US-Präsident Donald Trump empfängt den russischen Staatschef Wladimir Putin in Alaska. Was könnte dabei herauskommen? Was meint er mit einem möglichen Gebietstausch im Ukraine-Krieg? Und finden die Bedenken der europäischen Verbündeten gegen solche Zugeständnisse Gehör? Fragen an den Sicherheitsexperten Nico Lange.
Gipfel in AlaskaWeiß Trump überhaupt, worüber er mit Putin spricht, Herr Lange?

Berater waren entsetzt: Trump und Putin bei ihrem Gipfeltreffen in Helsinki 2018.
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Herr Lange, am Mittwoch soll es ja ein einigermaßen freundliches Gespräch europäischer Staats- und Regierungschefs mit US-Präsident Donald Trump gegeben haben. Wird das etwas bei ihm auslösen, wird er bei seinem Treffen mit Wladimir Putin die europäischen Vorstellungen beim Thema Ukraine berücksichtigen?
Die Bilanz ist zwiespältig. Es ist zweifellos ein Erfolg für Friedrich Merz, dass er alle so zusammengeholt hat, dass Trump selbst teilgenommen hat und dass man die Möglichkeit hatte, die europäische Position noch mal vorzutragen. Andererseits: Die Europäer sind in Alaska nicht mit am Tisch. Trump macht, was er für richtig hält, und wenn er am Mittwoch freundlich auftrat, heißt das noch lange nicht, dass er sich so verhält, wie die Europäer es sich vorstellen. Und die große Schwäche dieses Treffens war doch, dass die Europäer selbst überhaupt nicht gesagt haben, was sie eigentlich bereit sind zu tun. Sie bitten nur Trump um etwas. Aber was sie selbst machen wollen, um Putin zum Frieden zu drängen, ist nicht klar. Das ist dann eher eine schwache Position.
Die Europäer fordern Sicherheitsgarantien für die Ukraine. Wie kann man sich die vorstellen?
Ein gutes Beispiel, jeder versteht unter Sicherheitsgarantien etwas anderes. Franzosen und Briten verstehen darunter eine europäische Militärpräsenz in der Ukraine. Deutschland versteht darunter bisher in erster Linie die Ausstattung der ukrainischen Streitkräfte. Die Europäer können also gar nicht sagen, was sie im Moment eines Waffenstillstands gemeinsam machen würden. Das ist ihre große Schwäche, denn Trump erwartet, dass die Absicherung eines solchen Waffenstillstands und eventuelle Sicherheitsgarantien von den Europäern geleistet werden. Die Europäer sind sich in diesen wesentlichen Fragen nicht einig.
Trump war auch schon einmal Präsident, es gab ein Gipfeltreffen in Helsinki vor einigen Jahren, und nach dem langen Gespräch war Trump verwirrt ob der vielen Details und der Dinge, die Putin von ihm wollte.
Trump spricht von einem Gebietstausch mit den Russen. Wenn wir uns an seinen konfusen Auftritt am Montag erinnern – weiß er eigentlich, über was er mit Putin reden will? Kennt er die geografischen Fakten?
Trump hat sein eigenes Verständnis der Dinge. Er redet von Grundstücken mit Seezugang und derlei. Details interessieren ihn nicht wirklich, darüber sollen andere sprechen, er sieht sich für die großen Linien zuständig. Dabei machen Details gerade im Fall der Ukraine einen großen Unterschied. Wir kennen Putin seit 25 Jahren. Trump war auch schon einmal Präsident, es gab ein Gipfeltreffen in Helsinki vor einigen Jahren, und nach dem langen Gespräch war Trump verwirrt ob der vielen Details und der Dinge, die Putin von ihm wollte. Seine Berater waren entsetzt, herausgekommen ist nichts - ebenso wenig wie bei seinen beiden spektakulären Treffen mit dem nordkoreanischen Diktator Kim Jong Un. Das zweite Treffen mit Kim hat Trump abgebrochen, das nordkoreanische Nuklearprogramm gibt es bis heute. Die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass das Treffen in Alaska genauso verläuft wie diese Treffen und dass sich gar nichts ändert.
Trump hat aber große Versprechungen gemacht vom Frieden, den er erreichen will. Ist da nicht zu befürchten, dass er sich sagt: Ich brauche einen Erfolg, also werde ich Putin irgendwas zusagen und dann meine Partner erpressen, dass sie auch zustimmen?
Das ist ein denkbares Szenario: Trump kommt aus dem Treffen heraus und hat vermeintlich etwas erreicht, die Europäer stimmen aber nicht zu. Dann wird er eingeschnappt sein und kann sich vom Projekt Friedensnobelpreis verabschieden. Er kann die Ukraine und die Europäer nicht einfach zu irgendetwas zwingen, er braucht schon Kooperation. Ein Frieden wie der von Tilsit 1807, als Napoleon und der Zar Europa aufteilten und über Preußen einfach verfügten, den wird es diesmal nicht geben.
Trump könnte aber natürlich sagen, wenn Ihr nicht mitmacht, dann untersage ich, dass US-Waffen an die Ukraine geliefert werden.
Das stimmt. Zwar kaufen die Europäer inzwischen die Waffen in den USA und liefern sie weiter. Trump kann also nicht mehr damit drohen, US-Hilfen zu streichen. Aber Unsicherheit bleibt, zumal Trump seine Politik von heute auf morgen ändern kann. Wahrscheinlich wird Putin aber am Freitag gar nicht mit dem Thema Ukraine einsteigen, sondern Trump tausend Ideen vortragen, wie man zusammenarbeiten könnte. Und zwar so, dass Trump dabei Geld verdienen kann. Wie Trump sich dann verhalten wird, darin liegt ein Risiko. Vielleicht kann man das virtuelle Treffen mit den Europäern auch so verstehen, dass Friedrich Merz und seine Kollegen Trump freundlich, aber bestimmt zu sagen versuchten: Bitte unterschreibe nichts.
Dieser Umstand sagt doch viel. Es gibt den Mythos, Russland werde am Ende immer gewinnen. Die letzten dreieinhalb Jahre beweisen das Gegenteil.
Trump kann die Ukrainer nicht zum Aufgeben zwingen, aber wie lange werden sie noch durchhalten?
Nach dreieinhalb Jahren Krieg verlangt Putin, dass er 29 Prozent der Oblast Donezk als Geschenk bekommt. Er fordert, die Ukrainer sollten von sich aus abziehen, nachdem er es in dreieinhalb Jahren nicht geschafft hat, dieses Gebiet vollständig zu erobern. Und das, obwohl er Teile schon 2014 besetzt hatte. Dieser Umstand sagt doch viel. Es gibt den Mythos, Russland werde am Ende immer gewinnen. Die letzten dreieinhalb Jahre beweisen das Gegenteil. Dennoch hält sich der Mythos, Russland sei unbesiegbar, und man müsse die Ukraine verlorengeben. Die Ukraine hat gezeigt, dass man Russland standhalten kann. Und die Situation wäre noch ganz anders, wenn die Partner schneller und mehr Hilfe liefern würden.
Wie schätzen Sie aktuell die Lage im nördlichen Donbass ein?
Es gibt dort keine Frontlinien, wie wir sie aus dem Ersten oder Zweiten Weltkrieg kennen. Das ist ein riesiges Gebiet, nicht überall sind Soldaten und Schützengräben. Russland ist es daher gelungen, mit kleinen Gruppen ukrainische Stellungen zu umgehen und recht tief einzudringen, und das nutzt der Kreml auch für eine Informationsoffensive, darin ist er ja sehr gut - in bestem Deutsch formulierte Mitteilungen, die dann bei uns weithin zitiert werden. Tatsächlich bekommen die Ukrainer die Lage aber in den Griff. Nur zeigen die Vorgänge bei Dobropillja, dass die Ukrainer personell unterbesetzt sind – daher die Lücken – und sich stark auf Drohnen verlassen. Wenn die Russen durch die Zone mit den Drohnen durchkommen, haben sie erst einmal freie Bahn. Ein großer Durchbruch, von dem da fabuliert wurde, war das trotzdem nicht. Da war keine Panzerarmee im Hintergrund, die nachgestoßen wäre und durch die Lücke bei Dobropillja bis Kiew hätte fahren können.
Weil wir uns nicht klarmachen, wer Putin wirklich ist, fließt auch die Hilfe an die Ukraine nicht in dem Ausmaß, das nötig wäre.
Immerhin erobern Putins Truppen Monat für Monat ein paar hundert Quadratkilometer ukrainisches Gebiet und setzt zugleich auf eine Zersetzungsstrategie gegenüber westlichen Staaten. Das könnte doch funktionieren, auch wenn es rein militärisch für Putin nicht klappt, oder?
Putin profitiert von einem Widerspruch, der vielen Leuten nicht bewusst ist. Einerseits hat er kein Problem damit, militärische Gewalt anzuwenden und viele Opfer, auch den Tod vieler russischer Bürger, in Kauf zu nehmen. Diese Gewaltbereitschaft verschafft ihm einen Vorteil, er wird so weitermachen, und deshalb ist er gefährlich. Gleichzeitig gibt es gerade in Deutschland viele Menschen, die glauben, Putin sei doch ganz vernünftig, man müsse ihn nur besänftigen, man könne sich am Ende mit ihm einigen dann werde er mit der Gewaltanwendung aufhören. Dieses Bild hält sich bei uns, obwohl hier ein gewaltbereiter Diktator Menschen in den Fleischwolf wirft und seine Linie kompromisslos weiterverfolgt. Weil wir uns nicht klarmachen, wer Putin wirklich ist, fließt auch die Hilfe an die Ukraine nicht in dem Ausmaß, das nötig wäre.
Könnte andererseits Putin selbst an Grenzen stoßen? Sein Land hat gerade mal so viele Einwohner wie Deutschland und Frankreich zusammen und eine relativ kleine Volkswirtschaft …
Militärisch kann er nicht gewinnen, aber er versucht, so lange Krieg zu führen, bis es sowohl in der Ukraine als auch bei den Partnern politische Veränderungen gibt. Also etwa bis in Deutschland die AfD gewinnt, in Frankreich Le Pen und in anderen Ländern ähnliche Kräfte. Wenn er das schaffen würde, hätte er in Europa politisch gewonnen. Darauf hofft er, deshalb führt er den Krieg weiter.
Wenn Putin sich eines Tages auf eine Waffenruhe einließe, was wären dann die Folgen?
Es gibt zwei Risiken. Erstens, wird es wirklich ein Waffenstillstand oder nur ein Krieg mit geringerer Intensität? So war es nach den beiden Minsker Abkommen, die nie wirklich einen Waffenstillstand gebracht haben. Wer soll den Waffenstillstand überwachen? Da kommen erhebliche Aufgaben auf die Europäer zu. Risiko Nummer zwei: Russland hat erhebliche Ressourcen in den Krieg umgeleitet. Es produziert zum Beispiel Tausende Drohnen im Monat. Wenn die nicht mehr auf die Ukraine abgeschossen werden, könnte man sie einlagern, um sie später auf andere europäische Städte abzuschießen. Das, was Putins Kriegswirtschaft herstellt, würde also akkumuliert, um es später möglicherweise gegen die baltischen und andere nordeuropäische Staaten einzusetzen. Beides, die Überwachung eines Waffenstillstandes und die schon jetzt akute Bedrohung im Ostseeraum, würden dann Themen bleiben.

Nico Lange, Senior Fellow der Münchner Sicherheitskonferenz
Copyright: Nico Lange
Nico Lange ist Senior Fellow der Münchner Sicherheitskonferenz. Zuvor war er unter anderem Leiter des Leitungsstabes im Bundesverteidigungsministerium (bis 2022).