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Kölner Schneider Carlo Jösch„Beim Schneidern geht es um Handarbeit und Herzblut“

Lesezeit 7 Minuten
Gewalkt und eng verwoben schützt Tweet auch vor Regen und Kälte, weiß Maßschneider Carlo Jösch.

Gewalkt und eng verwoben schützt Tweet auch vor Regen und Kälte, weiß Maßschneider Carlo Jösch.

Carlo Jösch ist Maßschneider und fertigt in seinem Kölner Atelier neben hochwertiger Tweed-Kleidung auch schottische Kilts an. Bernd Imgrund hat ihn besucht.

Er ist für das Kölsche Karo von Brings verantwortlich. Kilts haben ihn schon als Kind fasziniert. Bernd Imgrund hat Carlo Jösch in seinem Atelier in der Mohrenstraße besucht.

Sein Schneideratelier ist ein echter Werkraum: hochwertige Arbeitsmaterialien, Schnittmuster, Scheren, Stoffrollen. Und an der Wand Grußkarten von glücklichen Kunden − zum Beispiel von „Brings“.

Ihr Nachname klingt irgendwie kölsch.

Mein Vater kommt aus dem Rheinland und hat meine Mutter in Chile kennengelernt, wo ich auch geboren wurde. Seine Vorfahren wiederum könnten aus Schweden stammen, angeblich handelt es sich bei „Jösch“ um eingedeutschtes Schwedisch. Eine Herleitung besagt, dass das Wort auf die kleinen Fähnchen an Mehrmastern zurückgeht.

Sie haben Ihre ersten zwei Jahre sowie ein Studienjahr in Chile verbracht. Was verbinden Sie mit dieser Zeit?

Meine chilenische Mutter, meine Großmutter und alle Tanten waren sehr modebewusst. Viele haben ihre Kleider selbst genäht. Meine Tante Tita hat wunderbare Abendmäntel gehäkelt.

Was halten Sie als Kilt-Macher von dem Wort „Schottenrock“?

(lacht) Na gut, im Prinzip handelt es sich ja um einen Rock. Es klingt ein wenig profan und nach „Damenrock“. Ein Kilt ist allerdings deutlich aufwendiger in der Herstellung.

Modedesigner Carlo Jösch bei der Arbeit

Modedesigner Carlo Jösch bei der Arbeit

Inwiefern?

Unter anderem müssen die Falten so verlaufen, dass das Muster rundherum und zwischen Hüfte und Taille auch von oben nach unten einheitlich bleibt. Zu uns kommen viele Dudelsackspieler mit ihren Kilts, da sieht man zum Teil gewaltige Qualitätsunterschiede in der Verarbeitung.

Schottenröcke aus dem Karnevalsbedarf fassen Sie vermutlich gar nicht an.

Nein. Es lohnt sich ja auch für den Besitzer nicht, so ein Paar-Euro-Teil hier bei mir für einige Euro mehr reparieren zu lassen.

Warum würden Sie Männern empfehlen, öfter mal einen Kilt zu tragen?

Auf jeden Fall werden Sie die Blicke der Damen ernten.

Ein Rock über knackigen Waden in groben Strümpfen?

So ungefähr. Am Anfang hatte ich auch Schwierigkeiten, meine Hemmungen zu überwinden. Ich falle nicht gern auf, aber ich sagte mir: Das fasziniert dich nun von Kindesbeinen an, wenn du dich jetzt nicht traust, dann niemals. Die Reaktionen waren letztlich rundweg positiv! Man bekommt Komplimente, auch von Männern.

Ein guter Kilt sollte schwingen, nicht flattern, sagen Sie.

Ja. Damenröcke dürfen flattern − in alle Richtungen. Aber Kilts schwingen in Wellen. Das hat mit der Schwere des Materials zu tun.

Sie haben Schottland mit sechs Jahren in einem Disneybuch entdeckt. In welchem?

Ich hatte damals einen Din A3-Band, der sich um „Geschichten aus aller Welt“ drehte. Die Beschreibung von Schottland hat mich sofort gepackt.

Da stand bestimmt: Die sind geizig, und es regnet den ganzen Tag.

(lacht) Ich konnte noch nicht einmal richtig lesen damals. Aber man sah dort unter anderem Männer in Kilts, tolle Landschaftsbilder und solche zur Herstellung von Dudelsäcken.

Sie sagen, in einem früheren Leben hätten Sie in Schottland gelebt. Im Sinne von Reinkarnation?

So muss es wohl sein. Die Faszination begann so früh und geht so tief, dass ich mir's nicht anders erklären kann.

Waren Sie in diesem früheren Leben eher ein Bogenschütze von William Wallace oder schon Schneider?

Das weiß ich nicht. Aber wenn ich nach Schottland komme, habe ich ein sehr starkes Heimatgefühl, sowohl in Bezug auf die Menschen als auch auf die Landschaft.

Trinken Sie abends eher ein Glas Rotwein oder einen Malt Whisky aus den Highlands?

Weder noch. Ich trinke so gut wie gar keinen Alkohol.

Himmel & Ääd oder Haggis?

Haggis! Blutwurst ist so gar nicht meins.

Vom Kilt zum Stoff Tweed, den Sie hier verarbeiten: Warum schützt der vor schottischem Wetter?

Wolle an sich ist wasserabweisend durch das enthaltene Fett. Und wenn die dann noch gewalkt und eng verwoben ist, schützt sie auch gut gegen Kälte.

Was sagt es über jemanden aus, wenn er Tweed trägt?

Ich denke, solche Menschen sind traditionsbewusst, sie sind Naturliebhaber und fügen sich nicht in die schnelllebige Zeit. Tweed ist wertig, Low Fashion im besten Sinne.

Was halten Sie von Karl Lagerfelds berühmtem Jogginghosen-Verdikt?

(lacht) Da ist wohl was dran. Junge Leute können in Joggingklamotten durchaus cool aussehen. Aber wenn alle damit rumlaufen, wird es öde. Kleidung spiegelt immer auch die Kultur einer Gesellschaft.

Sind Jeanshosen für Couturiers wie Sie des Teufels oder eine tolle Erfindung?

Als junger Mann war ich ein großer Levis-Fan. Ich stand auf Vintage-Jeans im Stil der 1920er, 30er Jahre mit versteckten Nieten, Hosenträgerknöpfen und so weiter. Ich denke, Jeans sind eine geniale Erfindung. Aber auch da braucht man Abwechslung.

Benötigt man denn als Maßschneider für hochwertige Kleidung auch psychologische Fähigkeiten?

Durchaus. Mancher Kunde denkt, er könne durch ein neues Outfit sein Leben ändern und glücklich werden. Natürlich macht ein maßgeschneidertes Tweedsakko glücklich, man geht sogar anders, aufrechter darin als vorher. Aber sein Leben muss man dann doch selbst ändern, das kann kein Schneider.

Lehnen Sie zuweilen einen Auftrag ab?

Das kommt vor, wenn sich Leute schlecht benehmen. Letztes Jahr kam da ein Herr, der ob seines Namens gute Manieren hätte gelernt haben müssen. Dem war aber nicht so, und deshalb habe ich den Kontakt beendet. Gewisse Umgangsformen setze ich hier voraus.

In Ihrem Atelier steht kein Computer. Entwerfen Sie nie am PC oder lassen die KI sich mal entfalten?

(lacht) Um Gottes Willen, das ist das Gegenteil von dem, was wir hier machen! Für mich geht es beim Schneidern um Handarbeit und Herzblut. Ich schneide auch mein Schnittpapier per Hand, einerseits millimetergenau, andererseits aber auch intuitiv. Ich nehme persönlich Maß am Kunden und entwickele dabei ein Gefühl dafür, was ihm wie steht.

Hat die handwerkliche Schneiderei eine Zukunft angesichts von Massenware und KI?

Ich denke schon. Sie wird nicht mehr das Niveau von vor hundert Jahren erreichen, als man einmal pro Saison für neue Kleidung zum Schneider ging. Aber es wird immer Menschen geben, die etwas Besonderes, Hochwertiges tragen möchten, das es nicht von der Stange gibt.

Warum wohl ist der Schneider sprachlich oft negativ konnotiert, etwa als „Aufschneider“ oder in „Herein, wenn's kein Schneider ist“?

Letzterer Spruch rührt da her, dass der Schneider sein Geld oft eintreiben musste. Schneiderei wurde schlecht bezahlt, während die Stoffe für den Adel ein Vermögen kosteten. Auch heute müssen wir immer wieder deutlich machen, wieviel Aufwand und Zeit in echter Handarbeit steckt.

Stimmt es, dass die Band Brings wegen Ihnen Karo trägt?

Stephan Brings kam mal mit dem Fahrrad am Geschäft vorbei und ließ sich einen Kilt machen. Die anderen Jungs zogen nach, und die Zusammenarbeit währt bis heute.

Auf diese Art haben es Ihre Kreationen sogar auf die Bierdeckel von Gaffel geschafft.

Und nicht zu vergessen die Brings-Straßenbahn im Karo-Outfit.

Warum sind Sie im eher schnöden Köln statt etwa in Düsseldorf gelandet?

Wegen der Liebe. (lacht) Die Beziehung hielt zwar nicht lange, aber der Dom ist für mich Heimat geworden.

Mit welchen Augen gehen Sie als Schneider durch Köln?

Am besten würde man sich die Augen zubinden. Auf der Schildergasse etwa gehen die Individuen unter, alle sehen gleich aus. Gut gekleidete Menschen findet man an einigen Hot Spots, aber die Highlights muss man wirklich suchen.

Wie würden Sie Ihren eigenen Stil beschreiben?

Schwierig, über sich selbst zu reden. Ich mag es klassisch, sportlich, aber mit einer gewissen Eleganz. Klischees meide ich, und ich arbeite daran, nicht konservativ zu werden und zu wirken. Um es auf einen Nenner zu bringen: Ich kleide mich gern konventionell-unkonventionell.

Was würden Sie jemandem empfehlen, der mit seiner Kleidung unzufrieden ist?

Es kommt immer auf die Mischung an: Second Hand kann mit Haute Couture harmonieren. Zunächst sollte man sich eine Basis schaffen − zum Beispiel eine gute Hose mit einem schlichten weißen T-Shirt. Aber es sollte halt kein ausgebeultes Luschi-Sweatshirt sein. Viele denken, Mode sei oberflächlich. Aber wer sich gut fühlen will in seiner Kleidung, muss sich schon ein paar Gedanken über seinen Stil machen. In meine eigene Kleidung schreibe ich immer eine Art Mantra ein. Was genau, werde ich nicht verraten. Aber es geht immer um positive Schwingungen.