Erzbistum unter DruckWas die kirchenrechtliche Untersuchung für Köln bedeutet

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Generalvikar Hofmann

Generalvikar Dr. Markus Hofmann 

Köln – Der Finanzdirektor des Kölner Erzbistums soll kreidebleich geworden sein. Als Weihbischof Rolf Steinhäuser, derzeit Apostolischer Administrator, also Leiter des Erzbistums Köln, anordnete, alle Kosten im Zusammenhang mit der unabhängigen Untersuchung zum Umgang mit Fällen sexualisierter Gewalt zusammenzustellen, wurde klar: Die Beträge, die sich teilweise aus Einzelrechnungen ergaben, waren viel zu hoch, als dass die Bistumsleitung sie ohne Zustimmung von Aufsichtsgremien hätte ausgeben dürfen. Die aber hatte sie nicht eingeholt.

Der in Münster lehrende Kirchenrechtler Thomas Schüller fasst die Lage zusammen: Dem Finanzchef blieb keine andere Wahl als die Selbstanzeige in Rom. Steinhäuser meldete den Vorgang der Bischofskongregation. Der frühere Generalvikar und heutige Delegat Markus Hofmann bot seinen Rücktritt an, den Rom aber einstweilen ablehnte. Was war genau geschehen?

Wie hat das Erzbistum die Kosten finanziert?

2,8 Millionen Euro hat das Erzbistum im Zusammenhang mit der „unabhängigen Untersuchung“ ausgegeben – deutlich mehr als die 1,5 Millionen, die bisher an Betroffene flossen (wir berichteten). Laufende Kirchensteuermittel wollte Erzbischof Rainer Maria Kardinal Woelki nicht dafür heranziehen. Also griff er auf den „Fonds für Bedürfnisse des Bistums“, kurz BB-Fonds, zu (siehe Infokasten). Auch die sechs Millionen Euro, die das Erzbistum für künftige Leistungen an Betroffene zurückgestellt hat, wurden dem BB-Fonds entnommen.

Kann der Erzbischof über Geld einfach verfügen?

Nein, und das ist der Grund für die Selbstanzeige und eine von Steinhäuser veranlasste Prüfung durch zwei Kirchenrechtler, deren Namen das Erzbistum nicht nennt. Zwar entscheidet der Erzbischof, wofür er das Geld aus dem BB-Fonds verwenden möchte. Aber dafür gelten kirchenrechtliche Vorgaben. Unisono zitieren Kirchenrechtler Schüller und Christine Weyand von der Pressestelle des Erzbistums die „Partikularnorm 18“ der Deutschen Bischofskonferenz: Sie zählt den „Abschluss von Kauf- und Werkverträgen sowie den Erwerb von Grundstücken, soweit der Wert von 500 000 Euro im Einzelfall überschritten ist“, zu den „Akten der außerordentlichen Vermögensverwaltung“ im Sinne des kirchlichen Gesetzbuchs (Kanon 1277).

Für solche Ausgaben muss der Bischof die Zustimmung zweier Gremien einholen: Vermögensverwaltungsrat – in Köln maßgeblich mit fachkundigen Laien aus dem Kirchensteuer- und Wirtschaftsrat besetzt – und Konsultorenkollegium. Dieses Kollegium ist in allen deutschen Bistümern identisch mit dem Domkapitel.

Und es ist unerheblich, welche Körperschaft betroffen ist – der „erzbischöfliche Stuhl“, das Domkapitel oder das Bistum selbst, das erst seit 1958 als Körperschaft des öffentlichen Rechts agieren kann. Schüller: „In allen Fällen geht es um Bistumsvermögen.“ Die Missachtung der Genehmigungspflicht sei ein „schwerer Verstoß“ gegen Kirchenrecht. Die vom Erzbistum veranlasste Prüfung soll möglichst bis Jahresende abgeschlossen sein.

So hätte auch Bischof Franz Peter Tebartz-van Elst in Limburg seinerzeit beim Bau seiner Residenz nicht ohne Zustimmung von Gremien über Vermögen seines „bischöflichen Stuhls“ verfügen dürfen. Der Kölner Finanzdirektor kennt das alles sehr gut – er war früher in gleicher Funktion in Limburg mit der Aufklärung des Tebartz-Desasters befasst. Zu den Kölner Vorgängen will er nicht Stellung nehmen.

Welche Geldausgaben sind betroffen?

Am 13. Dezember 2018 beauftragte das Erzbistum Köln die Münchner Kanzlei Westpfahl Spilker Wastl (WSW) mit der Begutachtung des Umgangs mit Fällen sexualisierter Gewalt. Kosten, wie seit dem Wochenende bekannt ist: 757 500 Euro. Nach der Trennung von WSW kam seit Herbst 2020 die Kölner Kanzlei Gercke Wollschläger zum Zuge, deren Rechnung belief sich auf 516 200 Euro. Zweifellos handelt es sich in beiden Fällen um Werkverträge mit einem Volumen von mehr als 500 000 Euro, also zustimmungspflichtige Geschäfte. Sie sind nach Angaben von Bistumssprecher Christoph Hardt Gegenstand der Selbstanzeige.

Umstritten ist der größte Posten der Aufstellung, die den Finanzchef in solche Nöte brachte: 818 000 Euro für Krisenberatung durch die Leipziger Agentur Ewald + Rössing. Die Gutachten, sagt Professor Schüller, hätte man ja wenigstens noch mit den Zielen des BB-Fonds in Einklang bringen können, bei Krisen-PR sei das nicht mehr der Fall. Rein formal sieht das Erzbistum hier die Bestimmungen aber nicht verletzt, da sich die 818 000 Euro aus einzelnen Honorarzahlungen zusammensetzen und nicht das Entgelt aus einem Werkvertrag sind. Das sieht Schüller anders: „Es zählt das Gesamtvolumen – egal, wie es gestückelt ist.“

Wer trägt die Verantwortung?

Öffentlich genannt hat das Erzbistum nur einen Verantwortlichen: Markus Hofmann, dem als Generalvikar seit 1. Mai 2018 die gesamte Verwaltung und damit auch die Finanzabteilung unterstand. Während der Auszeit von Erzbischof Rainer Maria Kardinal Woelki führt er seine Aufgabe als Delegat weiter, musste aber nun seine Zuständigkeit für Finanzen an seinen Vize Markus Bosbach abgeben. Aber was ist mit dem Erzbischof? Schüller erwartet, dass auch er in den Fokus gerät. Denn letztlich handelten Woelki und Hofmann gemeinsam als „Ordinarius“, oberster Rechtsvertreter des Bistums.

Kirchlich kann der Verstoß gegen Kanon 1277 als Straftat mit Amtsverlust geahndet werden, dazu kommen mögliche Forderungen nach Wiedergutmachung. „Aber die Strafe liegt im Ermessen des Papstes“, sagt Schüller.

Wird der Papst den Kardinal also absetzen? „Schwer zu sagen“, meint Schüller, verweist aber darauf, dass der Erzbischof von Köln zu den „top five“ im Weltepiskopat zähle: „Wie sollte der Papst Woelki anders einsetzen – noch 15 Jahre lang?“

Grundsätzlich hält er auch eine Prüfung nach staatlichem Strafrecht für möglich. In Limburg hatte die Staatsanwaltschaft ihre Ermittlungen wegen Untreue allerdings 2015 eingestellt – ein Vorgang, den Kirchenrechtler Schüller ebenso wie viele Strafrechtler kritisiert.

Wie sieht die Rolle des Domkapitels aus?

Bleibt eine Frage: Die Auftragsvergabe an WSW und Gercke war ja öffentlich bekannt. Hätte das Domkapitel als „Konsultorenkollegium“ nicht mal nachhaken können?

Dazu Dompropst Guido Assmann: „Das Konsultorenkollegium hat keinen Einblick, welche Rechtsgeschäfte das Erzbistum Köln eingeht. Es ist kein Aufsichtsgremium und hat keine Überwachungs- und Kontrollfunktion.“ Auch er verweist auf den von der Bischofskonferenz 2002 festgelegten Grenzwert von 500 000 Euro bei Werkverträgen, aber er fasst zusammen: „Das Konsultorenkollegium und der Vermögensrat befinden, jeweils selbstständig, über die Rechtsgeschäfte, die ihnen zur Beratung vorgelegt werden.“

Da liegt Assmann juristisch richtig, bestätigt Schüller: „Die Bringschuld liegt bei der Bistumsleitung.“ Allerdings würde er sich – wie einst in Limburg – mehr Courage von den Domkapitularen wünschen. Aber zu eigenen Nachprüfungen verpflichtet sind sie nicht.

Rücklage aus früheren Jahrzehnten: Der BB-Fonds

In den 1950er und 1960er Jahren ließ Josef Kardinal Frings aus Abgaben von Priestern den „Fonds für Bedürfnisse des Bistums“ (BB-Fonds) zusammentragen. „Zweck des Fonds ist die ideelle und materielle Förderung besonderer kirchlicher Bedürfnisse und Anliegen im Erzbistum Köln“, so das Erzbistum. Im Finanzbericht ist er nicht gesondert aufgeführt, sondern Teil der insgesamt 221 Millionen Euro „Sonderposten aus zweckgebundenem Vermögen“ – immerhin 5,5 Prozent der Bilanzsumme von vier Milliarden Euro.

16,8 Millionen Euro umfasste der BB-Fonds Ende 2020, Anfang des gleichen Jahres waren es 26,3 Millionen, noch ein Jahr früher 26,4 Millionen. Vor allem aus Wertpapiererträgen eingenommen hat der Fonds in dieser Zeit, seit Anfang 2019, 1,5 Millionen Euro. Dem standen erhebliche Abgänge gegenüber: die „Zahlungen in Anerkennung des Leids und Therapiekosten“ einschließlich der Rückstellung von sechs Millionen Euro, die 2,8 Millionen Euro für Gutachten, Rechts- und Krisenberatung sowie 2,3 Millionen Euro für die „Kölner Hochschule für Katholische Theologie“. Das ist die frühere Hochschule der Steyler Missionare in Sankt Augustin, die das Erzbistum übernommen hat.

Alle deutschen Bistümer legen Wert darauf, dass Anerkennungsleistungen und Zahlungen für Therapiekosten bei Missbrauchsbetroffenen nicht aus Kirchensteuereinnahmen finanziert werden. Das Bistum Aachen etwa – mit 970 000 Katholiken halb so groß wie das Kölner Nachbarbistum – hat bislang 800 000 Euro an Betroffene gezahlt und weitere zwei Millionen Euro zurückgestellt. Eine dem BB-Fonds vergleichbare Vermögensmasse stand nicht zur Verfügung. Das Geld soll vielmehr nach und nach durch einen Solidarfonds aufgebracht werden, der sich aus Vermögenserträgen speist und (zu einem kleineren Teil) aus Spenden von Geistlichen – auch von Bischof Helmut Dieser selbst. Das für das Bistum Aachen erarbeitete Gutachten der Münchner Kanzlei Westpfahl Spilker Wastl (WSW) hat eine halbe Million Euro gekostet. (rn)

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