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Doch lieber Du?Über die deutsche Tradition des Siezens

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Händeschütteln

Das Siezen hat in Deutsc hland Tradition und hat teilweise historische Gründe.

KölnProf. Detlef Fetchenhauer ist Wirtschafts- und Sozialpsychologe an der Uni Köln. Mit Caroline Kron sprach er über das Siezen, das in vielen Unternehmen abgeschafft werden soll. Das Du soll einen entspannteren Ton im Unternehmen fördern.

Professor Fetchenhauer, die Schweizer tun's, die Skandinavier und die SPD tun es auch. Warum kommen wir Deutschen so schwer zurecht mit dem Duzen im Dienst?

Das hat zum großen Teil historische Gründe, man siezt sich hierzulande seit jeher - auch im privaten Umgang - wenn es keinen guten Grund fürs Duzen gibt. Anders als die Skandinavier, die sich nur Siezen, wenn es keinen guten Grund fürs Duzen gibt. Kurz: Das Siezen hat bei uns Tradition...

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. . . und mit der deutschen Arbeitskultur zu tun, die großen Wert legt auf hierarchisches Denken?

Dass wir in Deutschland so sehr an Hierarchien orientiert sind ist ein Stereotyp, das weit verbreitet ist. In Deutschland selbst, aber auch im Rest der Welt. Ist das wirklich so? Ich bin mir da gar nicht so sicher. In den USA duzt sich jeder, aber Chefs sind sehr viel autoritärer, es gibt für Mitarbeiter so gut wie keinen Kündigungsschutz oder Mitbestimmungsrecht schon gar nicht. Ich glaube, das Duzen alleine sagt noch nichts über den Führungsstil aus.

Als Hans-Otto Schrader, Vorstandsvorsitzender des Otto-Versandhandels seinen 53 000 Mitarbeitern das Du anbot, wollte er damit einen Wandel in der Unternehmenskultur einläuten, hin zu flachen Hierarchien und hoher Transparenz.. Der Weg zum Wir geht übers Du, sagte er. Kann ein Wechsel in der Anrede eine Unternehmenskultur ändern?

Ich halte das für einen gravierenden Denkfehler, eine Verkehrung von Ursache und Wirkung. Das Sein bestimmt das Bewusstsein hat Karl Marx einmal gesagt - was auf unser Thema übertragen bedeutet: Durch ein Du-Gebot werden sich nicht automatisch die Arbeitsstrukturen ändern und Vertrauen entstehen, sondern umgekehrt: Veränderte Arbeitsstrukturen und Prozesse können zu einer Vertrautheit und Wertschätzung führen, in der dann auch das "Du" seinen Platz hat.

Was hat die Forschung zu dem Thema ergeben?

Wissenschaftliche Studien haben gezeigt, dass sich der Versuch, die Unternehmenskultur von oben herab zu ändern, als sehr schwierig erweist - und selten gelingt. Die Identifikation mit einem Unternehmen und die Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen erfolgt eher über faire, wertschätzende und sichere Arbeitsbedingungen (wie zum Beispiel Festanstellungen) als über ein verordnetes Du.

Was bewirkt Duzen, was Siezen, psychologisch betrachtet?

Das nach langer Zeit angebotene Du kann unendlich wertvoll sein, indem es wie eine Auszeichnung wirkt, zu Stolz führt und Wertschätzung signalisiert - und kann damit auch die Identifikation mit einem Freund, Verein, Team oder eben Unternehmen stärken. Wenn das Duzen aber zur sozialen Norm wird, wenn sich also alle duzen, ist es kein Differenzierungsmerkmal mehr, das schöne Gefühl der Belohnung kommt abhanden.

Duzen kann aber auch sehr irritierend sein - etwa als Kundin einer bekannten amerikanischen Kaffeehaus-Kette ...

Absolut, ein nicht gegenseitig ausgehandeltes Du kann negative Gefühle hervorrufen. Als mich mein Mobilfunkanbieter mit "Hallo Detlef" anschrieb, habe ich darauf nicht gerade positiv reagiert. Irritiert wäre ich auch, wenn mich mein Bankberater duzen würde. Von Ikea kennt man diesen ungewünschten Distanzverlust. Wenn alle mit Vornamen angesprochen werden, finden das manche Kunden aber auch Mitarbeiter unangenehm, weil sie sich nicht wertschätzend behandelt fühlen.

Ein "Sie" dagegen drückt automatisch Wertschätzung aus?

Es kann Distanz, sogar Missachtung ausdrücken, aber auch Wertschätzung und Respekt- und subtil auch eine Fürsorgepflicht des Chefs. Wenn er seine Mitarbeiter siezt, fühlt er sich vielleicht verantwortlicher für sie, als wenn er mit dem Du alle Mitarbeiter zu scheinbar Gleichgestellten macht. Das kann dazu führen, dass der Chef unbewusst denkt: jeder ist für sich verantwortlich. Zurück zur wertschätzenden Wirkung des Sie. Erinnern Sie sich an das Gefühl, als Sie als Oberstufenschülerin von Ihren Lehrern plötzlich gesiezt wurden.

Das hat mir gut gefallen - vor allem gegenüber den Lehrern, die ich nicht besonders mochte.

Wir wissen in Deutschland nicht so recht, was wir wollen. Auch, weil es keine definierten Regeln gibt, so wie in den Niederlanden. Im Privaten ist es bis zu einem bestimmten Alter selbstverständlich, die Menschen, die uns sympathisch sind, zu duzen. Ab dann wird es viele Situationen geben, in denen wir irritiert sind, weil wir in einem Moment, in dem wir nicht damit gerechnet haben, geduzt oder gesiezt werden. Das liegt an diesem normativen Vakuum.

Fehlt also ein gesellschaftliches Duz-Übereinkommen?

Es würde einerseits die Verwirrung nehmen. Aber das nach langer Zeit angebotene Du bietet eine wunderbare Chance, Nähe zu signalisieren und herzustellen. Die würde mit einem Du-Gebot wegfallen. Unser soziales Miteinander wäre ohne dieses Spiel mit Nähe und Distanz weniger charmant und reizvoll. Außerdem: Welche Instanz wäre in der Lage, zu entscheiden, ob Menschen sich duzen oder siezen? Das sollte nicht von oben verordnet werden, es muss sich entwickeln.

Meinen Sie, am Ende dieses Prozesses setzt sich das Du durch?

Ich bin mir nicht sicher. Vor 20 Jahren hätten wir schwören können, dass das Sie 2016 ausgestorben ist. Jetzt erlebe ich Führungsnachwuchskräfte, die sich mit Mitte zwanzig ganz selbstverständlich siezen. Außerdem sollten wir kein Problem daraus machen, es gibt so viele andere, vor allem substanziellere Krisen zu stemmen, als die Frage nach dem Du.

Dennoch, würden Sie sich ein Du im Dienst wünschen?

Sicher, wenn im arbeitsalltäglichen Miteinander Barrieren fallen, kann das zu erhöhter Produktivität führen. Aber ich persönlich finde es wesentlich wichtiger, dass man mit Mitarbeitern auch anderweitig rücksichtsvoll und anständig umgeht - das geht auch sehr gut mit einem wertschätzenden Sie. Und wenn der Chef Ihnen kündigt, hilft es auch nicht, wenn er Sie dabei duzt und sagt: "Detlef, wir werfen Dich raus!"

Umfrage unter Deutschen

Vier von zehn Bundesbürgern (38,7 Prozent) sagen, dass sie sich pikiert und beleidigt fühlen, wenn sie jemand beim ersten Kennenlernen unaufgefordert duzt, so eine repräsentative GfK-Umfrage. Frauen legen mit 43,2 Prozent sogar noch mehr Wert auf das SIE als Männer (34,1 Prozent). Erwartungsgemäß tun sich Jüngere mit dem DU leichter als Ältere: Während sich 50,9 Prozent der 60- bis 69-Jährigen und 69,3 Prozent der über 70-Jährigen durch spontanes Duzen beleidigt fühlen, sind es bei den 20- bis 29-Jährigen nur 22 Prozent.