisten, der in Klimaprojekte investiert wird.
Ähnlich würde das Prinzip auf EU-Ebene funktionieren. Bei der Einbeziehung von internationalen Zertifikaten geht es nun darum, dass Mitgliedstaaten ihre CO2-Ausstöße durch die Finanzierung von Projekten im Ausland kompensieren können. Ein europäischer Staat könnte demnach von einem Unternehmer oder Aktivisten in Peru oder in Namibia ein Papier erwerben, in dem dieser gegen Geld beispielsweise zusagt, Tausende Bäume zu pflanzen.
Debatte über Glaubwürdigkeit und Kontrolle
Es würde einem EU-Land helfen, die eigene Klimabilanz rechnerisch aufzubessern. Bloss nannte die Praxis jedoch „Etikettenschwindel“, da diese Gutschriften „nicht viel mehr als Ablasshandel“ darstellten. „Sie gaukeln Klimaschutz vor, wo in der Realität kein CO2 eingespart wird“, sagte er. Wie etwa wolle man sicherstellen, dass der Wald nicht in 30 Jahren abgeholzt oder abgebrannt ist? Es fehle an Qualitätsstandards und Kontrollen. „Man setzt einen Anreiz zum Betrügen“, so Bloss.
Zu den Risiken gehört Experten zufolge außerdem, dass Projekte doppelt angerechnet werden: einmal in dem Land, in dem die Ausstöße gesenkt werden – und einmal in dem Staat, der das Zertifikat erwirbt. Auf dem Papier würden dann zum Beispiel zehn Tonnen stehen, die an Emissionen gemindert wurden, obwohl es in der Realität lediglich fünf Tonnen waren.
EU-Ziel und nationale Interessen im Konflikt
Der CDU-Europaabgeordnete Peter Liese verteidigte trotzdem den geplanten Schritt der Brüsseler Behörde. Die Flexibilität sei „unbedingt erforderlich“, um überhaupt eine Mehrheit zu bekommen, sowohl im Gremium der Mitgliedstaaten als auch im EU-Parlament, sagte er und warb für mehr Pragmatismus: „Entweder gibt es gar kein 2040-Ziel oder eins nach dem deutschen Modell“.
Staaten wie Frankreich, Italien oder Polen machen seit Wochen Druck. Sie fordern wahlweise eine Verschiebung des Klimaziels oder verlangen noch mehr „Flexibilität“. Es scheint das Wort der Stunde. Auch wenn der Mechanismus dabei helfen soll, Klimaschutzprojekte in Afrika, Asien oder Südamerika zu finanzieren, betonte auch Liese die Herausforderungen, die er mit sich bringt. „Betrug muss vermieden werden, und es ist nur eine teilweise und zeitlich begrenzte Lösung, denn eines Tages müssen schließlich alle Staaten der Welt klimaneutral sein.“
Die Debatte fällt in eine heikle Zeit, in der es der Grüne Deal, einst als Europas „Mann-auf-dem-Mond-Moment“ gefeiert, besonders schwer hat. Die Widerstände gegen die Klima- und Umweltregeln nehmen zu, insbesondere im Kreis der Konservativen. Das gigantische Klimaschutzprogramm hatte die erste Amtszeit von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen geprägt.