Interview mit Kardinal Woelki„Man kann nicht auf Probe Bischof sein“

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Kardinal Woelki zeigt mit dem Finger

Kardinal Rainer Maria Woelki, Erzbischof von Köln 

Ein halbes Jahr nach seiner Rückkehr in den Dienst äußert sich Rainer Maria Kardinal Woelki zu den Auseinandersetzungen im Erzbistum und zu seinen Plänen. Raimund Neuß sprach mit ihm.

Herr Kardinal, vor einem halben Jahr haben Sie Ihre Amtsgeschäfte wieder aufgenommen. Administrator Rolf Steinhäuser hatte zuvor ja eine Probezeit vorgeschlagen, die wäre im normalen Arbeitsleben nach einem halben Jahr vorbei. Wie sieht es jetzt für Sie aus?

Zwischen dem Heiligen Vater und mir ist nie von einer Probezeit geredet worden. Daher war ich über das Wort Probezeit auch erstaunt: Man kann nicht auf Probe Bischof sein, so wenig wie man auf Probe leben, lieben und sterben kann.  Ich habe die Zeit nicht als Probezeit empfunden, aber versucht, mit vielen Menschen ins Gespräch zu kommen, und ich habe viele gute Begegnungen gehabt.

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Der Papst hat gesagt, er habe Ihr Rücktrittsgesuch in der Hand. Sie haben ihn ja bei der Kardinalsversammlung gesehen: Gibt es dazu Neues? Hat er das Gesuch inzwischen in den Aktenordner getan?

Wir haben kurz miteinander gesprochen, es war ein schönes und herzliches Gespräch, aber bei einer Versammlung mit 200 Kardinälen kann man sich nicht näher austauschen, und er hat dazu nichts gesagt.

Woelki grübelt

Kardinal Rainer Maria Woelki, Erzbischof von Köln 

Also, wenn meine Vorgesetzen so über mich sprechen würden, dann würde ich hingehen und sagen: Bitte, dann heben wir den Arbeitsvertrag jetzt wirklich auf, es geht nicht mehr.

Ich glaube nicht, dass der Heilige Vater es so gemeint hat, wie es rübergekommen ist. Ich kann es gut verstehen, da bekommt man plötzlich so eine Frage gestellt, bei einem der Interviews war es sogar im Flugzeug. Er wollte nur sagen, er will in Ruhe entscheiden.

Nach Ihrer Rückkehr hörte man zunächst eher optimistische Stimmen – und dann trifft das Thema Aufarbeitung sexualisierter Gewalt Sie und das Erzbistum wieder mit voller Wucht. Ein ehemaliges Mitglied des Betroffenenbeirats wirft Ihnen vor, er sei wie ein dressierter Affe vorgeführt worden. Es ist von einem Drehbuch, von Manipulation die Rede.

Es gab kein Drehbuch, und der heutige Betroffenenbeirat hat ja klargestellt, wie die umstrittene Sitzung wirklich abgelaufen ist. Nach viel Hin und Her mit der Münchner Kanzlei WSW um die Nachbesserung ihres Gutachtens hatten wir festgestellt, es geht so nicht. Und wir sprachen mit den Betroffenen. Natürlich haben wir die Sitzung gut vorbereitet. Dafür haben wir Szenarien durchgespielt, ja natürlich. Aber es hat keinen Druck gegeben. Wir haben Bedenkzeit angeboten.

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Aber konnten die Betroffenen denn überhaupt etwas entscheiden? Sie hatten doch schon Björn Gercke mit einem neuen Gutachten beauftragt.

Was gewesen wäre, wenn die Betroffenen verlangt hätten, das WSW-Gutachten doch zu veröffentlichen – ich kann es Ihnen nicht sagen. Ein Szenario war: Wir könnten so einem Rat der Betroffenen nicht folgen, weil unsere Anwälte und Professoren es so einschätzen, dass eine Veröffentlichung des WSW-Gutachten gegen geltendes Recht verstoßen würde. Wahrscheinlich hätten wir aber auch gesagt: Wenn die Forderung der Betroffenen so eindeutig ist, veröffentlichen wir es. Es war noch keine Entscheidung gefallen. Das Gespräch war ergebnisoffen.

Nach Rolf Steinhäusers Angaben flossen 2,8 Millionen Euro für Gutachten und Beratung, davon allein 820 000 Euro an die PR-Krisenberater – aber seit 2010 nur 1,5 Millionen an Anerkennungsleistungen für Betroffene. Das ist ein Missverhältnis, oder?

Wir sind mit den Ausgaben für Gutachten und Beratung in dem Rahmen geblieben, den der Kirchensteuer- und Wirtschaftsrat genehmigt hatte. Und da war dann alles drin, bis hin zur Ausrichtung der Pressekonferenz. Was die Kommunikationsberater angeht, hatten wir ursprünglich nicht erwartet, sie so lange einsetzen zu müssen, wie es dann nötig war – und es war nötig. Wenn wir morgens aufstanden, wussten wir nicht, welcher neue Fall in der Presse stehen würde. Das konnten wir mit der vorhandenen Ausstattung unserer Pressestelle gar nicht bewältigen. Übrigens hat das Gutachten für das Erzbistum München 1,5 Millionen Euro gekostet.

Aber nur 1,5 Millionen an Anerkennungsleistungen – ist das verhältnismäßig, müssen Sie da nicht über die Höhe neu nachdenken?

Es waren mehr als 1,5 Millionen. Wir haben allein sechs Millionen Euro in den Fonds der Deutschen Bischofskonferenz eingezahlt, aus denen die von einer unabhängigen Kommission festgelegten Ansprüche bezahlt werden.

Ein Betroffener, Georg Menne, geht jetzt gerichtlich gegen das Erzbistum vor und verlangt Schmerzensgeld. Wie wird sich das Erzbistum da verhalten?

Wir haben die Klageschrift gerade erhalten und prüfen sie. Wir können diese Frage aber auch nicht alleine entscheiden. Es ist ein Präzedenzfall. Was wir tun oder lassen, hat Auswirkungen für alle deutschen Bistümer.

Erst im Juni 2022 wurde das Bistum Dresden über das schon 2014 unter Kardinal Meisner geführte Verfahren gegen den früheren Sternsinger-Präsidenten Winfried Pilz informiert. Wann haben Sie erfahren, dass da etwas anliegt?

Ich habe davon am 24. Juni erfahren. Ich war an Corona erkrankt und erhielt eine Mail des damaligen Generalvikars Markus Hofmann, der mir schrieb, am folgenden Wochenende müsse das veröffentlicht werden.

Aber die Sternsinger erklären, sie seien schon im September 2021 vom Erzbistum Köln informiert worden. Also: Die bekommen eine Information, der eigene Erzbischof nicht?

Schwer zu glauben, ich weiß, aber das ist so. Mir sind in den letzten Jahren einige strukturelle Defizite in unserer Verwaltung aufgefallen. Unter anderem deswegen verfolge ich derzeit mit Nachdruck die Umstrukturierung des Erzbischöflichen Generalvikariats.

Das alles, was wir bisher besprochen haben, hat zu heftigen Auseinandersetzungen geführt. Mitarbeitende, vier Stadtdechanten, der Vorsitzende des Diözesanrats der Katholiken haben sich von Ihnen distanziert. Können Sie da noch eine neue Basis zum Reden und Zusammenarbeiten finden?

Ich finde es immer schwierig, übereinander statt miteinander zu reden. Die meisten von den Leuten, die Sie eben erwähnt haben, haben meine persönliche Handynummer. Sie hätten anrufen können. Wissen Sie, da wird eine Arbeitsnotiz meiner Berater vom November mit der Zeile veröffentlicht: „Wie kann der Kardinal überleben“. Das hatte ein Mitarbeiter geschrieben, er meinte: Wie kommen wir bis zur Veröffentlichung des Gercke-Gutachtens klar. Daraus wird dann gemacht, ich sei machtversessen, und das wird dann mit einem anderen, älteren Papier inhaltlich verbunden. Ich verstehe ja, dass man sich darüber echauffiert, aber man sollte nicht darüber sprechen, ohne die Hintergründe zu kennen.

Aber wie geht es jetzt weiter mit Ihnen und Ihren Kritikern? Geht das überhaupt noch miteinander?

Im September stehen gemeinsame Konferenzen an, und da werden wir darüber sprechen, wie wir miteinander umgehen und übereinander sprechen. Als Christen haben wir die klare Vorgabe des Evangeliums: Sprich zunächst unter vier Augen mit Deinem Bruder und dann vor Zeugen. Und: Wer richtet, wird gerichtet werden. Ich finde es schwierig, wenn wir in der Kirche die Dinge zuspitzen und skandalisieren wie in der Politik. Das geht vor allem zu Lasten der Betroffenen.

Was haben Sie jetzt konkret vor?

Ich habe noch eine Reihe von Gesprächseinladungen – und ich habe große Themen: Wir haben den wichtigen Prozess #zusammenwachsen, also die Reform der Pfarrgemeinden in immer größer werdenden Einheiten. Wir wollen unsere Aufarbeitung immer weiter verbessern – und wir haben das große Projekt, das Generalvikariat umzugestalten. Ziel ist eine gute, zeitgemäße, schlanke, den Menschen und den Gemeinden dienende Verwaltung. Und ein wichtiges Thema: Die Zukunft der KHKT, der Kölner Hochschule für Katholische Theologie.

Sie rechnen damit, dass auf Dauer 50 bis 60 Leitende Pfarrer zur Verfügung stehen. Wie lange hält das, werden es auf Dauer nicht noch weniger – und müssen da nicht Laien in die Gemeindeleitung?

Solche Gemeindeteams mit Laien, die vor Ort Verantwortung übernehmen und an der Leitung mitwirken, wollten wir schon in Pilotversuchen ausprobieren, bevor Corona dazwischenkam. Das werden wir jetzt umsetzen, die Bedeutung solcher Teams wird immer größer.

Und wie geht es weiter bei der KHKT? Bisher haben Sie gut drei Millionen im Jahr aus einem Sondervermögen dafür aufgebracht, aber das ist bald erschöpft.

Erst einmal möchte ich klarstellen: Das ist keine Woelki-Hochschule, sondern die ehemalige Steyler Ordenshochschule, eine anerkannte Hochschule, wo seit 90 Jahren eine theologische Ausbildung stattfindet, aus der weit über 1000 Priester und Hunderte Laientheologen hervorgegangen sind. Eine Hochschule mit missionarischem, interkulturellem und interreligiösem Profil. Es ist gut, dass es sie gibt, und wir haben uns auf Wunsch von Studierenden und Lehrenden entschlossen, sie erst einmal zu retten und dann zu schauen, wie sich das entwickelt. Alle zuständigen Gremien haben das in zahlreichen Sitzungen gebilligt, das Domkapitel Ende 2019, der Kirchensteuer- und Wirtschaftsrat am 20. Juni 2020 und auch die Stadt-und Kreisdechanten unterstützten die Übernahme. Ob die Hochschule genug Studierende findet und wie sie finanzierbar ist, das werden wir in Zukunft sehen. Dafür braucht es etwas Zeit. Die Hochschulstiftung hat jetzt erst einmal der Geschäftsführung den klaren Auftrag erteilt, eine mittelfristige Finanzplanung vorzulegen.

Aber die Geschäftsführung ist keine Fundraising-Agentur. Werden am Ende doch Kirchensteuermittel gebraucht?

Erstmal ist der Auftrag, so einen Plan zu erstellen. Im Kirchensteuer- und Wirtschaftsrat war nur gesagt worden, dass zunächst nicht an eine Finanzierung aus Kirchensteuermitteln gedacht ist. Aber wir müssen uns doch überlegen, wo wir zukünftig Schwerpunkte setzen. Ich bin dafür, in junge Menschen zu investieren, in Bildung. Wir bauen zum Beispiel gerade auch den großartigen Bildungscampus Kalk für viel Geld. Und Sie glauben doch nicht, dass der Staat perspektivisch die Theologenausbildung an den deutschen Universitäten im bisherigen Umfang finanziert. Da kann diese Hochschule eine Investition in die Zukunft sein.

Das kann man umdrehen: Solange, aber auch nur solange Sie Priester in Bonn ausbilden lassen, ist die Theologische Fakultät dort per Konkordat garantiert.

Aber ich bin es doch, der sich in der Bischofskonferenz anhören musste, dass er eine Extrawurst will, weil ich meine Leute nicht an die einst geplanten zentralen Standorte Münster, St. Georgen, Mainz oder München schicken wollte. Unser Bistum hat die meisten Priesteramtskandidaten – dazu kommen noch die Kandidaten des Neokatechumenalen Seminars. Darin darf ich doch wohl das Wirken des Heiligen Geistes sehen und an dem Standort Köln/Bonn festhalten. Abgesehen davon kann ich mich über die Äußerungen der Universität Bonn und der Landesrektorenkonferenz nur wundern. Wenn Bonn doch eine Exzellenzuniversität mit einer exzellenten Fakultät ist, dann dürfen sie doch darauf vertrauen, dass junge Menschen sich für Exzellenz entscheiden. Wo bleibt denn da das Selbstbewusstsein, wenn sie so viel Angst vor der Konkurrenz durch eine kleine Hochschule haben.

Naja, aber als Hochschulbischof der Bischofskonferenz hätten Sie ja auch bei der Kooperation mitmachen und durchsetzen können, dass Bonn eine Rolle spielt.

Ich habe nichts dagegen, wenn alle in Bonn studieren wollen. Im Gegenteil! Ich weiß auch nicht, wie die Kommission unter Bischof Felix Genn auf ihre drei bis vier Standorte gekommen ist – und das ist ja inzwischen auch wieder vom Tisch.

Die Kirchensteuereinnahmen sinken. Wenn Sie einen Schwerpunkt bei der Bildung setzen, wo nehmen Sie das Geld weg?

Wir werden darüber noch sprechen müssen. Bei vergangenen Diskussionen hatte ich immer den Eindruck, dass vor allem für den Erhalt von Bestehendem geworben wurde. Viel Bestehendes ist auch gut, aber wir müssen alles auf den Prüfstand stellen.

Konkret befürchten viele Pfarrgemeinden, dass das Geld dann zum Beispiel für Kirchen und Kindergärten fehlt. Kitas betreiben ja auch Bildung.

Wir geben 60 Millionen Euro für die Verwaltung von 550 Kitas aus. 2030 werden es 80 sein, wenn sich nichts ändert. Wo sollen die denn herkommen? Ich halte es für möglich, einen diözesanen Träger oder auch mehrere zu gründen und dadurch effizienter zu werden.

Eine große Aufgabe, die auf die ganze Gesellschaft zukommt, ist die Bewältigung der humanitären Folgen des Ukraine-Krieges: die vielen geflüchteten Menschen und die Energiekrise hier bei uns. Was kann das Erzbistum Köln da machen?

Ich bin immer noch dankbar für das Engagement so vieler Gemeinden und kirchlicher Verbände in der Flüchtlingskrise 2015. Das wirkt bis heute, die Aktion „Neue Nachbarn“ geht weiter und wir werden mit der Hilfe nicht nachlassen – für alle Geflüchteten. Und wir dürfen auch die Menschen nicht vergessen, die hier von der Energiekrise betroffen sind. Wenn der Gaspreis sich für manche Betroffenen vervierfacht, ist das für Menschen mit wenig Einkommen, gerade für Familien nicht zu bewältigen. Das ist allerdings auch eine zentrale Aufgabe für die Politik: Strom und Gas müssen bezahlbar bleiben.

Fahren Sie nächste Woche zum Synodalen Weg?

Ja, natürlich.

Da haben ausländische Bischofskonferenzen die Deutschen zuletzt vor Sonderwegen gewarnt. Haben sie Recht?

Es war ja gerade ein Wunsch des Synodalen Weges, auch zu erfahren, wie in unseren europäischen Nachbarländern über die dort diskutierten Fragen gedacht wird. Deshalb finde ich solche Rückmeldungen gut und legitim. Das kann uns nur bereichern.

Aber da wird schon gewarnt, dass bestimmte Ideen zum Amtsverständnis oder zum Umgang mit Sexualität und Partnerschaft führen in eine Nationalkirche.

Und darüber müssen wir sprechen, ja. Auch über diese Sorgen. Man muss einfach differenzieren. Wenn es auf dem Synodalen Weg um Fragen geht, die mit Compliance, etwa um transparenten Umgang mit Geld wird, ist es gut, sich dem zu stellen. Andere Fragen sind nur auf weltkirchlicher Ebene zu klären. Und ich bin dem Papst sehr dankbar, dass er dafür die Weltsynode ins Leben gerufen hat. Wir haben als Erzbistum die Kölner Diskussionsbeiträge dazu weitergeleitet.

Ein Bischof hat keine Probezeit, haben Sie gesagt, Sie machen trotz aller Auseinandersetzungen weiter. Warum tun Sie sich das an?

Weil ich durchsetzen will, dass sexualisierte Gewalt bei uns in der Kirche keine Chance hat. Und weil mir die großen Reformprojekte wichtig sind, über die wir gesprochen haben. In den Gemeinden, im Generalvikariat. Alles muss der Verkündung des Evangeliums dienen. Strukturen sind kein Selbstzweck, sondern sollen dazu dienen, dass Kirche von den Menschen als nahbar erfahren wird.

Auch von Menschen, die als Geschiedene wiederverheiratet sind oder in homosexuellen Beziehungen leben?

Sie gehören alle zur Kirche. Jesus ist für alle gestorben.

Auch wenn sie nicht zur Kommunion gehen dürfen?

Ich glaube, das Papst-Schreiben amoris laetitia öffnet hier einen guten Weg.

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