Fast jeden Mittwoch soll ein Gruppenleiter eine frühere Messdienerin missbraucht haben. Sie klagt auf ein hohes Schmerzensgeld vom Erzbistum Köln. Dabei kommt es auf die Zahl der Fälle an.
Prozess gegen Erzbistum KölnZeugin schildert Übergriffe als „schreckliche Normalität“

Am Kölner Landgericht läuft ein Prozess um Schmerzensgeld gegen das Erzbistum Köln.
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Ein Schmerzensgeldprozess wegen sexuellen Missbrauchs gegen das Erzbistum Köln ist am Dienstag mit der Aussage der Klägerin fortgesetzt worden. Die heute 39-Jährige soll als Kind von dem Leiter einer Messdiener-Gruppe missbraucht worden sein. Bei der Beweisaufnahme vor dem Kölner Landgericht sagte sie aus, der Täter habe sie zwischen 1992 und Sommer 1995 nahezu jeden Mittwoch während der Gruppentreffen mit der Hand penetriert. Die Übergriffe seien „schreckliche Normalität gewesen“, so die Zeugin. „Ich kannte es nicht anders, es war ritualisiert.“ Nach den Taten habe sie jedes Mal Schmerzen im Intimbereich gehabt, oft auch Blutspuren in ihrer Unterhose.
Eine genaue Zahl der Fälle konnte sie nicht nennen, im Grunde sei sie aber nur in den Ferienzeiten ohne das wöchentliche Gruppentreffen von dem Missbrauch verschont geblieben. „Es war fester Teil der Messdienerstunde.“ Sie selbst gehe von rund 280 Fällen aus, sagte sie der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) nach der Beweisaufnahme. Der Täter habe auch das Vertrauen ihrer Eltern ausgenutzt, um sie zuhause zu missbrauchen, wenn er auf sie aufpasste. Während ihres Ministrantendienstes oder kirchlicher Feiern sei es nicht zu Übergriffen gekommen.
Täter war bereits auffällig
Die frühere Messdienerin fordert vom Erzbistum Köln 830.000 Euro Schmerzensgeld. Der Täter habe die Gruppe betreut, obwohl er schon vorher durch übergriffiges Verhalten aufgefallen sei. Ein entsprechendes Ermittlungsverfahren gegen den Mann war laut ihren Anwälten Anfang der 1990er Jahre eingestellt worden, nachdem ein Mädchen seine Aussage zurückgezogen hatte.
Das Erzbistum bestreitet die Häufigkeit der Taten und die behaupteten Folgen. Ende April hatte das Gericht entschieden, dass ein Sachverständiger die Folgen des mutmaßlichen Missbrauchs für die Frau bewerten soll. Eine Bestellung des Experten steht noch aus. Zugleich wies das Gericht in der Vergangenheit darauf hin, dass in der Frage der Anzahl von Fällen eine strenge Beweispflicht gelte. Der Täter sei strafrechtlich nur für vier Fälle verurteilt worden, von denen nur zwei im kirchlichen Kontext stattfanden.
Welche Schuld trägt das Erzbistum?
In dem Prozess geht es auch um die Frage, ob das Erzbistum für die Taten ehrenamtlicher Messdiener haftet. Bereits im März hatte das Landgericht deutlich gemacht, dass ein Ministrant als Gruppenleiter eine Art Verwaltungshelfer und damit gewissermaßen ein verlängerter Arm des Bistums sei. Zudem betreffe seine Tätigkeit den Kernbereich der Gemeinde und damit des Erzbistums, das als Verwaltungsstruktur dahinter stehe. Die Erzdiözese vertritt die Auffassung, dass der Gruppenleiter kein Amt in der Diözese bekleidet habe und sie deshalb nicht für dessen Taten haften müsse.
Das Erzbistum als Prozessbeteiligter hatte am Dienstag auch den Täter zu einer Zeugenaussage bestellt. Dieser erschien zwar vor Gericht, machte jedoch von seinem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch und wurde umgehend vom Gericht entlassen. (kna)