Interview mit Friedrich Merz„Es geht um Krieg oder Frieden“

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Friedrich Merz Porträt

Friedrich Merz (CDU)

Keine Klarheit bei der Unterstützung der Ukraine, keinen Plan für den Fall, dass Putin den Gashahn zudreht: CDU-Chef Friedrich Merz wirft der Ampel-Regierung unter Kanzler Olaf Scholz im Gespräch mit Rena Lehmann unentschlossenes Handeln vor. Der 66-Jährige erwartet einen „360-Grad-Blick“ auf die Energieversorgung. 

Herr Merz, ist der Druck, sich nach der Schlappe bei der Bundestagswahl zu erneuern, mit den jüngsten Wahlerfolgen für die CDU aus dem Kessel?

Wir haben mit Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen zwei wichtige Etappenziele erreicht. Wir hatten zwei sehr gute Kandidaten, und wir haben die Wählerinnen und Wähler mehrheitlich erreicht. In der Bundespolitik kommen andere Dimensionen hinzu. Die CDU ist auf einem guten Weg, aber noch nicht am Ziel.

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Die große Gipfelwoche hat Hilfen für die Ukraine und eine Aufrüstung der Nato, aber keine Aussicht auf ein Ende des Krieges gebracht. Wäre mehr möglich gewesen?

Man kann von den drei Gipfeln der EU, der G7 und der Nato nicht erwarten, dass sie den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine beenden. Putin lässt sich nicht von Gipfeltreffen beeindrucken. Aber sie haben alle eine klare Botschaft an den russischen Präsidenten gesendet und die Einheit der großen Demokratien der Welt unterstrichen.

Unterstützung für die Ukraine, so lange es nötig ist – ist das nicht ein Versprechen der G7, das nicht zu halten sein könnte?

Es gibt im Kreis der Staats- und Regierungschefs offenbar unterschiedliche Auffassungen darüber, was das bedeutet. Wenn der amerikanische Präsident sagt, die Ukraine müsse diesen Krieg gewinnen und der deutsche Bundeskanzler sagt, die Ukraine dürfe diesen Krieg nicht verlieren, dann ist das offensichtlich ein Unterschied in der Einschätzung der Lage. Zur Wahrheit gehört: Hätte die Ukraine allein auf Deutschland warten müssen, wäre das Land heute vollständig in russischer Hand. Ohne die Waffenlieferungen der USA hätte die Ukraine den Krieg längst verloren. Und in einem Teil der SPD scheint man schon darüber nachzudenken, wie man nach dem Krieg wieder mit Putin ins Geschäft kommen kann.

Olaf Scholz hat gesagt, es gebe kein Zurück im Verhältnis zu Russland…

Wir sagen ganz klar: Die Ukraine muss gewinnen. Die russische Aggression muss gestoppt und möglichst weit zurückgedrängt werden. Um Kiew herum ist das der ukrainischen Armee bereits gelungen.

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Auch von der Krim, die Russland seit 2014 annektiert hat?

Die Ukraine hat den berechtigten Anspruch, dass ihre territoriale Integrität als Ganzes wiederhergestellt wird. Das wird sie wahrscheinlich militärisch nicht erreichen können. Aber politisch und diplomatisch ist es das richtige Ziel.

Mitte Juli finden Wartungsarbeiten an der Pipeline Nord Stream 1 statt. Die Bundesnetzagentur warnt davor, dass Russland dann das Gas komplett abdrehen könnte. Für wie realistisch halten Sie diese Befürchtungen?

Wir sollten solche Szenarien durch öffentliche Äußerungen nicht herbeireden. Wenn Russland sich vertragstreu verhält, werden die Lieferungen nach den Wartungsarbeiten wieder aufgenommen. In jedem Fall ist es wichtig, dass nach der Ausrufung der zweiten Alarmstufe durch Bundesminister Habeck nun auch ein konkreter und innerhalb der EU abgestimmter Gasfahrplan folgt. Einen entsprechenden Vorschlag des italienischen Ministerpräsidenten hat der deutsche Bundeskanzler in der letzten Woche aber leider abgelehnt. So wird es wahrscheinlich zu erheblichen Verteilungskonflikten innerhalb der EU kommen – wie 2015 und 2016 bei der Flüchtlingskrise.

Aber wäre es nicht naiv, solche Szenarien nicht anzusprechen?

Wir empfehlen der Bundesregierung seit dem Frühjahr, sich auf alle Szenarien einzustellen. Jetzt ist in der Regierung eine gewisse Hektik ausgebrochen, weil sie eben nicht vorbereitet ist. Eine Strategie, wie und wann konkret wir aus der Abhängigkeit von russischem Gas herauskommen, kann ich im Augenblick nicht erkennen.

Wie müsste die aussehen?

Wir brauchen einen 360-Grad-Blick – bis hin zum Weiterbetrieb der verbliebenen drei Kernkraftwerke, die immerhin zehn Millionen Haushalte in Deutschland zuverlässig mit Strom versorgen. Dazu zählt auch das Wiederhochfahren von sechs Kohlekraftwerken mit allen bedauerlichen Folgen für den CO2 -Ausstoß und der schnellere Ausbau der Erneuerbaren. Im „Osterpaket“ der Bundesregierung werden dagegen Wasserkraft und Biomasse vernachlässigt. Und wir warten noch immer auf die beschleunigten Genehmigungsverfahren.

Wann ist der Punkt erreicht, an dem die Sanktionen uns mehr schaden als Russland?

Die Frage ist doch, ob wir Russland mit den Sanktionen wirklich Einhalt gebieten können. Das ist nur dann der Fall, wenn wir die Geduld haben, die Sanktionen auch sehr lange durchzuhalten. Und dann müssen wir in Kauf nehmen, dass wir selbst Nachteile erleiden. Aber es geht um Krieg oder Frieden und nicht nur um Angebot und Nachfrage.

Wird es weitere Entlastungen für Unternehmen und Verbraucher geben müssen?

Der Staat kann nicht alle Nachteile der aktuellen wirtschaftlichen Entwicklung ausgleichen. Er sollte sich auf die sozial schwachen Haushalte konzentrieren, insbesondere bei der Energieversorgung. Aber er sollte sich davor hüten, Versprechen zu machen, die er nicht einhalten kann.

Die Inflation liegt weiter bei fast acht Prozent. Kanzler Olaf Scholz will mit einer konzertierten Aktion von Arbeitgebern und Arbeitnehmern an diesem Montag gegensteuern. Eine gute Idee?

Eine alte Idee aus den 1960er und 1970er Jahren. Der Bundeskanzler hat sehr hohe Erwartungen geweckt. Er möchte eine Lohn-Preis-Spirale vermeiden, die die Inflation weiter anheizen würde. Dieser Ansatz trifft aber nicht den Kern des Problems. Wenn die Bundesregierung etwas gegen die Inflation tun will, muss sie dafür sorgen, dass die verschuldeten Haushalte von Bund, Ländern und Kommunen konsolidiert werden. Auch die massive staatliche Verschuldung treibt die Inflation. Da liegt das eigentliche politische Problem. Die Bundesregierung kümmert sich um die Symptome, aber nicht um die selbst gesetzten Ursachen des Problems.

Sind die Forderungen der Gewerkschaften nach höheren Löhnen für die unter der Inflation leidende Belegschaft nicht legitim?

Die Politik ist gut beraten, sich aus den Tarifverhandlungen herauszuhalten. Das ist aus guten Gründen eine Sache zwischen Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden. Da braucht keine Seite politische Ratschläge, vor allem keine öffentlichen.

Der Bundesfinanzminister und FDP-Chef Christian Lindner will im nächsten Jahr fast keine neuen Schulden mehr machen. Das wäre dann ganz in Ihrem Sinne…

Dem Haushaltsentwurf fehlt es an Klarheit und Ernsthaftigkeit. Viele Wahlkampfversprechen – Aktienrente, Bürgergeld und Grundsicherung – sind noch gar nicht einpreist. So wird der Eindruck eines soliden Haushalts nur auf dem Papier erweckt. Später folgen dann teure Nachtragshaushalte, um den Koalitionsfrieden wiederherzustellen. Von Zeitenwende, die eine echte Prioritätensetzung erfordert hätte, fehlt jede Spur. Und das Urteil des Bundesverfassungsgerichts, ob die Bundesregierung so mal eben 60 Milliarden Euro an Corona-Kreditermächtigungen in den Klimafonds überführen darf, steht auch noch aus. Wir haben erneut zu hohe Staatsausgaben, obwohl wir uns bei Bund, Ländern und Kommunen auf jährlich eine Billion Steuereinnahmen zubewegen. Auch in einer Krise sollte der Staat mit diesen Rekordeinnahmen im Wesentlichen auskommen. Der Bundeskanzler hat aber offenbar nicht die Kraft, insbesondere seine eigene Partei zu disziplinieren, aus der heraus immer neue Ausgabenwünsche kommen. Wir haben einen sehr gut ausgebauten Sozialstaat, der schon viele Krisen gemeistert hat. Wenn wir jetzt zusätzlich helfen, sollten wir es nicht mit der Gießkanne tun, sondern gezielt. Ich persönlich brauche kein Klimageld und auch keinen Tankrabatt. Die Bundesregierung muss den Pendlern und den unteren Einkommen helfen.

Das 9-Euro-Ticket wird gut genutzt und hat für weniger Staus gesorgt. Sollte es verlängert werden?

Das Ticket kostet den Bund mehr als 2 Milliarden Euro. Aber die Organisation des Personennahverkehrs ist keine Aufgabe des Bundes, sondern der Länder. Der Bund hat ausgeholfen, aber das muss einmalig bleiben. Wichtig für eine verstärkte Nutzung des ÖPNV sind die Erweiterung und die Qualität des Angebots.

Zum Schluss ein anderes Thema: An den Flughäfen herrscht derzeit das Chaos, weil Personal fehlt. War das nicht absehbar?

Die Sicherheit an den Flughäfen ist jedenfalls keine reine privatwirtschaftliche Aufgabe der Flughäfen und der Fluggesellschaften. Ich bin erstaunt, mit welcher Dreistigkeit die Bundesregierung hier jede Verantwortung für die Zustände bei den Sicherheitskontrollen von sich weist. Und ich verstehe nicht, warum die Bundesinnenministerin es ablehnt, aus ihrem Hoheitsbereich Personal zur Verfügung zu stellen. Wir fordern Bundespolizei zum Soforteinsatz an Flughäfen und Bahnhöfen, bis die Urlaubssaison vorbei ist.

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