Die Regierung aus Union und SPD wirkt auf viele Bürger so zerrüttet wie das vor einem Jahr geplatzte Bündnis aus Grünen, FDP und SPD. Ist auch die Merz-Koalition schon am Ende? SPD-Fraktionschef Matthias Miersch gibt Antworten.
SPD-Fraktionschef Matthias Miersch„Auch ich habe nicht die Absicht, mit der CDU zu sterben!“

Glaubt noch an das Überleben der Koalition mit der Union: SPD-Fraktionschef Matthias Miersch.
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Nach dem Eklat in der Union über Syrien und Johann Wadephul steht der Koalition die nächste schwere Woche bevor: Die Streitereien mit der SPD über Wehrpflicht und Rente dürften in die nächste Runde gehen, auch das Bürgergeld wird wieder Thema. SPD-Fraktionschef Matthias Miersch bezieht im Interview mit Tobias Schmidt Stellung zur chaotisch wirkenden Bundesregierung. Hat die überhaupt noch eine Zukunft?
Herr Miersch, am Montag geht's im Bundestag wieder um den Wehrdienst. Warum sperrt sich die SPD gegen eine Musterung aller jungen Männer, wenn sich nicht genug Freiwillige finden?
Wir sperren uns nicht, sondern diskutieren gerade. Die SPD setzt beim Thema Wehrdienst auf Freiwilligkeit, und das ist so im Koalitionsvertrag vereinbart. Unser Verteidigungsminister Boris Pistorius tut alles in seiner Macht Stehende, um den Wehrdienst attraktiver zu machen, damit sich genug junge Männer und Frauen finden.
Dass es reicht, wird von sehr vielen Experten bezweifelt. Was spricht dagegen, wenigstens einen Jahrgang komplett zu mustern?
Es gibt den Vorschlag, sowohl über die Musterung als auch über einen womöglich notwendigen Einzug junger Männer per Zufall entscheiden zu lassen. Wir sollten die Anhörung am Montag abwarten, ob es weitere Vorschläge gibt. Ich bin zuversichtlich, dass wir eine gute Lösung finden.
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Die Bevölkerung hält eine Auswahl per Los für Mist. Auch Ihr Verteidigungsminister will die verpflichtende Musterung, um Putin abzuschrecken. Die SPD sagt trotzdem „Nein“?
Nochmal: Wir machen den Wehrdienst jetzt so attraktiv, dass sich genug junge Menschen freiwillig melden werden. Davon gehe ich aus. Und wir werden keine ganzen Jahrgänge einziehen müssen, das wären viel zu viele Männer. Es wird also immer die Herausforderung bleiben, auszuwählen. Wie wir das gerecht hinbekommen, diskutieren wir gerade.
Zur Bürgergeld-Reform: Juso-Chef Philipp Türmer trommelt für ein Mitgliederbegehren. Droht die Rückkehr zu Sanktionen am Ende doch an der SPD zu scheitern?
Nein, die Bürgergeld-Reform wird nicht an der SPD scheitern. Der Koalitionsausschuss hat eine gute Einigung erzielt: Erstens wird es keine Leistungskürzungen geben bei denen, die wirklich die Grundsicherung brauchen. Zweitens werden denjenigen, die sich nicht andie Regeln halten, die nicht zu Terminen erscheinen oder trotz Arbeitsfähigkeit Jobangebote ausschlagen, die Bezüge gekürzt, wobei auch da natürlich Härtefallregelungen gelten werden. Das ist ausgewogen, das ist völlig richtig und wird für die notwendige Akzeptanz in der Bevölkerung sorgen. Und ich sehe nicht, dass es eine Welle des Widerstandes in der SPD gibt.
Es war von Wünschen aus der Union zu hören, den von SPD-Chefin und Arbeitsministerin Bärbel Bas vorgelegten Gesetzentwurf noch nachzuschärfen...
Ich sehe keinen Grund zum Nachschärfen, der Gesetzentwurf von Bärbel Bas ist gut.
Auch das Rentenpaket? Oder sind die Mütterrente und die Stabilisierung des Rentenniveaus einfach zu teuer?
Wir haben uns schon in den Sondierungen auf das Vierfach-Paket von Stabilisierung des Rentenniveaus, Ausweitung der Mütterrente, Aktiv- und Frühstartrente verständigt. Das wurde im Koalitionsvertrag und kürzlich im Koalitionsausschuss bestätigt. Das Paket ist nur als Gesamtpaket zu haben, und es organisiert Sicherheit für alle, die auf die gesetzliche Rente angewiesen sind. Ich rate uns allen, die von der Koalition vereinbarten Elemente so schnell wie möglich zu verabschieden.
Was bei der Bevölkerung ankommt: Die Koalition streitet und beschäftigt sich mit sich selbst. Ihr Unions-Pendant Jens Spahn sagte, die Union wolle „nicht gemeinsam sterben mit denen“, und meinte die SPD. Sind Sie schon wieder auf Ampel-Niveau?
Also auch ich habe nicht die Absicht, mit der CDU zu sterben! Im Gegenteil! Wir haben große Aufgaben in diesen unsicheren Zeiten vor uns. Mein Appell wäre, dass wir die Kirche im Dorf lassen. Wir haben schon so viel beschlossen, von den Sondervermögen über die Sonderabschreibungen für Unternehmen, die Unternehmenssteuerreform, den Bau-Turbo... Klar, wir hatten jetzt einige Diskussionen, die echt überflüssig gewesen sind. Nur eins muss immer wieder gesagt werden: Das Ringen um Lösungen, auch der Streit, gehören zur Demokratie dazu. Aber dabei müssen gute Entscheidungen herauskommen, damit die Bürgerinnen und Bürger sehen: Der Streit ist kein Selbstzweck und wir haben keine Profilierungsneurosen. Wir müssen beweisen, dass es vorangeht.
Die Leute haben den gegenteiligen Eindruck.
Wir sind alle aufgerufen, diese Koalition zum Erfolg zu bringen. Es müssen alle an sich arbeiten. Und zugleich rate ich uns in der auch durch Social Media aufgeheizten Stimmung zu etwas mehr Coolness.
Und was ist mit dem Eindruck, eine panische Union zerlege ihren Außenminister, nachdem Johann Wadephul die Zerstörung in Syrien beschrieben und die Hoffnung auf eine Massen-Rückkehr syrischer Geflüchteter gedämpft hat?
Natürlich habe ich die Diskussion verfolgt. Ich wünsche mir mehr Differenzierung. Es leben viele gut integrierte Syrerinnen und Syrer bei uns, auf die wir übrigens auch angewiesen sind. Um die darf es nicht gehen, wenn es um die Frage der Rückführungen geht. Bei Gefährdern und Straftätern ist es etwas anderes, ja, sie wollen wir abschieben. Aber auch da gilt selbstverständlich, dass die Gerichte die Lageberichte des Auswärtigen Amtes zu Rate ziehen. Darauf hat Herr Wadephul hingewiesen.
Kanzler Friedrich Merz hat gesagt, es müssten bald auch geflüchtete Syrer abgeschoben werden, die sich nichts haben zu schulden kommen lassen. Sehen Sie das auch so?
Es gibt klare Schutzstatus-Regeln, nicht nur für Menschen aus Syrien. Und ja, wenn die Voraussetzungen für die Rückkehr wirklich gegeben sind, kann es auch sein, dass syrische Geflüchtete unser Land wieder verlassen müssen. Aber wir müssen genau hinschauen, ob die Bedingungen gegeben sind, und sollten auf pauschale Ankündigungen verzichten.
Angesichts des Unmuts in der Union über den eigenen Außenminister wurde schon gemutmaßt, Jens Spahn könne das Außenamt übernehmen. Wäre der SPD ein anderer Fraktionschef, etwa Kanzleramtsminister Thorsten Frei, womöglich ganz recht?
Ich arbeite mit Jens Spahn wirklich vertrauensvoll zusammen und werde mich zu solchen Spekulationen nicht äußern.
