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Interview

Suizidexpertin aus Köln
„Von ersten Suizidgedanken bis zur Tat vergehen oft nur 180 Minuten“

3 min

Das Durchschnittsalter von Suizidgefährdeten steigt. 

Die Kölner Suizidexpertin Prof. Barbara Schneider spricht im Interview über nötige Hilfe für Suizidgefährdete und verrät: Auf diese Warnzeichen müssen wir achten.

Das Durchschnittsalter bei Suiziden steigt immer weiter. Im Interview spricht die Kölner Chefärztin Prof. Barbara Schneider darüber, was die Suizidprävention dringend braucht.

Frau Professor Schneider, welche Warnsignale für Suizidgefahr sollte jeder kennen?

Das kann zum einen die direkte Ankündigung eines Suizids sein, zum anderen kann ein Warnsignal aber auch jede sehr ungewöhnliche Änderung des Verhaltens sein. Manche Menschen agieren impulsiv und rücksichtslos, andere bringen ihre Hoffnungslosigkeit zum Ausdruck. Andere werden ganz ruhig, ihnen geht es offensichtlich besser, und kaum jemand ahnt, dass ihr Entschluss zum Suizid schon feststeht.

In der Suchtprävention geht man davon aus, dass Suizide vermeidbar sind.

Hilfe bei Suizidalität ist möglich. Jeder Mensch, der Hilfe braucht, soll diese Hilfe schnellstmöglich bekommen. Wichtig ist, dass Angebote niederschwellig sein müssen und von Expertinnen und Experten der Suizidprävention angeboten werden. Man geht davon aus, dass von den ersten Gedanken an den Suizid bis zur Tat in den meisten Fällen nur 180 Minuten vergehen. Deshalb muss Hilfe vor allem zeitnah erfolgen. Deshalb setze ich mich auch im Nationalen Suizidpräventionsprogramm (NaSPro) dafür ein, dass in Zukunft eine leicht erreichbares Hilfetelefon zur Suizidprävention auch rund um die Uhr zu erreichen ist. Zusätzlich zu einem ersten Gesprächsangebot muss es aber auch Hilfen vor Ort geben.

Sind wir damit in Köln ausreichend ausgestattet?

Köln hat ein eigenes, ehrenamtlich arbeitendes Netzwerk zur Suizidprävention, „Überlebenswert“, auf dessen Webseite man Hilfsangebote zur Bewältigung individueller Krisen und entsprechende Institutionen finden kann. Zudem haben alle psychiatrischen Kliniken in Köln eine Notfallambulanz, die rund um die Uhr besetzt ist.

Prof. Barbara Schneider, LVR-Klinik

In Deutschland befindet sich die Zahl der Suizide weiterhin auf einem hohen Niveau, mehr als 10.000 Menschen nehmen sich pro Jahr das Leben. Was sind ihre Beobachtungen in Köln?

Wir beobachten mit Sorge, dass das vor allem das Durchschnittsalter bei den Suiziden immer weiter steigt. 2023 war das durchschnittliche Alter bei Frauen bundesweit 64 Jahre, bei Männern lag es bei 60 Jahren. Vor allem ältere Männer sind schwer zu erreichen in der Prävention, wir beobachten, dass Frauen in Krisen sich öfter Hilfe suchen. 

Was sind denn sogenannte Risikofaktoren?

Zu den individuellen Risikofaktoren gehören psychische Erkrankungen, wie Depressionen oder Bipolare Störungen, sowie Suchterkrankungen. Aber auch psychische Krisen und Konflikte, etwa eine schwere Trennung, Einsamkeit oder drohender Existenzverlust, kann suizidale Gedanken hervorrufen. Das zieht sich durch alle gesellschaftlichen Schichten. Kinderlose und unverheiratete Menschen haben nachweislich ein größeres Risiko. Studien haben belegt, dass mit steigender Kinderzahl das Risiko für einen Suizid bei Frauen sinkt. Schwere Erkrankungen erhöhen das Suizidrisiko auch, bei Menschen mit zum Beispiel einer Krebserkrankung steigt es auf das Doppelte.

Was braucht die Suchtprävention?

Weiterhin passiert wenig, wenn es um die Verfügbarkeit von Suizidmitteln geht. Das Netzwerk NaSPro fordert schon lange eine bessere Brückensicherung, Sicherung von Gebäuden sowie Autobahnen. Zudem machen wir uns stark für ein Suizidpräventionsgesetz. Noch immer ist die Finanzierung der Suizidprävention unzureichend, auch auf kommunaler Ebene. Das Ehrenamt bei Hilfsangeboten ist oftmals sehr wirkungsvoll und ohne Ehrenamtler würde die Arbeit nicht funktionieren. Aber Hilfen bei Suizidalität können nicht vorwiegend auf ehrenamtlicher, projektbasierter, unterfinanzierter Basis beruhen. 

Was kann ich als Angehöriger eines Suizidgefährdeten tun?

Es ist nachgewiesen, dass eine direkte Ansprache in diesem Fall immer hilfreich ist. Viele Menschen sind erleichtert, dass sie die Möglichkeit haben, über ihre Suizidgedanken zu sprechen. Angehörige sollten die Betroffenen ermutigen, professionelle Hilfe anzunehmen oder anzubieten, sie dorthin zu begleiten. In der LVR-Klinik beraten wir auch Angehörige, da sie meist sehr involviert sind.