Köln – Mein zweiter Geburtstag ist der 18. Mai 2016. An diesem Tag kam nachts der Anruf, gegen 23.30 Uhr. Ich lag schon im Bett, das Piepen des Anrufbeantworters riss mich aus dem Schlaf. »Wer ruft denn um diese Zeit noch an?«, dachte ich zunächst. Dann sah ich auf dem Display eine Bochumer Nummer und sofort schoss mir der Gedanke durch den Kopf: Das ist die Klinik!
»Wir haben eine Spenderniere für Sie. Machen Sie sich langsam auf den Weg zu uns«, sagte mir die Mitarbeiterin bei meinem Rückruf. Wahnsinn.
Zuerst bin ich noch einmal in Ruhe duschen gegangen zu Hause. Ich wusste ja nicht, wann ich das nächste Mal dazu kommen würde.
Mehr Organspenden in Deutschland
Nach Jahren des Rückgangs ist die Zahl der Organspender in Deutschland erstmals wieder gestiegen. Bis Mitte November wurden 832 Spender registriert, wie die Deutsche Stiftung Organtransplantation (DSO) mitteilte. 2017 wurden in Deutschland 797 Spendern Organe entnommen, der niedrigste Stand seit 20 Jahren.
Auch die Zahl der entnommenen Organe stieg in diesem Jahr. Bislang konnten den Angaben zufolge 2566 Organe aus Deutschland über die europäische Vermittlungsstelle Eurotransplant an schwerkranke Patienten vermittelt werden. Es handelte sich um 1317 Nieren, 245 Herzen, 286 Lungen, 644 Lebern, 72 Bauchspeicheldrüsen und zwei Dünndärme.
Einen der Gründe für den positiven Trend vermutet die Organisation in der öffentlichen Diskussion um die geringen Spenderzahlen und mögliche Konsequenzen. Allein die verstärkte Aufmerksamkeit für das Thema habe vermutlich dazu geführt, „dass Ärzte und Pflegende im Klinikalltag häufiger an die Möglichkeit von Organspenden denken und den Kontakt zu uns aufnehmen“, erklärte Axel Rahmel, Medizinischer Vorstand der DSO.
Bundesweit stehen laut DSO etwa zehntausend schwer kranke Menschen auf der Warteliste. Täglich sterben im Schnitt drei davon, weil nicht rechtzeitig ein passendes Organ zur Verfügung steht. Die DSO begrüßte die von der Bundesregierung angestoßenen Reformen bei der Organspende. „Die Maßnahmen setzen genau da an, wo Schwachstellen in der Organisation und Zusammenarbeit mit den Entnahmekrankenhäusern bestehen“, erklärte Rahmel. (afp)
Dann bin ich mit meiner Lebensgefährtin in die Klinik gefahren und wurde dort für die Transplantation vorbereitet. Insgesamt müssen sechs verschiedene Kriterien erfüllt sein, damit eine Spenderniere zum Empfänger passt.
Die Dialyse schränkt sehr ein
Dass ich einmal ein Organ von einem anderen Menschen brauchen würde, daran hätte ich früher nie gedacht. Als ich 40 war, bekam ich die Diagnose: »Sie haben Probleme mit den Nieren. In vier Jahren werden Sie zur Dialyse müssen.« So war es dann auch. Ich war damals selbstständig im Bereich Finanzen und Versicherungen. Dreimal pro Woche ging es dann abends zur Blutwäsche ins Krankenhaus. Ich habe das als Ruhe-Oase gesehen, versucht, dabei zu schlafen oder noch etwas am Laptop zu machen. Trotzdem: Viel unternehmen kann man dann nicht mehr. Die letzte große Veranstaltung, die ich besucht hatte, war Ostermontag 2014: Das Aufstiegsspiel des 1. FC Köln gegen VfL Bochum. Mein Herzenswunsch ist es, beim nächsten Aufstieg wieder dabei zu sein. Wenn man auf das Organ eines anderen Menschen angewiesen ist, lebt man immer mit der Angst.
Umso glücklicher war ich 2016 über die Spenderniere. Von wem das Organ stammt, das erfährt man als Empfänger nicht. Es kann auch aus dem europäischen Ausland kommen, die Daten werden nicht weitergegeben. So ist es leider unmöglich, sich im Nachhinein bei irgendjemandem zu bedanken. Noch nicht mal einen Dankesbrief an die Angehörigen konnte ich schreiben, das finde ich schon schade.
Allerdings gebe ich zu: In den ersten Tagen nach der Transplantation denkt man da noch gar nicht drüber nach. Da ist man völlig mit sich selbst beschäftigt. Die Gedanken der Dankbarkeit, die kommen erst später, wenn sicher ist, dass der eigene Körper das transplantierte Organ gut angenommen hat. Heute bin ich 54 Jahre alt und Frührentner. Und ich muss sagen, dass sich schon viel geändert hat durch dieses Ereignis in meinem Leben. Meine Prioritäten haben sich verschoben. Geld, Macht und Anerkennung, das ist mir alles nicht mehr so wichtig wie früher. Wichtig finde ich jetzt, dass ich mit mir selbst gut zurechtkomme und mit meinen Angehörigen.
Meine körperliche Leistungskraft ist natürlich nicht mehr so wie früher. Einfach mal so ins Fitness-Studio, das geht nicht mehr. Und trotzdem: Wenn einige Zeit nach der OP vergangen ist, verfällt man schnell wieder in den Alltagstrott. Man nimmt es irgendwann für selbstverständlich hin. Dennoch werde ich immer wieder daran erinnert, dass das alles auch hätte anders ausgehen können. Wenn mich jemand fragt, wie es mir geht, sage ich immer »gut, danke«. Egal wie der Tag gelaufen ist. Denn ich bin die Dialyse los, ich habe jetzt viel mehr Freizeit, ich könnte jeden Tag singen.
Organspende wird Thema
Meinen alten Job vermisse ich nicht. Ich arbeite jetzt ehrenamtlich im Bundesverband der Organtransplantierten und leite eine Selbsthilfegruppe in Soest. Schon beim ersten Treffen hatten wir eine gute Mischung an Teilnehmern: Leber, Lunge und Herz (er lacht). Ich gebe gerne meine Erfahrung und mein Wissen weiter, das muss man sich nämlich sonst als Betroffener alles selbst erarbeiten. Im Laufe der Zeit habe ich aber gemerkt: Bei manchen ist eine Hemmschwelle da. Viele machen zu und wollen vorher und nachher nichts mit dem Thema Transplantation zu tun haben. Andere wiederum nehmen die Hilfe gerne an. Zur aktuellen Organspende-Diskussion kann ich sagen, dass ich kein Fan von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn bin. Aber ich finde gut, dass er das Thema angestoßen hat. Ich bin für die Widerspruchslösung. Trotzdem geben auch damit die Leute in gewisser Weise ihre Verantwortung ab. Ich finde, jeder sollte bei diesem Thema eine bewusste Entscheidung treffen. Weil die Menschen es damit ihren Angehörigen leichter machen im Todesfall. Diese werden nämlich immer befragt, ob dem Toten Organe entnommen werden dürfen. Und wenn die Entscheidung vorher nicht eindeutig war, ist das eine schwierige Zeit für die Angehörigen.“
Protokoll von Christina Rinkl