Interview mit Ralf Richter„Mich hat der Knast geduldiger gemacht“

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Ralf Richter

„Ich bin geduldiger geworden“: Ralf Richter vor einem Büdchen im Pantaleonsviertel. 

  • Schauspieler Ralf Richter wurde mit der Serie „Das Boot“ zum Star.
  • Mit Bernd Imgrund sprach er über sein Rüpel-Image, das Pantaleonsviertel und die Wirkung von Kokain

Köln – Wir treffen uns an einem Büdchen im Pantaleonsviertel. Erste Überraschung: Ralf Richter, der „böse Junge“, bestellt sich eine kreuzbrave Bionade.

Wie würden Sie einem Touristen Ihr Pantaleonsviertel beschreiben?

Zentral, und trotzdem angenehm ruhig, ich kann nachts das Fenster auflassen. Und die Menschen hier sind sehr zuvorkommend − wie der Kölsche so ist.

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Wie denn?

Als ich hier hingezogen bin, war ich viel um die Häuser, Klein Köln und so. Wenn dir 120 Leute versprechen, beim Umziehen zu helfen, hätte schließlich einer beinahe Zeit gehabt, wenn seine Mutter nicht Geburtstag gefeiert hätte.

Kennen Sie Theophanu, die in St. Pantaleon begraben liegt?

Nee. Aber der Papst war ja mal da drin. Für den wurden alle Gullys abgeklebt, damit keine Bombe gelegt werden konnte. Die Polizei hat mich nicht mal zu meinem Haus gelassen.

Sie wollen in Köln ein Hotel für Obdachlose eröffnen.

Das läuft seit sieben Jahren, mit dem Südstadtpfarrer Hans Mörtter zusammen. Ich habe Sponsoren gesucht, das war noch das Einfachste. Innerhalb von drei Monaten hatten wir alles beisammen.

Zur Person

1957 wurde Ralf Richter geboren, er wuchs mit sieben Geschwistern in Bochum auf. Nach einer Schreinerlehre war er ab 1977 zwei Jahre lang an der Schauspielschule Bochum.

1981 zog er nach München, wo er durch seine Rolle in dem Spielfilm „Das Boot“ berühmt wurde. Seitdem wird er häufig als der böse Junge und der Proll besetzt.

1999 erreichte er Kultstatus als „Kalle Grabowski“ in „Bang Boom Bang – Ein todsicheres Ding“ (1999). Er drehte mit zahlreichen bekannten Regisseuren, darunter Klaus Emmerich („Rote Erde“, 1983/89), Dominik Graf („Die Katze“, 1988) und Oskar Roehler („Suck My Dick“, 2001).

Außerdem sah man ihn in populären TV-Serien wie Balko, Ein Fall für zwei, Der Alte, Der Fahnder, Alarm für Cobra 11, Heldt, Großstadtrevier und im Tatort. Er hat zwei Kinder und sechs Enkelkinder.

Ralf Richter wohnt im Pantaleonsviertel. (img)

Aber?

Das hängt bei der Stadt. Wenn da einer krank ist, kommt das in die nächste Konferenz, ein halbes Jahr später. Die gucken zu, wie Leute erfrieren, aber unser Projekt bringen die nicht voran. Ein empathieloser Haufen, dem das offenbar scheißegal ist. Inzwischen überlegen wir, Wohnungen zu kaufen und billig zu vermieten an Obdachlose.

Sie kommen aus einer katholisch geprägten Familie. Was hieß das im Alltag Ihrer Kindheit?

Ich war zum Beispiel Messdiener, das hat mein Vater von uns Jungs verlangt. Er war sehr gläubig und überaus korrekt. Der hatte zehn Mietshäuser, mit denen er offenen Auges in die Pleite ging. Ich wollte, dass er die Häuser rechtzeitig uns acht Kindern überschreibt. Aber das hat er verweigert, weil er das als Betrug am Staat empfunden hätte.

Ihr Vater war Architekt, Sie haben eine Schreinerlehre gemacht. Ein Akt der Rebellion?

Ich war von der Schule geflogen, wegen Faulheit, und hatte nichts zu tun. Ein Freund von mir machte eine Schreinerlehre und baute sich an der Drechselbank seine eigenen Haschischpfeifen. Da dachte ich, cooler Job, mach ich auch. Aber letztlich landete ich in einer Bauschreinerei und habe drei Jahre lang Schrankwände gebaut.

Was hielten Ihre Eltern von der Berufswahl?

Die Schreinerlehre empfand mein Vater als einen sozialen Abstieg. Auf die Schauspielerei war er stolz, aber leider hat er davon nicht mehr viel mitgekriegt. Beim „Boot“ war er schon tot.

Und Ihre Mutter?

Die ist sehr gern auf Premieren mitgekommen und mir hat gesagt, mit wem sie gern mal tanzen würde.

Nämlich?

Christian Redl zum Beispiel, den hab ich für sie dann hergeholt.

Was war Ihr härtester Dreh?

Beim „Boot“ ist mir im Laufen eine Ladung Schwarzpulver quasi in den offenen Rachen explodiert. Alles war schwarz. Ich wusste, das kostet mich locker ein paar Jahre meines Lebens. (lacht) Ich bin auch mal fast im Main ersoffen, da kommt schon einiges zusammen.

Sie sind 1981 nach München gezogen. Wie finden Sie Typen wie den von Franz Xaver Kroetz verkörperten Baby Schimmerlos aus „Kir Royal“?

Schwer in Ordnung. Mit Claude-Oliver Rudolph habe ich den Kroetz mal zuhause besucht. Der trank beim Schreiben drei Kisten Bier am Tag. In einer Zeitschrift hatte er einen sauteuren Ferrari entdeckt und fragte uns, ob er den kaufen sollte. Aber dann kam seine Freundin rein, und er hat die Zeitschrift schnell weggepackt.

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Und die Münchner Schickeria?

Die meisten sind furchtbar dämlich und leben von ihrem Standesdünkel. Ich hab mal Sir Alec Guinness beim Drehen erlebt. Der hat sich in der Pause zu den Technikern gesetzt. Aber Typen wie Monaco Franze spüren, dass sie eigentlich nichts drauf haben, und sind deshalb arrogant. Unehrliche Schleimer, die dir immer hintenrum kommen.

Hat Sie die Arroganz von Götz George nicht auch genervt, als Sie 1984 mit ihm „Abwärts“ drehten?

Der Götz war ein beinharter Typ, mit dem ich viele lustige Dinger erlebt habe. Von einem Essener Großluden habe ich mal einen fast neuen Mercedes gekauft. Für nen Appel und ein Ei, da war sogar ein Faxgerät drin. Der Götz war damals mit einem Käfer unterwegs und wollte gar nicht glauben, was ich da fuhr. Ich habe ihn gern gepiesackt. Mich von hinten angeschlichen und ihm die Zigarette aus dem Mund geklaut. Der war ein echter Kerl, du wusstest nicht, ob er jetzt lacht oder zuschlägt.

Um die Jahrtausendwende saßen Sie neun Monate wegen Drogenhandels im Gefängnis. Wie raucht man Kokain?

Man streut das Kokain in einen Löffel mit Wasser und tut Natriumhydrogenkarbonat dazu. Das trennt den ganzen Dreck ab, bis nur noch so eine Art Fettauge auf dem Wasser schwimmt. Das nimmst du mit einem Messer ab und kannst es dann rauchen.

Und wie wirkt das?

Oh, an mein erstes Mal kann ich mich noch genau erinnern! Das Gefühl zieht von den Füßen hoch durch den Körper. Als es meine Knie erreichte, merkte ich, das wird richtig reinhauen. Und am Oberschenkel wusste ich schon, das will ich nochmal machen! Ich war süchtig, bevor sich die Wirkung überhaupt richtig entfaltet hatte.

Kurz davor hatte man Konstatin Wecker wegen Kokain verhaftet.

Einer der Wachhabenden hat mir später erzählt, der Wecker habe in seiner Zelle plötzlich christliche Lieder komponiert. Der hat sich angebiedert, und vorm Knast hat die Münchner Schickeria für ihn demonstriert.

„Mich hat der Knast geduldiger gemacht“, sagen Sie. Wirklich?

Auf jeden Fall! Früher haben die Leute sich beschwert, ich ließe sie nicht ausreden. Habe ich seitdem nie wieder gehört.

Wie würden Sie Ihr Schauspieler-Image beschreiben?

So ein bisschen böse und ein bisschen prollig.

Das Prollige sollen Sie sich bei Siedlungskindern in Ihrer Heimat Bochum abgeschaut haben.

Nein, ich war selber auch so, und ich fand solche Leute einfach interessanter als Bürgerkinder. Die haben sich abends ordentlich einen reingeorgelt und laut Lieder gesungen, bis die Polizei kam. Mein Vater sah es nicht so gern, dass ich mich mit denen rumtrieb.

Hatten Sie in der Coronazeit genügend Jobs?

Alles stand still, aber heutzutage kann man ja auch in Deutschland als Schauspieler Werbung machen, ohne dass die Leute einen für völlig fertig halten. Ich habe unter anderem Spots für ein Autoportal gedreht. Ich war ein schmieriger Autohändler, der wem was aufschwätzen wollte. Und dann werde ich mit einem Seil weggerissen, weil die natürlich auf Seriosität setzen. Die zahlen sehr gut, das sind Honorare, die du in Deutschland normalerweise für einen Kinofilm bekommst.

Welche Rolle würden Sie gern mal spielen?

Habe ich mir noch nie Gedanken drüber gemacht. Mein Lieblingsfilm ist immer der nächste. Und wenn ich den nächsten Job nicht besser mache als den davor, dann war es der letzte.

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