Forsa-Chef Güllner im Interview„Die Leute geben nicht zu, dass sie Nichtwähler sind“

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Güllner

Forsa-Chef Manfred Güllner 

Im letzten NRW Check aus Ihrem Haus zehn Tage vor der Landtagswahl lagen CDU und SPD noch vier Prozentpunkte auseinander, bei späteren Umfragen von Mitbewerbern waren es noch weniger – jetzt sind mehr als neun Punkte Abstand herausgekommen. Woher kommen so große Abweichungen?

Zehn Tage vor der Wahl war die Veröffentlichung, die Zahlen wurden noch einige Tage früher erhoben – das hatten wir auch ausgewiesen, und wir hatten klargestellt, dass sich da noch einiges ändern kann. Wir haben übrigens vor allem aus methodischen Gründen intern letzte Woche nochmal nachgefragt und gesehen, dass der Abstand größer wurde. Die CDU hat ihr Potenzial voll ausgeschöpft: Alle, die bei der Bundestagswahl CDU gewählt haben, haben es wieder getan. Die Stimmenzahl ist genau die gleiche geblieben. Alle anderen Parteien, haben weniger Stimmen bekommen als vor acht Monaten bei der Bundestagswahl und die Grünen auch weniger als bei der letzten Europawahl. Gerade bei der SPD sind viele frühere Wähler zu Hause geblieben. Wir haben einen enormen Anteil von Nichtwählern: 5,82 Millionen Wahlberechtigte haben nicht gewählt. Das ist eine höhere Zahl als die der Wähler von CDU, SPD und Grüne zusammen, nämlich 5,76 Millionen. Das ist eine Unmutsäußerung, mit der man sich beschäftigen muss, vor allem bei der SPD.

Wie weit können Sie dieses Phänomen Wahlenthaltung überhaupt in Sonntagsfragen einpreisen?

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Zur Person

Prof, Manfred Güllner (80) ist Gründer und Geschäftsführer des Forsa-Instituts in Berlin. Sein Unternehmen hat für die NRW-Regionalzeitungen, darunter die Rundschau, vor der Landtagswahl den „NRW Check“ in fünf Studienwellen durchgeführt. (EB)

Das ist unsere große Schwierigkeit gerade bei regionalen und kommunalen Wahlen. Die Leute geben nicht zu, dass sie Nichtwähler sind, sie definieren sich auch nicht so, sondern sehen sich eher als Wähler auf Urlaub. In Umfragen sagen sie dann, sie wählen diese oder jene Partei, aber nicht etwa, sie wollten nicht wählen. Wenn also die Leute, die in Umfragen SPD nennen, auch zur Wahl gegangen wären, anstatt aus Unzufriedenheit mit der NRW-SPD zu Hause zu bleibe, dann hätten sie auch SPD gewählt. Das haben sie aber nicht getan. Ich habe früher bei infas gearbeitet, und wir haben 1970 eine Nichtwählerstudie gemacht. Wir haben also wirklich in Wählerverzeichnissen nachgeschaut, wer nicht zur Wahl erschienen ist, und die Leute haben wir befragt. Die Hälfte von ihnen hat uns gesagt, sie hätten gewählt. Sie haben also auch nach der Wahl nicht zugegeben, dass sie nicht hingegangen sind. Ich habe so etwas auch später versucht – es bleibt eine große Unschärfe bei Vorwahlumfragen.

Gibt es auch andere Dinge, die Leute nicht zugeben wollen?

Es gibt da nur noch die Gruppe der Rechtsradikalen, wo wir eine Untererfassung haben. Hartgesottene Rechtsextremisten lassen sich ohnehin nicht befragen, andere geben es nicht zu. Bei der AfD hat sich das allerdings geändert, die Leute geben ihre Wahlabsicht eher zu.

Am Wahlabend gingen die Hochrechnungen für die CDU in dem Moment nach oben, in dem die Briefwahlergebnisse reinkamen. Und die waren ja schon länger im Kasten. Dann war die CDU-Mobilisierung doch nicht nur ein Phänomen der letzten Tage?

Die CDU hat in der Tat ihre Anhänger relativ früh versammelt. Wir haben auch im letzten Bericht darauf hingewiesen, dass der Briefwähleranteil bei der CDU besonders hoch ist – während AfD-Anhänger eigentlich überwiegend im Wahllokal wählen. Die CDU hatte also früh mobilisiert, die SPD ist zuletzt immer weiter abgesackt.

Dabei lagen CDU und SPD Anfang April noch gleichauf. Damals haben Sie gesagt, die Bundes-SPD ziehe die NRW-Genossen nach oben. Was sagt dann das jetzige Wahlergebnis für die Bundespartei?

In der Tat hatten wir damals einen Mobilisierungsschub ausgehend von der Saar-Wahl – bundesweit, besonders in NRW, überdurchschnittlich im Ruhrgebiet. Das führte zu der Pattsituation, aber der Saarland-Effekt ist schnell verebbt, so dass auch Bundeskanzler Olaf Scholz keinen positiven Einfluss mehr für die NRW-SPD haben konnte.

Aber ein negativer war es auch nicht?

Nein, das ist Quatsch. Weder Scholz noch CDU-Chef Friedrich Merz hatten großen Einfluss auf das Ergebnis, aber Scholz gab der NRW-SPD auch keinen Auftrieb mehr.

Bei den Grünen kamen die Vorwahlumfragen zu ganz ähnlichen Werten wie dann im Wahlergebnis. Ist das Wählerpotenzial da stabiler?

Bei den Grünen haben Sie dieses Nichtwählerproblem nicht. Die Leute, die uns in der Umfrage sagen, sie würden grün wählen, die gehen dann auch hin. Aber die Grünen haben weniger Stammwähler als andere Parteien, viele entscheiden sich bei einer Wahl für sie und bei der nächsten nicht.

Und warum ist die FDP auf den letzten Metern so abgeschmiert?

Die FDP hat erst recht kaum Stammwähler. Nicht einmal einen kleinen Kern wie die Alt-Grünen, die immer grün wählen werden, egal was passiert. Die FPD hat eher Treibsandwähler. Sie ist auch bundesweit im Abwind. CDU-Anhänger, die aus Laschet-Frust zur FDP gewandert sind, bleiben nicht da. In NRW hatten wir auch einen hohen Anteil taktischer Wähler, denen es diesmal am wichtigsten war, dass Hendrik Wüst Ministerpräsident bleibt – wichtiger als die Rettung von Schwarz-Gelb.

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