Interview

Direktor der Kölner Kunsthochschule
„Wir müssen die Beziehungen zur Natur neu überdenken“

Lesezeit 7 Minuten
Der Mensch steht in der Evolution zentral, aber nicht über den Dingen, meint Mathias Antlfinger, Direktor der KHM.

Der Mensch steht in der Evolution zentral, aber nicht über den Dingen, meint Mathias Antlfinger, Direktor der KHM.

Der Direktor der Kölner Kunsthochschule für Medien, Mathias Antlfinger, über das Verhältnis zwischen Mensch, Tier und Natur, seine Kunst und die frühere Kunstmetropole Köln

Noch liegt sein Büro in einem Nachkriegsbau am Peter-Welter-Platz. Bald jedoch wird die Kunsthochschule für Medien umziehen: in die komplett sanierten ehemaligen Räumlichkeiten der Handwerkskammer am Heumarkt.

Hier an der KHM gibt es das Lehrgebiet „Multispecies Storytelling“. Es sollen Geschichten erzählt werden, die „den Menschen nicht länger in den Mittelpunkt stellen“.

Das dockt an die alte Frage an, in welchem Verhältnis Menschen, Tiere und Natur zueinander stehen. Die ist heute so brennend wie nie zuvor, und die Erkenntnis lautet stets: Ohne funktionierende Umwelt sind auch wir Menschen nichts. Deshalb müssen wir unsere Beziehungen völlig neu überdenken. Wer sich nur die Rosinen rauspickt, dem geht es irgendwann selbst an die Substanz.

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Denken Sie dabei an ökologische Landwirtschaft?

Mehr als das: Wir müssen auf Tierhaltung vielleicht komplett verzichten. Tiere zum Essen zu züchten, kostet auf die Dauer zu viele Ressourcen − mal ganz abgesehen von den ethischen Aspekten: Ist das Interesse der Tiere zu leben nicht höher zu bewerten als unseres, sie zu essen?

Wie halten Sie es mit Lederkleidung?

Ich besitze noch einige Reste. Aber meine Schuhe zum Beispiel sehen nach Leder aus, sind jedoch vegan.

Für ein Kunstprojekt haben Sie gemeinsam mit Ihrer Partnerin Ute Hörner das eigene Ledersofa abgezogen und daraus eine Skulptur in Form eines Kälbchens gefertigt.

Das war das Sofamodell „Kramfors“ von Ikea, und so haben wir dann auch die Arbeit genannt. Letztlich entstammt sie einer Bierdeckelidee: Wir ziehen das ab und schauen, wieviel Material dabei rumkommt. Es ging darum, die Herkunft solch eines Alltagsmöbels zu reflektieren. Fleisch, Haut und Fell von Tieren unterliegen einem Verwertungsprozess. Dieses Leder haben wir − symbolisch − dem Rind zurückgegeben.

Sie haben über Jahre mit Graupapageien gearbeitet, die auch bei Ihnen zuhause wohnten. Was wurde aus denen?

Aktuell leben wir mit drei Papageien, eine davon, Clara, ist ein Graupapagei. Zwei sind leider in den letzten Jahren gestorben, darunter Karl, der mit ungefähr 60 Jahren sehr alt war. Er litt zum Ende hin an Herzproblemen und Arthrosen.

Wenn der Mensch nicht im Mittelpunkt der Evolution steht, wo dann?

Er steht schon sehr zentral, aber nicht über den Dingen, sondern mit beiden Beinen im Matsch.

Was könnte evolutionär nach dem Menschen noch kommen?

(lacht) Wir entstammen der Familie der Hominiden. Manch einer glaubt, dass wir dereinst von Maschinen abgelöst werden. In Robotik und KI wird viel hineinprojiziert, und die Maschinen werden ja tatsächlich immer schneller und perfekter.

Schachcomputer schlagen seit Jahren jeden Weltmeister − beängstigend oder toll?

Für Tiere und Umwelt in mancher Hinsicht toll. Denn diese Maschinen essen nichts.

Sie fressen Strom.

Stimmt, aber der wird dann hoffentlich in Zukunft immer regenerativer erzeugt.

Auch die Perspektiven von Pilzen, Bakterien werden einbezogen, heißt es in Ihrem KHM-Text. Welche Perspektiven haben Pilze?

Pilze sind uralte Organismen, die eine ganz andere Strategie als wir verfolgen. Pilze sind überall, auch in der Luft. Und sie sind vielfach verbunden mit anderen Lebewesen, ohne selbst abgeschlossene Entitäten zu bilden. Sie gehen etwa Symbiosen mit Bäumen und Bakterien ein. Dank ihrer Anpassungsfähigkeit werden sie uns womöglich überleben.

Haben Sie die Hoffnung in die Menschheit aufgegeben?

Nein, das kann ich mir gar nicht leisten. Als Leiter einer Hochschule muss man die Dinge mit einem frischen, optimistischen Geist angehen.

Bei den Aktionen zur Erhaltung des Hambacher Forstes starb einer Ihrer Studenten.

Steffen Meyn war ein engagierter junger Mann, den ich sehr geschätzt habe. Er hat im Hambacher Forst bei den Besetzern gelebt und wollte eine Dokumentation über das Leben und die Kämpfe dort machen. Sein Material ist zum Teil in jenen Film eingegangen, der nach seinem Tod entstand: „Vergiss Meyn nicht“. Der hat mich sehr bewegt.

Sie machen nicht Kunst für die Kunst, sondern Kunst mit einer Absicht.

Finde ich sehr schön, das so zu hören. Als Künstler stehe ich in einem Spannungsverhältnis zu der Gesellschaft, in der ich lebe. Der einsame Denker, das Künstlergenie: Solche Figuren sind weitgehend ausgestorben. Heutzutage passiert sehr vieles gleichzeitig, man ist zur Kollaboration geradezu gezwungen.

In Ihrem Projekt „Discrete Farms − Irgendwo muss das Fleisch doch herkommen“ von 2012 kommt eine große Hasenpuppe vor. Haben Sie die selbst gefertigt?

Ja, zwei Stück samt Platz für eine Führhand. Solche Puppen verwenden wir hin und wieder, sie stehen wie ein Alter Ego für uns selbst. In diesem Fall ging es nicht zuletzt um Ängste − deshalb die Angsthasen.

Sie selbst arbeiten immer mit Ihrer Partnerin Ute Hörner zusammen. Ein Zacken fällt Ihnen dabei nicht aus der Krone?

Ich habe mit diesem Einzelkämpfertum nicht viel am Hut. Natürlich hat jeder seine Vorstellungen, aber ich ziehe den Gewinn daraus, dass wir zu zweit sind.

Wie gestaltet man einen Streit kreativ?

Indem man die andere Person erstmal machen lässt und das dann neu beurteilt.

Was machen Sie eher allein?

Reflektieren, schreiben. Viele Kolleginnen und Kollegen, mit denen ich studiert habe, arbeiten direkt am Material, gehen ins Atelier und legen los. Wir hingegen arbeiten erstmal ein Projekt im Kopf aus, bevor wir anfangen. Die Idee muss stark sein, auch wenn sich im Prozess noch manches verändert.

Ist Kunstproduktion und -rezeption immer auch ein edukativer Vorgang?

Indirekt schon, indem man andere an seinen Denkprozessen teilhaben lässt. Andererseits merke ich immer wieder, wie unterschiedlich unsere Arbeiten interpretiert werden, und das ist ja auch gut so. Sonst könnte ich auch zu jedem Werk eine Bedienungsanleitung schreiben.

Sie haben eine Weile Kunsterziehung studiert. Wollten Sie Lehrer werden?

Das war eher eine Konzession an mein Elternhaus − ein Kompromiss auf dem Weg zum Künstler. Kunst spielte bei uns keine große Rolle, aber ich wollte diesen Weg unbedingt einschlagen. Ich habe dann noch ein weiteres Studium angefangen, Mathematik, aber gleichzeitig wuchs ich in die Kunstszene hinein und mir wurde klar: Nein, Lehrer werde ich nicht.

Köln galt in den 1980ern auch international als Kunstmetropole. Wie sahen Sie das von Stuttgart aus?

Diese Kölner Kunst war ein Zentrum der Neuen Wilden, ich nahm die aufmerksam wahr und war oft zu Besuch hier: die Artcologne, die Südstadt, Köln war cool, ich wollte immer hier hin. Stattdessen bin ich dann nach dem Studium durch unsere Künstlergruppe „Büro Bert“ erstmal in Düsseldorf gelandet.

Hat Köln Einfluss auf Ihre Kunst? Der Dom, der Rhein, der Geißbock ...

Nein, eigentlich nicht. Aber ich nehme das als Anregung. (lacht)

Ihre ursprüngliche Heimat Limburg liegt an der Dat-Das-Grenze. Auf welcher Seite lagen Sie?

Dieses „Dat“ geht Richtung Westerwald, wir haben zuhause „Das“ gesagt.

Wie steht es um Ihr Kölsch?

Blamabel: Es kütt, wie es kütt, und so.

„Et“ kütt, auch da geht t vor s.

Sehen Sie, schon wieder lag ich falsch. Aber ich mag diesen Dialekt.

Was würden Sie Köln empfehlen?

Sehr wichtig finde ich, diese kölsche Lebensart zu erhalten. Ich mag die Wärme hier und dass man mit den Leuten schnell ins Gespräch kommt. In Köln fühlt man sich willkommen, das ist eine lebendige Großstadt. Ich denke da auch an politisches Engagement, an Demonstrationen für Diversität und so weiter.

Antlfinger klingt eher süddeutsch. Wissen Sie, was der Name bedeutet?

Man könnte wegen englisch „ant“ an Ameisen denken. Aber jemand erklärte mir mal, „Antl“ gehe auf die Fortsätze des Hirschgeweihs zurück. Mir ist zwar noch kein Geweih gewachsen, aber der Bezug zu Tieren ist da. Und natürlich gefällt mir in diesem Zusammenhang auch, dass meine Partnerin „Hörner“ heißt.


Zur Person

Mathias Antlfinger wurde 1960 geboren und wuchs in Limburg an der Lahn auf. Er studierte Kunsterziehung und Bildhauerei in Stuttgart (1983-88) und von 1990 bis 1995 Bildhauerei und Kybernetik an der Kunstakademie Düsseldorf. Von 1988 bis 1992 war er Mitglied der Künstlergruppe Büro Bert. Seit 1990 arbeitet er mit der Künstlerin Ute Hörner zusammen. Ihre weltweit gezeigten Installationen, Videos und Skulpturen verhandeln häufig die Beziehungen zwischen Menschen, Tieren und Maschinen. Im Jahr 2009 wurde er Professor für Medienkunst/Transmediale Räume an der Kölner Kunsthochschule für Medien. Seit April 2022 ist er Rektor der KHM. Mathias Antlfinger lebt in Ehrenfeld. 

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