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ExpertenmeinungenEmotional geführte Debatte um den richtigen Weg

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schuhle

Symbolbild

Simone Jambor-Fahlen kennt die Diskussion um den besten Weg zur richtigen Rechtschreibung von zwei Seiten – als Mutter und als Forscherin. Oft ginge es nur um Befindlichkeiten, findet die Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Mercator-Institut für Sprachförderung und Deutsch als Fremdsprache an der Universität Köln. „Wir sind sehr um eine Versachlichung der sehr emotional geführten Debatte bemüht“, sagt sie.

Die Reichen-Methode

Der Schweizer Jürgen Reichen hat die Methode „Lesen durch Schreiben“ Anfang der 1980er Jahre entwickelt, zehn Jahre später hielt sie auch in deutschen Klassenzimmern Einzug.

Das Konzept ist sehr frei, ganz nach dem Motto: Das Kind erarbeitet sich das meiste selbst. Zentrales Hilfsmittel ist die Anlauttabelle, in der Buchstaben mit Abbildungen aufgeführt werden – zum Beispiel A wie Affe. Der Buchstabe entspricht dem Anlaut. Die Kinder sollen sich ihre Wörter nach den Lauten, die sie hören, selbst zusammensetzen.

Untersuchungen zufolge mache es keinen großen Unterschied, welche Lernmethode man anwende. „Ende der vierten Klasse haben sich alle Unterschiede nivelliert“, betont die Forscherin, die sich mit dem Anfangsunterricht im Lesen und Schreiben beschäftigt. Auch den oft gehörten Vorwurf, dass sich die Leistungen deutscher Schüler seit der Einführung der Methode „Lesen durch Schreiben“ verschlechtert hätten, kann sie empirisch nicht bestätigen. „Das ist ein kausaler Zusammenhang, der nicht richtig ist.“ Heutzutage seien Lebenswelt und Rahmenbedingungen anders, im Deutschunterricht würden andere Schwerpunkte gesetzt.

Ganz anders sieht das die Kölner Psychologie-Professorin Ellen Aschermann. Bei Kindern, die mit Schulbeginn schon einen großen Wortschatz aufwiesen und mit Sprache umgehen könnten, lasse sich am Ende des zweiten Schuljahres bei der Rechtschreibleistung kein Unterschied zu Mädchen und Jungen feststellen, die nach der klassischen Fibelmethode ihre ersten Wörter zu Papier brachten. Wenn bei ihnen das „phonologische Bewusstsein“ dagegen noch nicht so gut ausprägt sei, funktioniere die Methode weniger gut. „Dann haben sie durch „Lesen durch Schreiben“ sowohl bei der Motivation als auch bei der Kompetenz deutliche Nachteile.“ Gerade die stärkere Motivation der Kinder, Texte zu produzieren, führen die Befürworter des freien Schreibens immer wieder an. Empirisch nachgewiesen sei das nicht.

Für die Kinder sei es auch schwierig nachzuvollziehen, warum es irgendwann plötzlich doch Rechtschreibregeln gebe, sagt die Psychologin weiter. „Das ist ein erhöhter Lernaufwand und den Kindern nur schwer zu vermitteln.“ Deshalb ist für sie klar: „Ich sehe keine Vorteile bei einer Methode, die den Kindern am Anfang viel Freiheit gibt, aber diese Freiheit später einschränkt.“ Die Professorin plädiert deshalb für ein dezentes Korrigieren – „das machen wir mündlich auch ständig“ – und standardisierte Rechtschreibtests, damit die Lehrer wüssten, wo ihre Schüler stehen.

Dass es Hinweise gebe, dass rechtschreibschwächere Schüler stärker von einem strukturierten Ansatz profitieren würden, bestätigt Jambor-Fahlen. Allerdings sagt sie auch: Kritiker der Reichen-Methode gingen davon aus, dass diese durchgängig praktiziert werde – das mache aber keine Schule. Die Schwierigkeit für die Lehrer liege sicher darin, den Übergang vom freien zum regelkonformen Schreiben hinzubekommen. „Im zweiten Schuljahr muss man anfangen, orthografische Prinzipien zu vermitteln“, betont auch sie. In dem Fall würden die Rechtschreibleistungen zum Ende der Grundschulzeit auch zufriedenstellend sein.

Die Wissenschaftlerin plädiert dafür, eine Methodenvielfalt beim Schreibenlernen zuzulassen. Für sie gibt es nicht „eine richtige und eine falsche Methode“. Zudem sieht Jambor-Fahlen auch die Lehrkraft als einen ganz entscheidenden Faktor an. (dgr)