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Liefern statt labernSechs Thesen zu den Stichwahlen in NRW

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Düsseldorf: Bundeskanzler Friedrich Merz (vorne, rechts) steht beim Gruppenbild mit den gewählten CDU-Bürgermeistern neben Ministerpräsident Hendrik Wüst. (vorne, links). Nach den Stichwahlen bei den Kommunalwahlen in Nordrhein-Westfalen hat Bundeskanzler Friedrich Merz Landespartei besucht.

Düsseldorf: Bundeskanzler Friedrich Merz (vorne, rechts) steht beim Gruppenbild mit den gewählten CDU-Bürgermeistern neben Ministerpräsident Hendrik Wüst. (vorne, links). Nach den Stichwahlen bei den Kommunalwahlen in Nordrhein-Westfalen hat Bundeskanzler Friedrich Merz Landespartei besucht.

Groß waren die Sorgen vor einem erneuten Erstarken der AfD in Nordrhein-Westfalen. Doch die Stichwahl im Land hat nicht nur in diesem Bereich vorerst für Entwarnung gesorgt. Zudem zeichnen sich klare Präferenzen der Wähler in Sachen Wahlkampf ab.

Am Tag nach den Stichwahlen in Nordrhein-Westfalen suchten die Landesparteien den Abglanz der Sieger und hielten ihre Verlierer auf Distanz. Der lokale Einzelfall wurde zur NRW-weiten Regel erklärt und umgekehrt. Welche Erkenntnisse lassen sich aber wirklich aus der Gesamtheit der 148 Entscheidungen über Oberbürgermeister, Bürgermeister und Landräte gewinnen? Dazu sechs Thesen:

Tatsächliche Bürgernähe punktet

Die unendlichen Möglichkeiten der sozialen Netzwerke hatten manche Kommunalpolitiker zum Trugschluss verleitet, der Bürgerkontakt ließe sich heute auf dem digitalen Dienstweg erledigen. Ein paar flott geschnittene Filmchen hochladen, einen selbstbewussten Hochglanz-Klon ins Netz schicken? Weit gefehlt! Unabhängig von der Parteizugehörigkeit waren NRW-weit Oberbürgermeister erfolgreich, die sich für keinen Ortstermin zu schade sind. Nur wer nahbar bleibt und sich wirklich kümmert, wird (wieder-)gewählt. Die Bürger haben da ein feineres Gespür, als viele selbsternannte Strategen in den Parteizentralen oft glauben machen wollen. Der gelegentlich rustikal formulierende und deshalb so beliebte Duisburger SPD-OB Sören Link hatte im Wahlkampf gesagt: „Ich habe keine Lust, verarscht und beschissen zu werden.“ Gleiches gilt augenscheinlich auch fürs Wahlvolk.

Liefern statt labern

Gewiss, die Gestaltungsspielräume in der Kommunalpolitik sind eng. Das Geld ist knapp, Bund und Land mit ihrer Gesetzgebungskompetenz sitzen immer am längeren Hebel. Doch die Bürger wollen erkennbar keine Volksvertreter, die immerzu höhere Verantwortlichkeiten beklagen und die eigene Ohnmacht zelebrieren. Wer vor der eigenen Tür kehrt, im Kleinen etwas bewegt und dann gezielt in Düsseldorf oder Berlin auf Unterstützung pocht, wird in der Regel mit Vertrauen belohnt. PR-Mätzchen werden leichter durchschaut als früher. Die Zahl der Wechselwähler wird dabei immer größer: In Zeiten abnehmender Parteienbindung sind die Bürger auf Kommunalebene inzwischen prinzipiell für jeden Kandidaten ansprechbar – und zugleich viel ungeduldiger als noch vor 15 Jahren. Der Wechsel wird so zum Normalfall.

Es kommt auf die Wirtschaft an

Die fast 35 Jahre alte Einschätzung des früheren US-Präsidenten Bill Clinton, dass am Ende die Wirtschaftslage Wahlen entscheidet, bewahrheitet sich auch an Rhein und Ruhr. Neben den sozialen Folgen einer lange als ungesteuert wahrgenommenen Migration treiben die Bürger im dritten Jahr der Rezession vor allem Job-Angst und ökonomische Sorgen um. Das zeigen Nachwahlbefragungen. Kandidaten mit Kompetenzvermutung in Wirtschaftsbelangen werden offenbar eher gewählt. Für die Landesebene Richtung 2027 verheißt das wenig Gutes: Weder die regierende Wüst-CDU noch die SPD-Opposition in NRW verfügen über bekannte Figuren, denen wirtschaftlicher Sachverstand zugetraut wird. Verkehrs- und Wirtschaftsressort liegen in Düsseldorf in der Hand der Grünen. Und der bekannteste Wirtschaftsexperte der NRW-CDU, ein gewisser Sauerländer namens Friedrich Merz, muss im von ihm ausgerufenen „Herbst der Reformen“ endlich die Erwartungen seiner Unterstützer erfüllen.

Der Trend täuscht

Was sollte die Kommunalwahl in NRW nicht alles sein? Stimmungstest für die schwarz-rote Bundesregierung. Barometer der Wüst-Begeisterung in NRW. Sargnagel für die deutsche Sozialdemokratie. Westwanderung der AfD. Am Ende zeigt sich aber eher zweierlei. Erstens: Die blaue Welle an den Rathaus-Spitzen ist ausgeblieben, weil die große Mehrheit derjenigen, die noch zu Stichwahlen gehen, nicht dem Untergangsgetöse der AfD glaubt. Zweitens: Eine Kommunalwahl bleibt eine Kommunalwahl ist keine vorweggenommene Landtagswahl oder nachgelagerte Bundestagswahl. Die Ergebnisse folgen keinem einheitlichen Trend, sondern lokalen Typen und Themen. So kann die CDU das „rote“ Bielefeld und Dortmund gewinnen, die SPD dafür Köln, Mülheim und Oberhausen zurückerobern. In Wuppertal gewinnt eine SPD-Newcomerin, in den Landkreisen fühlen sich die Menschen bei CDU-Amtsinhabern mehrheitlich gut aufgehoben.

Jung und gar nicht naiv

Erst standen die Jungwähler im Verdacht, blind einer Klima-Ikone wie Greta Thunberg zu folgen und nichts mehr im Blick zu haben als „Fridays for Future“. Dann wiederum wurde die Gefahr an die Wand gemalt, Tiktok & Co vernebelten der Jugend die Sinne für rechtsextreme Gefahren und machten sie anfällig für die AfD. Die Demoskopie zeigt nun: Die Gruppe der 16- bis 24-Jährigen wählte mehrheitlich CDU und SPD, erst danach Linkspartei und Grüne. Hier die gar nicht so gewagte These: Unter einem guten Leben dürften junge Leute nichts anderes verstehen als ihre Eltern und Großeltern. Job, Familie, Wohnung, Freunde, Freizeit, Miteinander. Wer seine Politik glaubhaft daran ausrichtet, gewinnt Wahlen.

Ideologie adé

Auf kommunaler Ebene wird die Gruppe von Menschen immer kleiner, die sich einem „Lager“ fest zugehörig fühlt. Vor allem die Grünen mussten das schmerzhaft erfahren. 2020 konnten sie noch die ersten Oberbürgermeister-Posten in Bonn, Aachen und Wuppertal erobern und wurden in Köln zur führenden politischen Kraft. Daraus erwuchsen Volkspartei-Träume und die Fehlannahme, es wäre nur eine Frage der Zeit, bis halb NRW grün tickt. Nun zeigt sich: Das wohlhabende, akademische, urbane Milieu, das weltanschaulich unerschütterlich an die Öko-Partei gebunden ist, bleibt auf einige wenige Viertel oder eine studentische Ausnahme-Stadt wie Münster beschränkt. Der Rest guckt sich kritisch an, ob ihnen dieser Radweg oder jenes Windrad wirklich passt.