Interview mit Expertin„Brustkrebs kann in der Hälfte der Fälle vermieden werden“

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Rita Schmutzler

Rita Schmutzler 

  • Rita Schmutzler ist Direktorin des Zentrum Familiärer Brust- und Eierstockkrebs an der Uni-Klinik.
  • Mit Bernd Imgrund sprach die Gynäkologin auch über Prävention und Aufklärung.

Im hochmodernen Centrum für Integrierte Onkologie (CIO) an der Josef-Stelzmann-Straße werden jährlich rund 24 000 Krebspatienten behandelt. Gegenüber von Rita Schmutzlers Zimmer im 4. Stock wird gerade der nagelneue Hubschrauberlandeplatz der Uni-Kliniken fertiggestellt. Noch ist es hier ruhig.

Niemand liest gern ein Interview über Brust- und Eierstockkrebs. Warum sollte man es dennoch tun?

Weil diese häufigen Krankheiten allein durch Verhaltensänderung in der Hälfte der Fälle vermieden werden könnten. Unser Schwerpunkt hier liegt in der Krebsprävention bei Risikopersonen. Mit den Mitteln der modernen genomischen Medizin können wir das Risiko dingfest machen und den Krebs auch bei diesen Personen verhindern beziehungsweise früh erkennen.

Alles zum Thema Bernd Imgrund

Zur Person

Rita Schmutzler, geboren 1958, wuchs im Westerwald auf. Ab 1979 studierte sie Humanmedizin in Bonn und promovierte 1984. Ein Stipendium der Deutschen Forschungsgemeinschaft führte sie 1989/90 an die Mount Medical School in New York.

Seit 2003 ist sie Universitätsprofessorin, seit 2012 Direktorin des Zentrums Familiärer Brust- und Eierstockkrebs und seit 2018 Direktorin des Nationalen Zentrums Familiäre Tumorerkrankungen am Centrum für Integrierte Onkologie (CIO) des Universitätsklinikums Köln. Ihr Hauptforschungsgebiet liegt im Bereich der Klinischen Krebsprävention mit Schwerpunkt auf gynäkologischen Tumoren.

Für ihre Arbeit bekam sie mehrere Preise, zuletzt den Innovationspreis des Landes Nordrhein-Westfalen 2021. Sie sitzt in zahlreichen Gremien, unter anderem als Ständiger Gast im wissenschaftlichen Beirat des Bundesministeriums für Gesundheit.

Rita Schmutzler wohnt in Junkersdorf.

Sie haben ab 1979 in Bonn Medizin studiert. Wussten Sie damals schon um Ihren zukünftigen Schwerpunkt?

Mich hat von Anfang an die Genetik fasziniert, die damals noch in ihren Kinderschuhen steckte. Eine Frage war, welche Krankheiten wie stark genetisch bedingt sind, und es war ungemein spannend zu beobachten, wie viele Vermutungen sich in den Folgejahren bestätigten und klinisch relevant wurden.

1989/90 waren Sie mithilfe eines Stipendiums in New York. Haben Sie da nur gearbeitet?

Die Arbeit, bei der es um die genetischen Ursachen von Brustkrebs ging, stand natürlich im Vordergrund. Aber ich habe mich dort auch in den Jazz verliebt, den schwarzen aus Harlem. Mit meine schönsten Erlebnisse waren die Brunches an einem Sonntagvormittag in irgendeinem Jazzclub in Downtown.

Der Wechsel nach Köln 2003 war rein beruflich bedingt?

Schon, aber das kölsche Flair habe ich schnell schätzen gelernt. Das Easy Going hier, die Offenheit und Toleranz – es ist sehr einfach, in Köln zu leben. Als mein damals noch kleiner Sohn hier aufs Gymnasium kam, war er in kürzester Zeit integriert.

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Sie erforschen unter anderem sogenannte Risikogene. Was ist, im Gegensatz zum normalen Gen, ein Risikogen?

Risikogene wie etwa BRCA 1 und 2 bei Brustkrebs, sind eigentlich schützende Gene. Wir nennen sie auch Tumor-Suppressor-Gene. Bei jeder Zellteilung geht irgend etwas schief, und solche Gene entstanden evolutionär, um diese ständigen Irritationen und Veränderungen der DNA zu korrigieren. Wenn sie ausfallen, können sich genetische Veränderungen in die nächsten Zellgenerationen fortsetzen. Und das bedeutet dann, das Krebsrisiko steigt.

Risikogene sollen reparieren, sind aber selbst reparaturbedürftig?

So könnte man das vereinfacht sagen.

Sie und Ihre Forschungsgruppe haben sogar eins davon entdeckt.

Sie werden sich an den Fall Angelina Jolie erinnern, die durch ihre genetische Veranlagung ein hohes Brustkrebsrisiko in sich trug. Ihr Risikogen haben wir nicht entdeckt, aber dafür das dritte von inzwischen Zwölf. Die können wir nun alle untersuchen und damit schon lange vor einer etwaigen Erkrankung auf die Risiken hinweisen und reagieren.

Sie sind Direktorin des Zentrums Familiärer Brust- und Eierstockkrebs der Universitätsklinik Köln. Was meint das Wort „familiär“ in diesem Zusammenhang?

Genetische Veranlagungen vererben sich in der Familie. Deshalb erleben wir in der Regel familiäre Häufungen von Krebserkrankungen.

Ist Brustkrebs tatsächlich eine rein genetische Krankheit?

In einem Drittel aller Fälle ist das so, ja – ein ungeheuer großer Anteil, den wir früher nicht für möglich gehalten hätten. Das gleiche gilt übrigens auch für den Darm- und Prostatakrebs.

Und die restlichen zwei Drittel gehen auf Rauchen, schlechte Ernährung und Bewegungsmangel zurück?

Auch diese Faktoren spielen eine relevante Rolle. Es bleibt aber auch noch der Faktor Zufall, das heißt, wir können weiterhin nicht alle Erkrankungen erklären.

Angelina Jolie hat sich ihre Brüste präventiv amputieren lassen. War das aus Ihrer Sicht richtig?

Sie hat eine klare Entscheidung für sich getroffen, und damit war die richtig. Das muss allerdings nicht jede Frau in so einer Situation tun, weil da sehr viele Faktoren eine Rolle spielen – das Alter, die Lebensphase, die Persönlichkeit et cetera.

Warum hat sich die Evolution Krebs überhaupt ausgedacht?

Die Evolution lebt von der Vielfalt und vom Ausprobieren. Dabei kommt manchmal Unsinn und Schlechtes heraus. Zugleich hat sie dem Körper aber auch viele Korrekturmechanismen mitgegeben. Wir gehen davon aus, dass unser Körper viel häufiger als bislang angenommen Krebszellen entwickelt, aber sie eben auch wieder abtötet.

Sortiert die Evolution nicht zum Guten hin aus, und müsste man demzufolge nicht davon ausgehen, dass Krebs irgendwann von selbst verschwindet?

Die Evolution ist nicht zielgerichtet, sie spielt sozusagen mit all ihren Möglichkeiten. Krankheiten verschwinden nur dann evolutionär, wenn sie die Fortpflanzung beeinträchtigen. Aber wir haben es bei Krebs mit Erkrankungen zu tun, die mit zunehmenden Alter immer häufiger auftreten. Deshalb sterben sie nicht aus.

Im Mai diesen Jahres haben Sie für Ihre Forschungen den NRW-Innovationspreis bekommen. Was bringen solche Auszeichnungen?

Zum einen können wir mit dem ausgelobten Betrag Dinge anstoßen, für die wir lange gebrannt haben. Die wissenschaftliche Freiheit wächst. Zum anderen vereinfachen solche Auszeichnungen natürlich den Zugang zu Entscheidungsträgern, wenn es um neue Umsetzungsprojekte geht.

Für eine Kampagne der Deutschen Krebshilfe haben Sie 2011 unter anderem mit der Sängerin Maite Kelly zusammengearbeitet. Wie wichtig sind Prominente bei der Krebs-Aufklärung?

Das beste Beispiel ist das Outing von Angelina Jolie. Danach sind wir überrannt worden, viele Menschen sind dadurch erstmals auf ihr familiäres Krebsrisiko aufmerksam geworden. Damals wurde uns auch klar, dass das Kölner Beratungsangebot nicht sozial gerecht ist. Da kamen erstmals Menschen aus ärmeren Stadtteilen auf uns zu, und wir stellten fest, dass wir unser Beratungskonzept auf diese Bürger und Bürgerinnen anpassen mussten.

Was folgte daraus?

Aufgrund dieser offensichtlichen sozialen Ungerechtigkeit sind wir mit der Stadt Köln in Kontakt getreten. Was mir in Köln sehr gut gefällt: dass Gesundheits- und Sozialdezernat eins sind. Das ist der richtige Ansatz für eine gerechte und solidarische Gesundheitsversorgung. In Berlin, München oder Düsseldorf ist das zum Beispiel nicht so, da sind diese Ämter getrennt.

Wie sieht es in der Dritten Welt aus: Sterben die Menschen da einfach an den verschiedenen Krebsarten, weil es keine Aufklärung gibt?

Grundsätzlich gibt es dort weniger gute diagnostische und therapeutische Möglichkeiten, zumindest für den Großteil der Bevölkerung. Da leben wir in der Tat im Schlaraffenland. Allerdings gibt es auch westliche Länder mit sehr heterogener Versorgung. Denken Sie nur einmal an die USA. Da profitieren die einen von einem Top-Gesundheitssystem, und andere gehen fast leer aus.

Stichwort Obamacare.

Von Trump abgeschafft, jetzt wieder angeleiert: Die Basisversorgung, die mit Obamacare abgesichert werden soll, ist für uns seit langem eine Selbstverständlichkeit. Wir leben hier in einem der besten Gesundheitssysteme weltweit.

Sie haben weiterhin auch direkt mit Patientinnen zu tun. Belastet Sie Ihr Beruf manchmal?

Ich würde eher sagen, ohne Empathie geht es nicht! Es gibt immer wieder sehr berührende Schicksale. So belastend wie motivierend waren für mich immer die Begegnungen mit Müttern aus Risikofamilien, die sich Sorgen um ihre Töchter machen. In solchen Momenten merke ich, dass ich hier an der richtigen Stelle bin.

Schauen Sie sich abends zum Runterkommen lieber Krimis oder Romanzen an?

Weder noch, da ist mir ein Gespräch mit meinem Mann über das, was mich am Tag bewegt hat, wichtiger. Aber der Tatort am Sonntag ist mir heilig. Vor allem der aus Köln. (lacht)

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