250.000 TeilnehmerSo lief die große Friedensdemo am Rosenmontag in Köln

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Rosenmontag '22 Köln: Zehntausende demonstrieren für den Frieden. 

Köln – Die Chaosvermeidung gehört in der Regel zu den Hauptaufgaben von Holger Kirsch, dem Leiter des Kölner Rosenmontagszugs. In normalen Zeiten sorgt er dafür, dass rund 12000 Zugteilnehmer und Dutzende Wagen einigermaßen gesittet sieben Kilometer Zugweg bewältigen. An diesem Montag ist Kirsch chancenlos. Rund um die Severinstorburg in der Südstadt strömen Tausende Menschen aus den Seitenstraßen auf den Zugweg, schon nach wenigen Metern sind die Blauen Funken nicht mehr die Spitze des Friedensmarschs, zu dem das Festkomitee Kölner Karneval den Rosenmontagszug umgewandelt hat. „Weil denen so viele Menschen entgegen kamen, sind die einmal kurz auf eine Ausweichroute gegangen. Aber heute haben wir in Köln Karnevalsgeschichte geschrieben“, ist sich Kirsch sicher.

Polizei schätzt die Menge auf 250.000 Menschen

Nach der Auswertung von Luftbildern beziffert die Polizei die Zahl der Teilnehmenden an der Demonstration am Montagnachmittag auf 250.000 Menschen. Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) spricht von einem „starken Zeichen“ und einer „Riesenleistung des organisierten Karnevals“, schließlich hätten sich viele Karnevalisten nach knapp zwei Jahren Pandemie mal wieder einen regulären Rosenmontagszug gewünscht. Als der Musiker Peter Brings am Morgen mit seiner Band die kleine Bühne an der Severintorburg betritt, fühlt er sich beim Anblick der Menschenmassen an das legendäre „Arsch huh“-Konzert im Jahr 1992 erinnert. „Das hier ist der wichtigste Rosenmontagszug, seitdem ich auf der Welt bin“, bekennt er. Es sei das „allerwichtigste für alle Karnevalisten, Flagge zu zeigen und ein politisches Bewusstsein erkennen zu lassen“, so Peter Brings.

Eine Viertelmillion macht klar: Wir wollen keinen Krieg!

Der Rosenmontag des Jahres 2022 wird als eindrucksvolles Friedenszeichen in die Geschichte des Kölner Karnevals eingehen. Am Sonntag waren in Berlin mehr als 100.000 Menschen für den Frieden in der Ukraine auf die Straße gegangen, nun sind es eine Viertelmillion in Köln. „Mir ist wahrlich nicht nach Feiern zumute. Aber ich versuche Verständnis aufzubringen für alle Menschen, die in diesen Tagen Karneval feiern. Der Karneval hat den Kölnerinnen und Kölnern in schweren Zeiten immer Halt gegeben. Wir können heute deutlich machen, wie viel Zuversicht in unserem Karneval steckt“, sagt Oberbürgermeisterin Henriette Reker in ihrer Ansprache vor Beginn des Friedenszugs. Sie denkt jedoch auch an die Demonstranten in Russland. „Ich empfinde grenzenlose Bewunderung für die mutigen Russinnen und Russen, die bereits seit Freitag auf die Straßen ihres Landes gehen“, sagt sie. Es folgt langer Applaus.

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Der Wagen von Werner Blum und Halina Labusga zeigt die aufgespießte Friedenstaube.

Die Friedenstaube hat es erwischt

Für das Symbol des Tages hat Künstler Werner Blum gesorgt, sein Persiflagewagen wird von einem Traktor über den Demonstrationsweg gezogen. Zu sehen ist eine blutüberströmte Friedenstaube, aufgespießt auf der russischen Flagge. An der Torburg stimmt eine Sängerin aus der Ukraine eine Ballade an, die bei Trauerfeiern und Beisetzungen von Kriegsopfern gesungen wird. Viele Menschen sinken aus Respekt auf die Knie und verharren still, einige haben Tränen in den Augen. Mittendrin stehen Gardisten in Uniform, Lappenclowns und andere Kostümierte. Es dominieren die ukrainischen Landesfarben blau und gelb – egal ob als Pappnase oder Perücke.

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Vor dem Start des Marsches ließ das Festkomitee Kölner Karneval weiße Friedenstauben aufsteigen.

So wie an diesem Rosenmontag hat sich der Kölner Karneval bislang noch nie gezeigt. Der Umzug durch die Straßen gleicht einem Schweigemarsch, zwischendurch unterbrechen Sambagruppen die Stille. Ruhig tragen die Menschen ihre Botschaften durch die Stadt. „Stoppt Putin“ ist zu lesen, „Make Fastelovend, not war“, aber auch typisch kölsche Anspielungen. „Love, peace – un lecker Kölsch“ steht auf dem Shirt eines Mannes, ein Kostümierter trägt das Foto des russischen Präsidenten Wladimir Putin durch die Stadt, darunter steht frei nach einem Lied der Höhner: „Ich ben ne kleine Mann un han se nit mih all op dr Pann“. Karneval trifft Weltpolitik.

Kuckelkorn: Alle stehen zusammen, wenn es darauf ankommt

Die Karnevalisten in Köln mischen sich nicht zum ersten Mal in die Politik ein. Als vor fünf Jahren die AfD ihren Bundesparteitag im Maritim-Hotel abhielt, hatten die Karnevalisten einen Protest organisiert, dem etwa 10.000 Menschen gefolgt waren. Zuletzt hatten sich die Verantwortlichen bei zahlreichen Gesprächen mit Vertretern der Staatskanzlei in Düsseldorf für die Aufnahme des Karnevals in den Sonderfond des Bundes für Kulturveranstaltungen eingesetzt. Mit Erfolg. Nach der Absage des im Rheinenergie-Stadion geplanten Rosenmontagsfestes war es den Verantwortlichen nun in kürzester Zeit gelungen, den Friedensmarsch zu planen. „Die Kölner und der Karneval haben heute gezeigt, dass alle zusammenstehen, wenn es darauf ankommt. Wir alle sind Weiberfastnacht in einer anderen Welt wach geworden. Es herrscht Krieg in Europa. Wie klein sind doch die Opfer der vergangenen beiden Jahre angesichts der schrecklichen Bilder aus der Ukraine“, resümiert Festkomitee-Präsident Christoph Kuckelkorn. Die vielen Tausend Teilnehmenden eine ein großer Wunsch: „Frieden in Europa“.

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Die blauben Funken sind "Verrückt nach Frieden"

Am Montagmorgen hatte das Festkomitee bereits 20 Persiflagewagen entlang des Zugwegs aufgestellt, mitten auf dem Neumarkt thront Wladimir Putin, der Hammer schwingend im Unterhemd von den „guten alten Zeiten“ der Sowjetunion träumt. Petra und Michael Breuer aus Köln lichten sich gegenseitig vor dem Motivwagen ab. „Die Präsentation der Wagen kommt sonst zu kurz. Wir hatten eine Karte für das Fest im Stadion, jetzt sind wir hier. Uns geht es darum, das Feiern mit dem Wesentlichen in der Welt zu verbinden. Denn der Karneval ist nicht so oberflächlich, wie es manchmal scheint“, sagt Michael Breuer. Doch auch an diesem speziellen Rosenmontag ist das nur die halbe Wahrheit. Denn im Studentenviertel rund um die Zülpicher Straße feiern Tausende junge Menschen ausgelassen das Leben.

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Die Kölner zeigen Solidarität mit der Ukraine und beziehen Stellung gegen den Krieg.

Wie sonst der Rosenmontagszug ist dieses Mal der Friedensmarsch eine generationsübergreifende Angelegenheit. Viele Familien sind mit Kindern unterwegs, selbst die Kleinsten haben ihre gelben und blauen Stifte malträtiert, um große Transparente zu basteln. „Unserer Tochter haben wir erklärt, was ein Friedensmarsch ist.

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Das ist einfacher, als vom Krieg zu erzählen“, sagt ein Vater, der sein jüngstes Kind in einer Trage auf dem Rücken schleppt. Ob er lange überlegen musste, sich mit Kindern ins Getümmel zu stürzen. „Nein, das war sofort klar. Aktionen wie diese stehen für Köln“, findet er. Andere Demonstrierende schieben ihre Kinder in Fahrradanhängern durch die Straßen. Als Zugleiter Holger Kirsch am Morgen an der Severinstorburg ans Mikrofon tritt, um mit einem ziemlich lauten „Kölle Alaaf“ und „Ukraine Alaaf“ den Friedensmarsch zu eröffnen, denkt er auch an den Nachwuchs. „Wir alle sind wütend, dass unsere Kinder nun erahnen können, was Krieg bedeutet“, sagt er.

Erst um 16 Uhr kommen die letzten Zugteilnehmer an der Mohrenstraße an. Auch im zweiten Jahr hat das Kölner Dreigestirn aus dem Korps der Altstädter keinen Rosenmontagszug erlebt. Aber dafür einen historischen Friedensmarsch.

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